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"Ein bisschen dazwischen": Arabien-Kenner Arnold Hottinger
Mit dem roten Plasticsack beim jordanischen König
Ikone der Nahostberichterstattung: Der in Basel aufgewachsene Journalist Arnold Hottinger wird 80-jährig
Von Beat Stauffer
Er gilt im deutschsprachigen Raum als journalistischer Altmeister der Nahostberichterstattung: Der Publizist und Nahostexperte Arnold Hottinger wird am 6. Dezember 80-jährig. Der gebürtige Basler hat sich mit seinen intimen Kenntnissen der arabisch-islamischen Welt internationale Anerkennung verschafft. Noch heute strömen die Menschen in Scharen zu seinen Vorträgen herbei.
Mehr als 50 Jahren sind es her, als ein junger Universitätsabsolvent aus der Schweiz zusammen mit seiner Gattin und einem riesigen, alten Überseekoffer im Hafen von Beirut an Land ging. Das junge Ehepaar wurde in der Hauptstadt des Libanon sogleich von einer bunten, quirligen und sinnlichen Welt umfangen, die auf die beiden eine grosse Faszination ausübte. Es war ein Orient, der zwar durch die europäischen Kolonialmächte und durch andere Einflüsse längst erschüttert worden war, der aber im Vergleich zu heute geradezu intakt wirkte.
Am liebsten zu Fuss unterwegs
Die Szene stammt aus dem jüngsten Buch* von Arnold Hottinger, in dem er sein berufliches Leben, das er fast vollständig im Nahen Osten verbrachte, aus grosser zeitlicher Distanz noch einmal Revue passieren lässt. Dabei rollt er nicht nur kenntnisreich die meist schwierige, ja oft tragische Geschichte dieser Weltregion auf und berichtet von den historischen Ereignissen und Umwälzungen, die er als Augenzeuge hatte verfolgen können. Ein ebenso so grosses Gewicht haben in seinem "Erinnerungsbuch" die kleinen Episoden, die persönlichen Lebensumstände und die Empfindungen, die der Korrespondent in seinen Berichten seinerzeit ausblenden musste, die aber für die heutigen Leser wertvolle Informationen beinhalten. Nicht zuletzt werden in solchen persönlichen Erlebnissen auch die hierzulande kaum bekannten Qualitäten, ja die menschlichen Werte des Orients sichtbar, die in den zumeist auf politische Ereignisse fixierten Medienberichten keine Erwähnung finden konnten.
Der noch keine dreissig Jahre alte Hottinger, der in Beirut seine Arabisch-Kenntnisse perfektionieren und die islamische Welt aus eigener Anschauung kennen lernen wollte, suchte sogleich hautnahen Kontakt mit diesem Orient, der ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen sollte. Kein Weg war ihm zu weit, keine Bleibe zu bescheiden, kein lotteriges Sammeltaxi zu unbequem, um die Dinge, die er mit eigenen Augen sehen wollte, tatsächlich zu sehen. Und während die meisten seiner damaligen Berufskollegen in ihren Büros oder Hotelzimmern in den Hauptstädten blieben und sich in erster Linie auf Zeitungen, Radionachrichten und auf Informationen aus offiziellen oder diplomatischen Kanälen abstützten, ging Hottinger wo immer möglich hinaus - am liebsten zu Fuss. "All dies abzulaufen, hielt mich in Atem", heisst es an einer Stelle im erwähnten Buch. Denn nur zu Fuss, so Hottinger, lassen sich die Dinge wirklich erfahren.
Inmitten revolverfuchtelnden Phalangisten
Stundenlang zog er so durch die Souks der historischen Stadtzentren, durch rebellische, brodelnde Vorstadtsiedlungen, durch Flüchtlingslager und ärmliche Dörfer auf dem Land. Dazu brauchte er durchaus eine tüchtige Portion Mut und Furchtlosigkeit, denn kaum im Orient angekommen, wurde Hottinger mit einer Reihe von Krisen, Unruhen und Revolutionen konfrontiert. "Plötzlich stand ich mit den revolverfuchtelnden Phalangisten allein auf der Strasse", schreibt er lapidar über eine Erkundigungstour in Beirut im Jahr 1956.
Doch solche Erlebnisse schienen den jungen Mann, der ab 1961 für die "Neue Zürcher Zeitung" und für das damalige Deutschschweizer Radio als Korrespondent tätig war, kaum abzuschrecken. In all den zahlreichen Krisenherden im Nahen Osten war Hottinger in den folgenden Jahrzehnten hautnah mit dabei. Vor allem aber bekam er wie nur wenige mit, wie die "Menschen auf der Strasse" dachten und fühlten, was sie bewegte und was sie demütigte.
Verhältnisse nie idealisiert
Dabei führten seine grosse Empathie mit der arabisch-islamischen Welt und sein Wissen um ihre oft verschütteten Werte keineswegs zu einer Idealisierung der Verhältnisse oder zu einer einseitigen Parteinahme für die arabische Sache. Vielmehr, so der Eindruck, versuchte Hottinger im Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt, der während seiner ganzen Zeit als Korrespondent virulent war, möglichst fair zu berichten. Dies konnte gelegentlich aber auch bedeuten, um Verständnis zugunsten der palästinensischen Position zu plädieren. Im Israel-freundlichen Klima der Schweiz der sechziger Jahre war dies aber nicht gern gesehen, und so hatte der angeblich zu palästinenserfreundliche Korrespondent nicht nur bei der NZZ gelegentlich einen schweren Stand. Ab 1968 berichtete Hottinger während 14 Jahren aus Spanien und gewann mit der Iberischen Halbinsel und dem Maghreb einen neuen Schwerpunkt dazu, ohne aber den Nahen Osten aus den Augen zu verlieren. 1982 bezog er schliesslich für neun Jahre lang als Arabien- und Iran-Korrespondent seinen Beobachterposten in Nikosia.
Doch auch nach seiner Pensionierung im Jahr 1992 widmete sich Hottinger weiterhin voller Energie der Aufgabe, solide Kenntnisse über die Gesellschaften zwischen Afghanistan und Marokko zu vermitteln: Er schrieb für Zeitschriften und Zeitungen, verfasste mehrere Bücher, hielt unzählige Vorträge und leitete Studienreisen - dies alles bis zum heutigen Tag. Die Agenda des mittlerweile 80-jährigen Reporters und Analytikers scheint immer noch gut gefüllt zu sein, und wer - wie der Schreibende - kürzlich die Gelegenheit hatte, eine aus dem Stegreif formulierte, leidenschaftliche Rede Hottingers zu hören, kann nur voller Respekt davon berichten.
"Krise ist immer nur grösser geworden"
Dabei wird auch spürbar, in welchem Mass dieser Mann, der sein ganzes Berufsleben dieser Vermittlungsaufgabe gewidmet hat, unter der Dauerkrise und dem Niedergang der arabischen Welt persönlich leidet. "Seit ich den Nahen Osten verfolge, ist die Krise dort nur immer grösser geworden", schreibt Hottinger. "Das ist einer der traurigsten Aspekte meines Lebens." Der arabischen Welt gehe es zurzeit so schlecht, dass er sich manchmal frage, ob sie nicht vor dem Ende stehe. Sie sei "zwischen Hammer und Amboss des israelischen Expansionismus und des amerikanischen Imperialismus" geraten, und ihr eigener Islamismus treibe sie "immer mehr in die Falle hinein". Die islamistische Ideologie erachtet Hottinger als Irrweg, der längerfristig nur in eine Sackgasse führen könne. Nur wenn es den arabischen Völkern gelinge, "konstruktiv an der Globalisierung mitzuarbeiten" statt von ihr verschlungen zu werden, könne sie wirklich weiter kommen und sich aus ihrer ewigen Opferrolle befreien.
Ob dies allerdings in nächster Zeit gelingen wird, darüber wagt der grosse und zugleich überaus bescheidene Kenner der arabischen Welt keine Prognose.
* Arnold Hottinger: "Islamische Welt. Der Nahe Osten: Erfahrungen, Begegnungen, Analysen". Verlag NZZ, Zürich 2004. 750 Seiten. 34 Franken.
30. November 2006
ARNOLD HOTTINGER
Arnold Hottinger wurde am 6. Dezember 1926 in Basel geboren und wuchs, nachdem er seine ersten Lebensjahre in Düsseldorf verbracht hatte, in Basel auf. Sein Vater war als Arzt tätig, seine Mutter stammte aus dem Elsass. In Basel und Zürich studierte er Orientalistik und Romanistik. Darauf folgten weitere Studienjahre und Forschungen in Paris, Chicago, Beirut und Kairo. Von 1961 bis zu seiner Pensionierung 1992 war Hottinger Nahostkorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) und regelmässiger Mitarbeiter von Schweizer Radio DRS mit den Standorten Beirut, Madrid und Nikosia. Seit 1992 ist er als Publizist, Referent und Leiter von Studienreisen tätig. 1991 und 2003 erhielt Hottinger die Ehrendoktorwürde der Universitäten von Basel bzw. Bern. Hottinger ist auch Ehrenmitglied der "Schweizerischen Gesellschaft Mittlerer Osten und islamische Kulturen" (SGMOIK).
Mit seiner jahrzehntelangen Tätigkeit hat sich Arnold Hottinger weit über die Landesgrenzen hinaus einen ausgezeichneten Ruf geschaffen. Mittlerweile gilt er im gesamten deutschsprachigen Raum als einer der besten Kenner des nordafrikanischen und westasiatischen Raums. Hottinger sei "ein weitsichtiger Beobachter der Sonderklasse", ja, der "Altmeister der journalistischen Nahost- und Islamexperten", lobte ihn etwa der "Spiegel".
Diese Einschätzung beruht nicht nur auf dem Umstand, dass Hottinger die Politik und das Leben der Menschen im Nahen und Mittleren Osten während eines halben Jahrhunderts verfolgt und beschrieben hat. Sein grosses Plus bestehe darin, so Heinz Halm, Professor für Islamwissenschaften an der Universität Tübingen, dass Hottinger sowohl über eine ausgezeichnete akademische Grundlage wie auch über ein unglaublich breites, in der Praxis erworbenes Wissen verfüge. Zumindest in der älteren Generation von Nahost-Journalisten sei er damit eine singuläre Erscheinung.
Der Schweizer Publizist Erich Gysling erwähnt das "phänomenale Gedächtnis" von Hottinger und seine "unglaublich konzentrierte Art und Weise", vor Zuhörern zu referieren und dabei Vergleiche und Querschnitte über 50 Jahre hinweg anzustellen. Dabei sei er "vollkommen uneitel, äusserst bescheiden und jeglichem Luxus gänzlich abgeneigt". Gysling erinnert sich an einen gemeinsamen Besuch beim jordanischen König in Amman. Hottinger trug dabei seine Siebensachen in einem roten Plastiksack mit sich. Für ihn, so meint Gysling schmunzelnd, habe eben immer bloss der Inhalt, die Substanz eine Rolle gespielt.
Ein ähnliches Bild zeichnen auch andere Menschen, die mit Hottinger beruflich oder privat zu tun hatten. Sie erwähnen dabei insbesondere seine ausserordentliche Belesenheit, seine Bescheidenheit und seine "Güte". Diese Eigenschaften befähigten ihn, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und mit ihnen zu kommunizieren. Die sieben Sprachen, die Hottinger fliessend beherrscht, dürften ihm dabei zupass gekommen sein. Gleichzeitig ist Arnold Hottinger ein eher zurückgezogener Mensch, einer, der jede Gelegenheit - und sei es eine Reifenpanne auf einer iranischen Landstrasse - nutzt, um sich in ein Buch zu vertiefen.
Wie aber ist Arnold Hottinger auf sein Thema gestossen, das ihn ein Leben lang beschäftigen sollte? Eine gewisse Rolle scheint eine frühe Erfahrung von Fremdheit gespielt zu haben, die Hottinger als Primarschüler erleben musste, als seine Familie von Deutschland wieder in die Schweiz übersiedelte. "Immer ein bisschen fremd zu sein, ein bisschen dazwischen, das ist ein Grundgefühl bei mir", bekannte Hottinger einmal gegenüber der Zeitschrift "NZZ Folio".
Das Interesse an der arabischen Welt ergab sich, so berichtet er selber, eher zufällig aus seinem Studium der spanischen Sprache und Kultur heraus. Ein erster Besuch in Tunesien im Jahr 1950 scheint dann definitiv den Wunsch ausgelöst zu haben, sich näher mit dieser so nahen und dennoch so anderen Welt zu beschäftigen, deren bester Kenner und wohl auch Botschafter er hierzulande geworden ist.