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"Die Bibel ist Literatur von Weltklasse": Schriftsteller Hansjörg Schneider
"Wenn Jesus eine Freundin gehabt hätte, wäre das grossartig"
Interview mit dem Schriftsteller Hansjörg Schneider über sein neues Theaterstück "Jesus und die drei Mareien"
Von Anna Wegelin
Hansjörg Schneider, der in Basel lebende Autor der beliebten Hunkeler-Krimis und OnlineReports-Kolumnist, hat ein neues Theaterstück über die Lebensgeschichte von Jesus geschrieben. Im OnlineReports-Interview erklärt er, weshalb er als "entlaufener Protestant" zur Bibel greift und weshalb er anlässlich der Buch-Premiere auf die Kanzel der Basler Johanneskirche steigt.
OnlineReports: Herr Schneider, Sie haben der reformierten Kirche schon lange den Rücken gekehrt. Jetzt steigen Sie für die Buchpremiere Ihres neuen Mundartstücks "Jesus und die drei Mareien" in Basel auf die Kanzel. Was ist geschehen?
Hansjörg Schneider: Die Evangelien und das, was Jesus sagt, kann man grossartig finden, auch wenn man nicht in der Landeskirche ist.
OnlineReports: Jesus beschäftigt Sie als Schriftsteller schon seit Jahrzehnten, die Adventserzählung "Jesus auf dem Hüninger-Riff" stammt aus den 1970er Jahren. Was interessiert Sie an Jesus?
Schneider: Jesus ist für mich eine der grössten Gestalten auf der Welt. Ich habe ihn schon als Kind bewundert. Er hat zwei geniale Hauptaussagen gemacht. Die eine lautet, das Leben auf dieser Erde ist ein vorläufiges und man kann die Wahrheit nicht erkennen. Die zweite Aussage ist, seid lieb zueinander. Das macht die christliche Philosophie aus, die ich für mich übernehmen kann. Was Jesus sagt, ist heute noch revolutionär.
OnlineReports: Können Sie ein Beispiel geben?
Schneider: Jesus sagt über Maria Magdalena: "Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt. Welchem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig." Das ist grossartig! Das heisst doch: Wer viel liebt, dem wird auch viel vergeben.
"Ich bin nicht gläubig, ich vertraue
meiner Vernunft und meinem Verstand."
OnlineReports: Ist Jesus Ihr Held?
Schneider: Nein, das nicht. Ich glaube nicht, dass Jesus zu uns gekommen ist, um uns zu erlösen. Ich bin nicht gläubig, ich vertraue meiner Vernunft und meinem Verstand. Der Jesus, der im Johannes-Evangelium immer wieder sagt, man solle ihm doch endlich glauben, befremdet mich. Diese Eiferer-Seite passt mir nicht. Warum soll ich ihm glauben, er sei Gottes Sohn? Wenn Jesus Gottes Sohn ist, dann sind wir alle Gottes Kinder.
OnlineReports: Sie schreiben im Vorwort zum neuen Stück, Jesus Christus sei auch dann noch eine faszierende Figur, wenn man ihn als gewöhnlichen Mann betrachtet. Aber dazu fehlt ihm zum Beispiel eine Partnerin.
Schneider: Das behaupten jene kirchlichen Kreise, die mit Inbrunst dagegen ankämpfen, dass er eine Freundin gehabt haben könnte. Als wäre eine Freundin der Teufel selber! Ich behaupte das Gegenteil: Wenn Jesus eine Freundin gehabt hätte, wäre das grossartig. Dann wäre er nämlich wie die meisten anderen Männer.
OnlineReports: Nochmals: Was macht Jesus in Ihren Augen revolutionär?
Schneider: Jesus ist umgebracht worden, weil er den Mund auftat und einen freches Maul hatte. Das Volk lief ihm nach und den Mächtigen davon. Es gibt keinen provokativeren Satz als: "Die Ersten werden die Letzten sein." Jesus stellte alles auf den Kopf: "Selig sind die Sanftmütigen, ihnen gehört die Erde." Es verhält sich ja genau umgekehrt auf der Welt. Jesus ist ein grossartiger Prediger: Er spricht knappe Sätze, auf den Punkt gebracht. "Ihr seid das Salz der Erde", "Ihr seid das Licht der Welt": Das ist grosse Literatur!
OnlineReports: Wie lesen Sie die Bibel?
Schneider: Die Evangelien sind eine fast zweitausend Jahre alte Geschichte, die in vier verschiedenen Versionen erzählt wird. Diese Texte sind grossartig, ob man sie als historische Wahrheit oder mythische Geschichten liest. Die Bibel ist Literatur von Weltklasse, aber man muss nicht Eins zu Eins glauben, was in ihr steht. Sie kommt aus einer mythischen Zeit. Die letzte dieser mythischen Gestalten war Niklaus von Flüe. Von ihm muss ich ja auch nicht unbedingt glauben, dass er zwanzig Jahre nichts gegessen und getrunken hat.
"Jesus ist umgebracht worden, weil er den Mund auftat und einen freches Maul hatte."
OnlineReports: Weshalb haben Sie "Jesus und die drei Mareien" auf Mundart geschrieben?
Schneider: Schweizerdeutsch war für mich sofort klar, als mich Louis Naef vor drei Jahren anfragte, ein Stück über Jesus zu schreiben. Das Schweizerdeutsche ist in der Literatur immer noch eine unentdeckte Sprache. Es macht den Erzählstoff verständlich und frisch, wenn man zum Beispiel den Satz "Und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" plötzlich in Mundart hört. Ich bin jetzt in dem Alter, wo man immer wieder an Beerdigungen geht. Die meisten Pfarrer wissen nicht mehr, wie sie reden sollen. Die katholische Kirche hat lange davon gelebt, dass sie lateinisch sprach und sie niemand verstanden hat. Die Kirche von heute hat ihre Sprache verloren.
OnlineReports: Woher rührt Ihr negatives Pfarrbild?
Schneider: Wir hatten einen Fanatiker als Pfarrer im Konfirmandenunterricht. Das war ein absoluter Zwinglianer. Er zog über die «Katholen» her und war sinnesfeindlich. Diese verdammte Moral ...
OnlineReports: Aber Jesus predigt doch auch eine Moral, die Moral der Nächstenliebe?
Schneider: Jesus ist kein Moralist! Er sagt, der Herr lässt die Sonne scheinen für gute und böse Menschen. Die Kirche, vor allem die katholische, hat das Christentum pervertiert und aus vielem genau das Gegenteil gemacht, was es eigentlich ist. Jesus’ Jünger waren Bettelmönche, sie hatten kein Eigentum. Sie predigten und waren froh, wenn sie etwas zu essen hatten. Jesus hat nicht gefragt, was soll ich anziehen, was soll ich essen und wo soll ich schlafen. Die Oberen der katholischen Kirche hingegen tragen Seidenröckli, essen nur das Beste und wohnen im Palast. Die Vertreter der protestantische Kirche, die ich in meiner Jugend erfahren habe, war grauenhafte Moralisten und wollten einem ständig ein schlechtes Gewissen einflössen. Dabei ist man doch mit vierzehn-fünfzehn Jahren ein erotischer Mensch.
"Die Kirche, vor allem die katholische,
hat das Christentum pervertiert."
OnlineReports: Zurück zu Ihrem Stück: Die Figuren reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und es gibt viele komische Szenen. Wie weit haben Sie sich von Ihrer Vorlage entfernt?
Schneider: In einem der Evangelien heisst es über Joseph sinngemäss: "Er gedachte in seinem Herzen, sie zu verlassen." Daraus ist die Szene entstanden, dass er abschleichen will, als er erfährt, dass Maria schwanger ist… Es gibt viele Sätze in der Bibel, die man in diesem Buch nicht erwarten würde.
OnlineReports: Welche Funktion haben die drei Mareien aus dem gleichnamigen Kinderlied "Riite riite Rössli" in Ihrem Stück?
Schneider: Die christliche Religion ist eine patriarchalische Religion. Es gibt nur wenige Frauen im Neuen Testament. Man kann heute kein Theaterstück mehr schreiben, in dem nur Männer vorkommen. Das wollte ich auch gar nicht. Die drei Mareien sind mythische Gestalten und bilden ein gutes Gegengewicht zu dieser Männerwelt. Sie kommen aus einer anderen Zeit und finden Jesus toll. Manchmal lassen sie auch den gesunden Menschenverstand walten, etwa, wenn eine der Mareien sagt, Jesus höre nicht gerne zu, er rede lieber selber. Das stimmt natürlich: Jesus hat nicht zugehört. Die Kirche hört auch nicht zu. Die katholische Kirche doziert, wie es zu sein hat. Die reformierte Kirche macht heute allerdings genau das Gegenteil: Sie stellt sich in Frage.
OnlineReports: Finden Sie dies als "entlaufener Protestant", wie Sie sich einmal im "Kirchenboten" bezeichnet haben, nicht gut?
Schneider: Doch!
OnlineReports: Das wäre doch ein Grund, um der reformierte Kirche wieder beizutreten?
Schneider: Ja, vielleicht. Aber ich gehöre nicht gern einer Glaubensgemeinschaft an.
28. November 2007
Weiterführende Links:
Hansjörg Schneider zur ...
Jungfrauengeburt? – "Ein abstruser Gedanke."
Auferstehung? – "Wäre schön."
War Jesus single? – "Das weiss ich nicht, das wird in der Bibel verschwiegen."
Jenseits? – "Hier weiss niemand etwas Genaueres, auch die Kirche nicht."
Würde Jesus heute leben, würden Sie sein Jünger werden? – "Weniger. So ein Männerbund …"
Hinweise
• Hansjörg Schneider: "Jesus und die drei Mareien". Theaterstück in Schweizerdeutsch. 100 Seiten, Ammann-Verlag Zürich, 20 Franken.
• Buchpremiere in Basel: Lesung von Hansjörg Schneider am Mittwoch, 5. Dezember, 20 Uhr, Johanneskirche, beim Kannenfeldplatz
• Uraufführung des gleichnamigen Theaterstücks in Luzern: Samstag, 8. Dezember, 20 Uhr, Marihilf-Kirche, Museggstrasse. Regie: Louis Naef. Erste Spielzeit bis 6. Januar 2008, zweite Aufführungsserie vom 16. Februar bis 22. März; Aufführungen werktags 20 Uhr, sonntags 17.30 Uhr. Telefonische Reservationen und Auskünfte: 079 539 80 39 (17–19 Uhr)
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Würde Jesus heute leben, würden Sie sein Jünger werden? – "Weniger. So ein Männerbund …"
Hinweise
• Hansjörg Schneider: "Jesus und die drei Mareien". Theaterstück in Schweizerdeutsch. 100 Seiten, Ammann-Verlag Zürich, 20 Franken.
• Buchpremiere in Basel: Lesung von Hansjörg Schneider am Mittwoch, 5. Dezember, 20 Uhr, Johanneskirche, beim Kannenfeldplatz
• Uraufführung des gleichnamigen Theaterstücks in Luzern: Samstag, 8. Dezember, 20 Uhr, Marihilf-Kirche, Museggstrasse. Regie: Louis Naef. Erste Spielzeit bis 6. Januar 2008, zweite Aufführungsserie vom 16. Februar bis 22. März; Aufführungen werktags 20 Uhr, sonntags 17.30 Uhr. Telefonische Reservationen und Auskünfte: 079 539 80 39 (17–19 Uhr)