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"Aufbau von unten": Muslime-Repräsentant Hisham Maizar
Islamische Vereinigungen in der Schweiz stark zersplittert
Ein nationaler Dachverband aller 350'000 Muslime blieb bisher ein unerfüllter Traum
Von Beat Stauffer
Seit Jahren versuchen Muslime, die in rund 300 Vereinen und Stiftungen aufgesplitterte muslimische Gemeinschaft der Schweiz in einen nationalen Dachverband zusammenzufassen. Bis jetzt ohne wirklichen Erfolg. Heute stehen sich zwei grosse Dachverbände gegenüber, die beide für sich in Anspruch nehmen, die Schweizer Muslime zu vertreten.
Wer sich näher mit den über 300 verschiedenen Moscheevereinen, islamischen Stiftungen und Verbänden befasst, bekommt es unweigerlich mit einem Stück Orient zu tun: So opak, undurchsichtig und verwirrend präsentieren sich die Verhältnisse. Auch ausgewiesene Kenner tun sich schwer damit, den Durchblick zu behalten und die Dinge einordnen zu können.
Verwirrende Namensgebungen
Dasselbe trifft, wenn auch in geringerem Ausmass, auf die Dachverbände zu, welche den Anspruch erheben, die Moscheevereine auf nationaler Ebene zu vertreten. Auch hier findet sich ein Mangel an Transparenz und eine Orientierung an starken Figuren, die, so argwöhnen Kritiker, von ferne an die Verhältnisse in vielen islamischen Ländern erinnert. Dazu kommt, dass sich viele Verbände einen Namen gegeben haben, der wenn nicht als irreführend, so doch als höchst unpräzis bezeichnet werden muss. So existieren heute mindestens fünf Organisationen, die von ihrem Namen her den Eindruck erwecken, sie stellten eine Art Dachverband der Schweizer Muslime dar - so etwa die 1978 gegründete "Föderation islamischer Vereine der Schweiz", zu welcher heute gerade mal noch fünf türkische Moscheevereine gehören.
Diese verwirrenden Namensgebungen spiegeln die seit langen Jahren unternommenen Versuche, die Muslime in der Schweiz in einer Art Dachverband zusammenzufassen, um ihren Anliegen mehr Gewicht zu geben und um den Behörden gegenüber als legitimer Gesprächspartner auftreten zu können. Diese Versuche sind bis anhin alle gescheitert; die Unterschiede und Divergenzen zwischen den verschiedenen Herkunftsregionen, Ausrichtungen und religiösen Traditionen zugehörigen Muslimen in der Schweiz erwiesen sich als zu gross.
Heu nicht immer auf der gleichen Bühne
Heute stehen sich zwei grosse Organisationen gegenüber, die sich de facto konkurrenzieren: Die "Koordinationsstelle Islamischer Organisationen Schweiz" (KIOS) und die "Föderation islamischer Dachverbände Schweiz" (Fids). Während die KIOS schon beinahe 10 Jahre existiert, wurde die Fids erst im April 2006 ins Leben gerufen. Hinter den beiden Organisationen stehen je zwei charismatische Figuren, welche massgeblich bei der Gründung ihrer Organisation gewirkt haben und bis heute das Heft in der Hand halten: Der aus dem Iran stammende Entwicklungssoziologe Farhad Afshar (KIOS), der an der Uni Bern doziert, und der in Palästina geborene Mediziner Hicham Maizar (Fids), der als in der Ostschweiz eine Arztpraxis betreibt. Die beiden Exponenten vertreten gegenwärtig den Islam in dem von den Landeskirchen ins Leben gerufenen "Rat der Religionen".
Dass Afshar und Maizar das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben, ist mittlerweile bekannt. Während Maizar als pragmatisch eingestellter Muslim gilt, der sich für eine Politik der kleinen Schritte einsetzt und alles vermeidet, was schweizerische Sensibilitäten verletzen könnte, ist Afshar wiederholt durch erstaunlich forsche Auftritte aufgefallen, die nicht selten in Anklagen gegen die Schweiz und gegen den Westen münden. Dazu kommt, dass Afshar, wenn überhaupt, äusserst zurückhaltend kommuniziert. Immer wieder hat er sich auch geweigert, zu bestimmten Fragen Auskunft zu erteilen. Genau diese Informationspolitik ist Afshar nun im Zusammenhang mit dem Projekt einer neuen Moschee in Bern zum Verhängnis geworden. Damit dürfte er auch in Kreisen, die ihm im Prinzip positiv gegenüberstehen, einiges an Sympathie verloren haben.
Keine demokratische Legitimation
Die beiden Kontrahenten, so der Eindruck, unterscheiden sich auch in einem anderen, zentralen Punkt: Während Maizar klar für einen Aufbau von "unten" plädiert und funktionierende kantonale oder regionale islamische Verbände auf einer höheren Ebene föderieren möchte, scheint der KIOS-Präsident eher für eine Initiative von "oben" zu setzen. Dabei anerkennt Afshar durchaus, dass die KIOS zurzeit über keine demokratische Legitimation verfügt.
Ob diese andere Vorgehensweise wirklich die Hauptursache dafür ist, dass die beiden Organisationen nicht zusammenspannen, oder ob es nicht in erster Linie persönliche Unverträglichkeiten und Machtansprüche sind, lässt sich nicht wirklich ausmachen. Fakt ist, dass die beiden Organisationen um den Anspruch rivalisieren, die Schweizer Muslime auf höchster Ebene zu vertreten. Dabei ist es Hicham Maizar innert eines guten Jahres gelungen, einen beachtlichen Teil der muslimischen Verbände mit insgesamt über 150 Vereinen in 16 verschiedenen Kantonen für seine Föderation zu gewinnen. Dazu gehören etwa die muslimischen Verbände der Ostschweiz (DIGA), der Region Luzern (VIOKL), des Aargaus (VAM), die in der Westschweiz stark vertretene "Ligue des Musulmans de Suisse" und zahlreiche albanische Vereine. Doch der grösste muslimische Dachverband der Schweiz, die Zürcher VIOZ, macht weiterhin bei der KIOS mit, ebenso die Basler Muslimkommission (BMK) und der Berner Muslimverband Umma.
Wenig Klarheit vorhanden
Hicham Maizar scheint dies kalt zu lassen. Zum einen wirft er die Frage auf, ob die KIOS "wirklich ein Dachverband" sei. Dabei lässt er Farhad Afshar gegenüber gewisse Vorbehalte erkennen. Zum andern, sagt Maizar, sei einiges unklar in Verbänden, die sich der KIOS angeschlossen hätten, so etwa der Berner "Umma". So sei jüngst wieder ein führendes Mitglied aus diesem Verband ausgetreten, und der Imam eines Berner Moscheevereins mache zwar als Einzelperson mit, nicht aber als Vertreter seiner Moschee. Entscheidend sei für ihn aber in erster Linie, so Maizar weiter, dass seine Organisation von "unten" aufgebaut werde und sich an demokratischen Prinzipien orientiere. In den Vereinen, so gibt sich Maizar überzeugt, könnten die Mitglieder ihre "ethnisch geprägte Identität" pflegen. Doch darüber hinaus gebe es gemeinsame Interessen als Muslime; und um diese wirkungsvoll durchsetzen zu können, brauche es eben einen nationalen Dachverband.
Wer den Versuch unternimmt, sich bei muslimischen Exponenten in dieser Sache etwas umzuhören, erhält kaum mehr Klarheit. Die VIOZ sei nicht Mitglied bei der KIOS, sondern unterstütze lediglich deren Bemühungen, präzisiert etwa der Zürcher VIOZ-Präsident Ismail Amin. Im Moment unterstütze sein Verband in der Tat Farhad Afshar, erklärt Amin, doch eigentlich sei es für die VIOZ nebensächlich, welche Person sich um dieses wichtige Anliegen bemühe. Dann führt Amin aus, dass die erste Priorität darin liege, zuerst einmal funktionierende Strukturen auf kantonaler Ebene aufzubauen und erst dann einen Schritt weiterzugehen. Dazu müssten vorgängig Statuten ausgearbeitet werden, und selbstverständlich müsste der Präsident eines nationalen Dachverbands sich einer Wahl stellen.
Mit diesen Ideen positioniert sich Amin allerdings sehr nahe bei der neuen Muslim-Föderation Fids. Weshalb, so die Frage, hat sich denn keine Zusammenarbeit ergeben? Hicham Maizar habe sich nie offiziell mit der VIOZ in Verbindung gesetzt, lautet die Antwort, welche wiederum einiges offen lässt. Und Amin fügt an: "Die Kontakte sind häufig sehr schwierig."
Auch Ramadans Verein ist dabei
Wo aber steht die noch junge Föderation der islamischen Dachverbände? Was für eine Art von Islam möchte sie vertreten? Maizars Antwort ist sehr allgemein gehalten. Die Fids positioniere sich "neutralisierend in der Mitte". Die Haltung der einzelnen Vereine, die sich der Fids angeschlossen haben, werde "andauernd überprüft", um "Exzesse in die eine oder in die andere Richtung zu verhindern".
Doch vertreten nicht die meisten islamischen Vereine in der Schweiz eine eher konservative, fromme Auffassung des Islam? Er halte dies für sehr problematische Begriffe, antwortet Maizar. Doch in der Tat hielten sich die meisten der in Vereinen organisierten Muslime "an gewisse Prinzipien". Sie seien allerdings "eher moderat" in ihrer Haltung und hätten begriffen, dass sie nicht in ihrer Heimat, sondern in der Schweiz lebten. Von den Sympathisanten islamistischer Gruppierungen, die unter Muslimen aus arabischen Ländern und vor allem unter Asylbewerbern zahlreich vorhanden sind, geht für Maizar keine Gefahr aus: Ihr Einfluss werde niemals dominant werden, weder in ihren Vereinen noch in der Föderation. Dasselbe gelte für Hani Ramadan, den Direktor des islamischen Zentrums in Genf, der es durch seine Äusserungen über die Steinigung von Frauen zu landesweiter Bekanntheit gebracht hat und dessen Verein sich ebenfalls der Föderation angeschlossen hat: Ramadan sei ein "Einzelfall", und es werde ihm nicht gelingen, seine Föderation umzukrempeln.
Stockkonservativer Referent eingeladen
Nicht alle Beobachter und Akteure teilen diese optimistische Einschätzung. Die Politikwissenschafterin Elham Manea, die das "Forum für einen fortschrittlichen Islam" (FFI) mitbegrüdnete, weist etwa darauf hin, dass die westschweizerische Muslim-Liga im Mai 2007 Salman al-Aouda, einen stockkonservativen Referenten aus Saudi-Arabien zu einer Tagung eingeladen habe, die dem Thema der Integration von Muslimen in der Schweiz gewidmet war. Da die Schweizer Behörden al-Aouda das Einreisevisum verweigerten, habe die Liga den Gast per Videokonferenz zugeschaltet. Sie fände es "unglaublich", empört sich Manea, dass die Liga ausgerechnet einen Wahhabiten für eine solche Veranstaltung verpflichtet habe. Wenn in der Schweiz nicht aufgepasst werde, befürchtet Manea, könnten auch hier schon bald "Verhältnisse wie in Grossbritannien" entstehen.
Hicham Maizar, aber auch die meisten offiziellen Vertreter von islamischen Verbänden, können mit solchen Ansichten wenig anfangen. Beim "Forum für einen fortschrittlichen Islam" handle es sich um eine kleine, ja um eine "winzige Minderheit", die für sich nicht in Anspruch nehmen könne, Interessen von Muslimen zu vertreten. Zudem polarisiere es sehr stark. Dem widerspricht die FFI-Präsidentin Saida Keller-Messahli vehement. Zwar sei das FFI noch eine junge und zahlenmässig recht kleine Gruppierung, doch die zahlreichen Reaktionen zeigten, dass sich viele Musliminnen und Muslime von diesen Ideen angesprochen fühlten.
Kaum ideologische Unterschiede
Auch für aussenstehende Fachleute bleibt in dieser Sache einiges unklar. "Ich habe bis heute nicht herausgefunden, worin sich die beiden Dachverbänden inhaltlich unterscheiden", sagt etwa Christoph Peter Baumann, Gründer und Leiter von Inforel, einer in Basel domizilierten neutralen Informationsstelle über religiöse Bewegungen. Sowohl in der KIOS wie auch in der Fids seien verschiedene Ausrichtungen vorzufinden. Baumann teilt dabei die Auffassung des "Forums für einen fortschrittlichen Islam", dass die in Vereinen organisierten Muslime "mehrheitlich fromm bis konservativ" sind. Grundsätzlich hielten sich viele säkulare, aber auch nicht praktizierende Muslime "draussen" und engagierten sich nicht im Rahmen eines Moscheevereins. Diese Muslime würden bis heute von keiner Organisation wirklich vertreten.
Diese Auffassung teilt auch Ismail Amin, der Präsident des kantonalzürcherischen Dachverbands VIOZ. Doch auch diese Muslime seien froh, dass es Organisationen gebe, welche sich um religiöse Angelegenheiten und Angebote kümmerten, sagt Amin. Eine andere Frage ist, welcher Anteil dieser nicht-praktizierenden Muslime dem sogenannt säkularen Flügel zuzurechnen ist.
Oft erstaunlich gut organisiert
Einig sind sich aber alle Befragten in einem Punkt: Zumindest auf der Ebene der Regionen und der Kantone ist es den muslimischen Vereinen häufig gelungen, sich trotz aller Verschiedenheiten zusammenzuschliessen und sich auf einen Minimalkonsens zu einigen. Diese kantonalen Zusammenschlüsse scheinen mancherorts erstaunlich gut zu funktionieren, selbst wenn auch dort das Problem der Vertretung der säkularen Muslime ungelöst bleibt. So scheint es durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen, dass sich diese kantonalen Muslim-Verbände in absehbarer Zeit tatsächlich zu einer Organisation auf nationaler Ebene zusammenfinden.
17. September 2007