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"Wellness für Körper und Seele": Beinbruch-Opfer Schönthal, Unfallstelle in Mariastein
Ambulanz-Sirene statt Kloster-Glocken
Der Wallfahrtsort Metzerlen-Mariastein verweigert einem Beinbruch-Opfer den Schadenersatz
Von Peter Knechtli
Der Basler Anwalt Claude Schönthal stürzte auf Glatteis vor dem Kloster Mariastein und brach sich das Bein. Jetzt weigert sich der Wallfahrtsort, das Opfer für seinen Schaden angemessen zu entschädigen - mit Argumenten auf dünnem Eis. Wieviel Glatteis darf ein Wallfahrtsort seinen Gästen zumuten?
Vordergründig ist es ein erbitterter Streit um Geld, aber letztlich geht es um die Frage von Anstand und Moral eines Dorfes, dessen Klosterkirche als Wallfahrtort zu den bedeutendsten Vermittlern christlicher Werte dieses Landes zählt.
Ein Beinbruch mit Folgen
"Ich bin religiös", bekennt der Basler Anwalt Claude Schönthal (48). Diese "tolle spirituelle Ausstrahlung des Ortes" war für ihn am 28. Januar 2007 ein Grund, wieder einmal die Sonntagsmesse in der Klosterkirche von Mariastein zu besuchen. Mit seinem Auto fuhr er die Strasse von Metzerlen hoch aufs Plateau im Solothurner Jura, wo sich der Wallfahrtsort befindet. Wie die meisten Kirchgänger parkierte Schönthal seinen Wagen etwas oberhalb des Klosters auf dem grossen Parkplatz (Bild rechts oben), von dem eine leicht abfallende Strasse entlang der Klostermauer in den Klosterplatz einmündet.
Diesen Weg ging Schönthal zu Fuss. Doch in der Morgen-Messe in der Kirche kam er nie an. Denn beim Einbiegen auf den Klosterplatz, unmittelbar vor dem Eisentor neben dem dortigen Polizeiposten, geschah es: Schönthal glitt auf einer Eisfläche aus, stürzte zu Boden und zog sich einen komplizierten und schmerzhaften Bruch des rechten Beins zu. Folge: Insgesamt 3,5 Monate Arbeitsunfähigkeit.
Versicherung lehnt Haftung ab
Während der Beinbruch in den Frühlingsmonaten letzten Jahres allmählich verheilte, wuchs indes ein Rechtsstreit heran, der seinesgleichen sucht. Opfer Schönthal ist der festen Überzeugung, dass die Gemeinde Metzerlen-Mariastein schadenersatzpflichtig sei, weil sie es unterlassen habe, das nach seiner Wahrnehmung massiv vereiste Trottoir vom Parkplatz zur Klosterkirche so zu räumen, dass vom Gehweg keine Gefahr ausgehen konnte. Statt dessen "war das wichtigste Trottoir der Region nicht gesalzen" - für Schönthal eine sträfliche Unterlassung einer Gemeinde, die im Internet auch mit Gesundheits-Slogans ("ein Ort der Wellness für Körper und Seele") wirbt und an vier sonntäglichen Morgen-Messen jeweils Hunderte von Besuchern auf die Gottes-Terrasse lockt.
Nur: Die Gemeinde sah den Fall ebenso wie ihre Versicherung ("Die Mobiliar") eher aus Spar-Optik. Der diensthabende Gemeindeangestellte habe an jenem Sonntagmorgen um 5.30 Uhr eine "Kontrolle vor Ort" gemacht und "nirgends vereiste Stellen" ausmachen können, schrieb die "Mobiliar"-Versicherung an Schönthals Anwalt. Einer kleinen Gemeinde wie Metzerlen-Mariastein könne "nicht zugemutet werden, jederzeit sämtliche vereisten Flächen zu erkennen und sofort die entsprechenden Interventionen zu treffen. Der Unfall, so die "Mobiliar" weiter, sei "auf unglückliche Umstände, nicht aber auf mangelhaften Unterhalt des Trottoirs zurückzuführen". Deshalb werde eine Haftung abgelehnt.
"Wäre eine alte Frau gestürzt ..."
Doch je rigider Gemeinde und Versicherung eine Haftung bestritten, desto entschlossener ging nun Schönthal in die Offensive. "Ich bin Jurist und kann mich wehren. Wenn aber eine alte Frau an meiner Stelle gestürzt wäre, wäre sie nie mehr auf die Beine gekommen und in einem Pflegeheim verschwunden." Schönthal war nun fest entschlossen, die Gemeinde haftbar zu machen und den Rechtsweg zu beschreiten.
Mit Zeitungsinseraten und Flugblättern, die er auf dem Kloster-Parkplatz an die Windschutzscheiben steckte, ging er auf Zeugen-Suche. Der Rücklauf war beeindruckend: Rund 30 Personen meldeten sich, um die prekären Eisverhältnisse an jenem Sonntagmorgen zu bestätigen. In einer ersten Verhandlungsrunde bot die Versicherung dem Opfer einen sechsstelligen Betrag an, der jedoch um die Hälfte auf eine fünfstellige Summe reduziert wurde, was Schönthal nicht akzeptierte.
Zeugen bestätigen glitschiges Trottoir
Anfang Februar trafen sich nun die Parteien vor dem Richteramt Dorneck-Thierstein in Dornach zur vorprozessualen vorsorglichen Beweisführung. Vorgeladen war ein Dutzend Zeugen beider Seiten. Gerichtspräsident Markus Christ, der einen allfälligen späteren Haftungs-Prozess leiten müsste, interessierte nur ein Thema: War der Fussweg vom grossen Parkplatz bis zum Klosterplatz vereist oder nicht.
OnlineReports sass stundenlang im Gerichtssaal und hörte sich die Zeugenaussagen an. Fazit: Wie ein roter Faden zog sich die Bestätigung der gefährlichen Vereisung in verschiedenen Variationen ("Eisschicht", "wie Schmierseife", "Harsch", "Trottoir glatt") durch die Aussagen, die Schönthals Zeugen zu Protokoll gaben. Eine Augenzeugin bemerkte, wie eine ältere Person ausrutschte und fast zu Boden stürzte, obschon sie von andern Personen gestützt wurde. Eine Zeugin sagte aus, sie sei auf dem vereisten Klosterplatz zu Fall gekommen. Ein Zeuge drückte gebieterisch die Erwartung an die Gemeinde aus, dass "allgemeine Flächen sauber gehalten und im Winter enteist werden".
"Ein normaler Weg wie jeder andere auch"
Die Zeugen, die von der Gemeinde Metzerlen beigebracht wurden, fielen durch eine berufliche und teils auch persönliche Nähe zur Kommune oder deren Exponenten auf: Ein am Klosterplatz stationierter Polizeibeamter, ein Staatswegmacher, ein Bewohner, der beruflich Versicherungsberater bei der "Mobiliar" ist und die Gemeide betreut, und ein mit dem Winterdienst betrauter Gemeindeangestellter. Ihr Tenor: "Mir ist das Eis nicht aufgefallen", "Mir ist nichts Markantes, nichts Spezielles aufgefallen".
Der Staatswegmacher bemerkte, er habe den kritischen Trottoirabschnitt nicht kontrolliert, weil er nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Der Gemeinde-Beauftragte für Winterdienst dagegen hatte den Parkplatz und einen Teil des Trottoirs kontrolliert. Seine Aussage: "Ich habe vom Auto aus festgestellt, dass es nicht gefroren war, weil es Plus-Temperaturen hatte." Auf Nachfrage Schönthals räumte der Gemeindeangestellte ein, dass er das Trottoir nicht genauer in Augenschein genommen hatte. Und dann folgte der Satz: "Für uns ist das ein normaler Weg wie jeder andere auch." Eine Prioritätenliste kenne der Winterdienst Metzerlen-Mariastein nicht.
Kein Kommentar
Diese Aussage erstaunt angesichts der Tatsache, dass jährlich über 150'000 Besucher an den Wallfahrtsort pilgern und die Gemeinde mit ihren Gasthäusern als nicht unbedeutenden touristischen Schauplatz erscheinen lassen. Daraus, so Schönthal, lasse sich klarerweise eine Unterhaltspflicht der Gemeinde gegenüber den Gästen ableiten.
Noch ist offen, ob es in absehbarer Zeit zu ernsthaften Verhandlungen zwischen den Streit-Parteien oder zum Prozess kommt. Der Jurist Michael Messerli, Sachbearbeiter der "Mobiliar", wollte sich gegenüber OnlineReports aus Gründen des Datenschutzes zum Fall nicht äussern. Auch Silvio Haberthür, Gemeindeverwalter von Metzerlen-Mariastein, möchte "in dieser Sache nichts sagen", wie er auf Anfrage mitteilte und an den Rechtsvertreter der Gemeinde verwies.
Der Binninger Anwalt Christian von Wartburg erklärte heute Montagnachmittag gegenüber OnlineReports, er werde am 11. März vor dem Gemeinderat des 900-Seelen-Dorfs ein "Input-Referat" zum Fall halten, worauf der gesamte Gemeinderat über das weitere Vorgehen entscheide. Juristisch gehe es um die die Frage, "ob eine kleine Gemeinde gleich in der Verantwortung ist wie grosse Gemeinde" und wie weit die Verpflichtung einer kleinen Gemeinde gehe, die Trottoirs immer eisfrei zu halten.
Sturz-Legende um Hirtenjungen
Jahrhunderte zurück - so will es eine in diesem Zusammenhang pikante Legende - hatte ein Hirtenjunge neben dem heutigen Kloster einen Sturz über eine hohe Felswand unversehrt überstanden, weil ihn die Gottesmutter Maria aufgefangen habe. Von einem ähnlichen Wunder konnte Mariastein-Messebesucher und Beinbruch-Opfer Claude Schönthal bisher nur träumen.
3. März 2008
Weiterführende Links:
Haftpflichtrecht
Beinbruch-Opfer Claude Schönthal beruft sich in seiner Forderung an die Gemeinde auf die Haftpflichtregelung in Artikel 58 des Obligationsrechts (Werkeigentümerhaftung):
"Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen."
"Verhalten der Gemeinde ist eine Sauerei"
Das Verhalten der Gemeinde Metzerlen-Mariastein finde ich eine Sauerei. Sie sollte besser ihren Verpflichtungen beim Winterdienst nachkommen, als einen derartigen und unverständlichen Widerstand gegenüber dem Opfer zu leisten.
Zu erwarten wäre eine öffentliche Entschuldigung, auch bei Gestürzten ohne Verletzungen. Schliesslich zahlen wir unsere Steuern auch für den Lohn der Gemeineangestellten.
Silvia Achermann, Mumpf
"Ich hätte vielleicht Münchenstein verklagen sollen"
Mich erinnert dieser Artikel spontan an den McDonalds-Fall mit dem heissen Kaffee - nur dass sich dort ganz Europa über das prozesswütige Amerika lustig gemacht haben. Und daran, dass ich vielleicht die Gemeinde Münchenstein hätte verklagen sollen, als ich diesen Winter mit dem Velo auf einem ihrer Velowege eine Spirale runter zu Fall kam und dabei (zum Glück nur) meine neugekaufte Jacke zerrissen wurde. Also: Wieviel von Mündigkeit und Selbstverantwortung hält denn dieser gefallene Anwalt?
Urs Lehmann, Basel