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Der offene Raum wird zum Kerker

Buch: Der französische Urbanist Paul Virilio denkt über die Ausbreitung von Terror und Überwachung in der omnipräsenten Welt nach


Von Aurel Schmidt


Über Stadt, Raum und Urbanität zu sprechen kann heute auf zwei Arten erfolgen. Entweder geht man von der um sich greifenden Verelendung der Städte aus, wie es der amerikanische Urbanist Mike Davis getan hat, oder man schliesst die Augen und bejubelt die Visionen, die von Stararchitekten (andere gibt es offenbar keine) entworfen und in Hochglanz-Journalen verbreitet werden. Zwischen der realen Stadt und der propagierten Stadt klafft ein Abgrund. Auf eine dritte, ganz andere, höchst eigenwillige Art denkt der französische Architekturkritiker und Urbanist Paul Virilio über das Thema nach.

Seine Gedanken, zum Beispiel in seinem neuen Buch "Panische Stadt", haben manchmal etwas Halluzinatorisches. Was er sagt, ist von einer assoziativen Turbo-Geschwindigkeit. Schritt halten kann damit nur, wer nicht den Mond mit dem Finger verwechselt, der auf ihn weist.

Geschwindigkeit ist eines von Virilios zentralen Themen. Mit ihr verschwindet der Raum, und dem Menschen bleibt nur noch die Zeit übrig, wie Heinrich Heine 1843 schrieb, als die Eisenbahnlinien von Paris nach Orléans und Rouen eröffnet wurden. Jeder müsse, meinte er damals, diese "Erschütterung" empfinden, wenn er nicht auf dem "sozialen Isolierschemel" stehe.
 
Die gleiche Erschütterung, auf unsere Zeit übertragen, ist Virilios Thema. Was ist geschehen? Die Fluchtgeschwindigkeit hat das Territorium abgeschafft, die Welt ist omnipräsent und durch die elektronischen Medien telepräsent, aber auch "omnipolitisch" (Virilio) geworden. Die Peripherie ist überall, das Zentrum nirgends mehr. Wo können daher Ereignisse noch stattfinden? In der medialen Übertragung.

Die Folge davon ist erdrückend: "Wir werden ausgeschlossen aus einer multipolaren und freien Internationalität und eingekerkert in die Exterritorialität einer virtuellen und unipolaren Welt." Jetzt warten wir "auf das Kommen dessen, was übrig bleibt".  Wer sich das erst einmal vor Augen geführt hat, wird sich nur noch schwer vom Schrecken erholen.

 

"Die Welt ist ebenso lokal und global,
wie sie terminal ist."

 

Vielleicht muss man mit den aphoristischen Sprüngen von Virilios Diskurs vertraut sein, um den tieferliegenden Sinn immer gleich zu erfassen, aber mit ein bisschen Nachdenken sollte es möglich sein. Die Waffentechnologien, die Verkehrsgeschwindigkeiten, die Kommunikationseinrichtungen haben den Raum auf einen Punkt zusammengezogen. Das heisst, er ist nunmehr ebenso lokal (hier, wo ich bin, im Umkreis von 100 Metern, die ich überblicken kann) wie zugleich global (überall verteilt, an jedem beliebigen Ort). Aber nicht nur das: Er ist auch terminal geworden – eine Endstation. Es gibt in einem endlichen System wie der total erfassten Welt keine Nischen, keine Refugien, keine Ausweichplätze. Das Hinterland liegt mit einem Mal direkt vor der Haustür. Der Terror ist medial, frei Wohnzimmer geliefert, das heisst überall präsent (telepräsent). Er ist gewissermassen der Preis der Globalisierung – wie die Angst vor ihm, die ebenso allgegenwärtig ist.

Diese Angst verwandelt die Stadt von einer Kosmopolis in eine "Klaustropolis", in Virilios "panische Stadt". Es bilden sich "kritische Räume", in denen Kriminalität und Terror sich einnisten wie Viren in einem Körper. Die Folge ist das Entstehen von "gated communities", Sicherheitszonen, Hochsicherheitstrakten, in denen niemand genau weiss, ob er darin eingeschlossen oder im Gegenteil in einem exterritorialen Gebiet ausgeschlossen ist.

Aber sogar das ist eine Feststellung, die noch zahm und zaghaft ist im Vergleich zur Einsicht, dass wir es darüber hinaus jetzt mit einer "planetarischen Einkerkerung" zu tun haben. Entkommen wird niemand. Wir sitzen in der Falle.

 

"Der Weg hat uns vom globalen weiter zum
genetischen Raum geführt."

 

Und selbst damit sind wir noch nicht am Ende. Die grossen Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts waren die Transportation (der Verkehr) und die Transmission (die Datenübertragung dank gesteigerter Rechnerkapazitäten). Diese zweite Revolution hat "transhorizontale Fernüberwachung" ebenso ermöglicht wie zum Beispiel die Kapitalflüsse rund um den Globus. Jetzt steht uns eine dritte Revolution bevor: Die Transplantation (oder biologische Revolution). Sie verändert den virtuellen Raum der Globalisierung in einen "genetischen Raum", in dem der Mensch nicht mehr den Ort wechselt, sondern selbst ausgewechselt wird wie einst die Pferde auf der Poststation.

Die Luftsprünge, die Virilio unternimmt, setzen voraus, dass man ihm mit der selben artistischen Leichtigkeit folgt (und mit der gleichen Geschwindigkeit, damit die Dinge zusammengehalten werden, wie die Gesetze der Physik es besagen).

Virilio ist ein Visionär. Er sagt Dinge, die hellen Widerspruch hervorrufen, jedoch zugleich das Unbehagen artikulieren, das viele empfinden, ohne genau sagen zu können, wo es sitzt. Aber mit Virilio können wir die Spur aufnehmen und ein bisschen besser verstehen. Er bringt die Verhältnisse auf den Begriff. Und ein Vergnügen ist es sowieso immer, ihn zu lesen. Nicht viele schreiben so virtuos und dabei so scharfsinnig wie er.

 

Paul Virilio: Panische Stadt. Aus dem Französischen von Maximilian Probst. Passagen Verlag. Fr. 35.90.

28. April 2008


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