Ex-Landrat Franz Ammann muss 14 Jahre hinter Gitter
Aber vorbehaltloser Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Übergriffe für den früheren SD-Politiker
Von Peter Knechtli
Das Baselbieter Strafgericht verurteilte heute Freitagmorgen den ehemaligen Muttenzer SD-Landrat Franz Ammann (52) zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren. Vom Vorwurf sämtlicher sexueller Übergriffe wurde Ammann vollumfänglich freigesprochen.
Die Staatsanwältin Caroline Horny hatte am 20. Oktober eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren sowie die Verwahrung des Angeklagten Ex-Politikers gefordert. Ammans Verteidiger beantragte 3,5 Jahre Freiheitsentzug. Er anerkannte nur den Tatbestand des versuchten Totschlags in einem Notwehr-Exzess sowie einfache Körperverletzung. Jahrelange sexuelle Verfehlungen und Ausbeutung bestritt der ehemalige Baselbieter Kantonsparlamentarier vor Gericht kategorisch. Das Baselbieter Strafgericht fällte heute Freitagmorgen das Urteil: 14 Jahre Freiheitsentzug wegen mehrfachem versuchtem Mord, schwerer Körperverletzung, Nötigung, Pornografie und Verstoss gegen das Waffengesetz.
Schiefes Licht auf Untersuchungsbeamtin
In ihrer zweieinhalbstündigen Urteilsbegründung schuf Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss für Prozessbeobachter mehr Klarheit in diesem spektakulären Strafprozess als sie die mehrtägige Hauptverhandlung zutage förderte. Die bedeutendste Abweichung von der Beurteilung des Falles durch Staatsanwältin Caroline Horny besteht im glatten Freispruch Ammanns vom Vorwurf der Vergewaltigung und sämtlicher weiterer sexuellen Übergriffe an seiner Tochter. "Es gibt keine objektiven Beweise, keine Spuren und keine Zeugen", begründete die Richterin den bedingungslosen Freispruch.
Dagegen eröffnete sich dem Publikum im Gerichtssaal ein möglicher brisanter Sachverhalt, der zum schwerwiegenden Vorwurf sexueller Handlungen geführt haben kann. Laut der Gerichtspräsidentin könnte das suggestive Befragungs-Verhalten einer – heute nicht mehr beim Statthalteramt tätigen – Untersuchungsbeamtin mit einer "vorgefassten Meinung" die Tochter des Angeklagten dazu verleitet haben, ihren Vater des jahrelangen schweren sexuellen Übergriffe zu beschuldigen. Dabei habe es sich "möglicherweise um eine Falschanschuldigung" gehandelt.
Sex-Übergriffe nicht belegbar
In klaren Worten liess die Vorsitzenden starke Zweifel an Schilderungen von Ammans Tochter an den angeblichen sexuellen Vergehen ihres Vaters erkennen. Sie habe im Verlaufe der Ermittlungen und Verhandlungen "immer wieder neue Sachen vorgebracht, die sie zuvor nicht erzählt hatte". Zu vieles passe einfach nicht zueinander, "viele Ungereimtheiten" steckten in den Aussagen über die Übergriffe. Es sei ihr in diesem Aspekt nicht gelungen, zwischen Fiktion und Wahrheit zu unterscheiden. Dass sie von ihrem Vater "abgeschwartet" und "nach Parfüm abgeschnuppert" worden sei, habe sie erstmals in der Hauptverhandlung gesagt. Obschon sie ihren Vater angeblich während Jahren habe befriedigen müssen, habe sie das Merkmal der Vorhautverengung an ihm nicht bemerkt.
Aus den Akten und Aussagen von Ammans Tochter las die Richterin eine "ganz enorme Ambivalenz": Sie habe es sowohl ihrem Freund wie ihrer Familie recht machen wollen und sei durch die Besitzansprüche ihres "despotischen Vaters" schwer verletzt und traumatisiert gewesen. "Ein Schuldspruch ist auf der Basis dieser Aussagen nicht vertretbar", bekräftigte die Vorsitzende und sprach den Angeklagten vorbehaltlos frei.
Schüsse: "Konsequent und kaltblütig"
Ganz im Gegensatz zu den unbewiesenen angeblichen Sex-Übergriffen war die Sachlage bei der zweifachen Schussabgabe Ammans am Abend des 25. April 2004, die den versuchten Mord begründet, in den wesentlichen Punkten glasklar. Zu diesen Vorfall seien die Aussagen der Tochter und ihres Freundes "äusserst glaubhaft" gewesen.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Ammann "ganz genau wusste, was er machte", als er vor dem Wohnhaus seiner Tochter ihr und ihrem Freund maskiert, mit einer schussbereiten Armeepistole, einem Pfefferspray und Kabelbindern auflauerte, und das Türschloss verklebte. Vor Abgabe der Schüsse – einer traf die Tochter in den Rücken – sei Ammann von den beiden unbewaffneten Heimkehrern in keiner Weise provoziert worden. Von Notwehr, wie der Angeklagte geltend machte, könne keine Rede sein.
Ammann, so führte die Präsidentin aus, sei an jenem Abend ganz bewusst und vorbereitet zum Tatort gegangen, "um seine Tochter ultimativ heimzuholen". Dabei sei er "konsequent und kaltblütig" vorgegangen, als er die Tochter unter Waffengewalt zwang, ihren Freund zu fesseln. Er habe nach dem ersten Schuss, der die Tochter in den Rücken traf, nicht davor zurückgeschreckt, einen zweiten Schuss in die Glastüre des Nachbarhaus-Eingangs zu "pfeffern" (so Ammann in einem abgehörten Telefongespräch an seine Ehefrau), obschon er wusste, dass sich bereits angeschossene junge Frau dort aufgehalten habe: "Es ging um ein regelrechtes Tribunal."
Heile Welt des gläubigen Christen
Ausführlich zeichnete Richterin Kiss zu Beginn ihrer Urteilsbegründung ein familiäres Sittenbild, wie es Ammann für sich aufgebaut und für allgemeingültig angesehen hatte. Der gläubige Christ, Mitglied der Neuapostolischen Kirche, habe die "für ihn unverständliche Wesensveränderung" seiner Tochter durch ihre Bekanntschaft mit dem Freund als eine "bedrohliche Störung seine perfekten Familienbildes" empfunden. Der Verlust seiner geliebten Tochter an einen jungen Mann habe nach deren Auszug aus der elterlichen Wohnung für Ammann als "Verstoss gegen eines der Zehn Gebote" wahrgenommen.
In der Wirklichkeit aber habe in der Familie "nicht nur heile Welt" geherrscht. Am Arbeitsplatz habe der Angeklagte Kinderpornos konsumiert vorehelich intime Beziehungen gepflegt, was "gar nicht zum Saubermann-Image passte, das er sich selbst aufgebaut hat". In seinem "hierarchisch-konservativen Familien- und Wertesystem" sei Ammann "nicht in der Lage gewesen, eine eigene Position in Frage zu stellen. In einem solchen Weltbild habe es "keine Nuancen" gegeben, sondern "nur heile Welt oder Sodom und Gomorrha". Dadurch seine auch seine absolutistischen "Besitz-Ansprüche gegen seine Tochter" zu erklären. Unfähig, die Bedürfnisse Anderer zu erkennen, habe er gegenüber seiner Tochter jahrlang "übergriffig" gehandelt.
Keine Verwahrung
Zum Strafmass von 14 Jahren Freiheitsentzug sagte die Gerichtspräsidentin, Ammann habe mit seiner "Selbstjustiz" ein "sehr schweres Tatverschulden zu verantworten". Er selbst habe mit "grosser krimineller Energie die Gefahr geschaffen" und sich auch rücksichtslos gegenüber der Familie seines heutigen Schwiegersohns verhalten. Eine Vorverurteilung Ammanns durch die Medien wies die Richterin zurück: Der Angeklagte selbst habe die Medien für seine Sache einspannen wollen.
Eine Verwahrung Ammanns, wie sie die Staatsanwältin forderte, hielt das Gericht jedoch nicht für angebracht, da "keine akute, signifikante Wiederholungsgefahr" bestehe. Die rund 1'200 Tage Haft werden Ammann an der Dauer des Freiheitsentzug gutgeschrieben, so dass er bei weiterhin guter Haltung nach sechs bis sieben Jahren auf freiem Fuss wäre. Seiner Tochter muss der Angeklagte eine Genugtuungssumme von 30'000 Franken, dem Schwiegersohn eine von 20'000 Franken zahlen. Ob Ammann, der die Urteilsverkündigung regungslos entgegen nahm, appellieren wird, ist nach Angaben seines Verteidigers noch offen.
Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss hielt die Zügel während der Hauptverhandlung jederzeit in der Hand. Ihre Urteilsbegründung beeindruckte durch profunde Aktenkenntnis, Präsenz, Fairness und Deutlichkeit.
12. November 2010
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