Theater Basel, Kleine Bühne
Schweizer Erstaufführung
"DNA"
Autor: Dennis Kelly
Regie: Elias Perrig
Musik: Beat Frei
Bühne: Beate Fassnacht
Mit Niggi Bein, Matthias Holzer, Irina Reinke, Keoma Kaiser, Jeanne Le Moign, Christian Ruprecht, Dominik Lüthi, Andrea Speicher, Julius Schröder, Martin Ganter
Die Peiniger schweigen
Die drei Prügler aus Küsnacht, die derzeit in München vor Gericht sitzen, sie schweigen. Sie schwiegen auch dann, als der Mann vor ihnen sass und redete, dessen Gesicht sie so kaputt getreten hatten – "wie Glas eingeschlagen", so eine Gerichtssprecherin –, dass er weitere Operationen braucht, und sein Leben wohl fortan vom täglichen Leiden an dieser Prügelattacke bestimmt sein wird. Sie, die noch Halbwüchsigen, schaffen es, zu schweigen, es "durchzuhalten", stundenlang, tagelang, weil sie denken, dass sie so eine weniger lange Gefängnisstrafe erhalten werden.
Welch ein Leben muss das sein, wenn man eine weniger lange Gefängnisstrafe durch taktisches Schweigen erwirken konnte, nachdem man das Leben Anderer verpfuscht hat? Wenn die ganze Energie in das Schweigen geht, wo sie auch in die Auseinandersetzung mit der Tat gehen könnte? Vielleicht auch in Reue? Hält das die Seele aus? Das von Medien mitgewirkte Bild zeigt Coolness und die weckt Unbehagen. Haben wir eine Prügel-Jugend?
Genau in dieser Woche, in der jedes Fingerzucken in München sofort in Schlagzeilen für Millionen festgesetzt wird, zeigt das Theater Basel auch eine Jugendbande, die schweigt, die es "durchhält": Sie hatte einen Jungen in den Tod geschickt. Nein, keine Jugendgang in L. A., sondern normale europäische Mittelständler; einer von ihnen will Zahnarzt werden.
Ihre Spielfläche auf der Kleinen Bühne ist ein Feld voller offener Luken und Löcher, über das die Jugendlichen "immer vom Absturz bedroht" balancieren. Mark und Jan schildern, sie hätten Adam nur so zum Spass gequält, Zigaretten an ihm ausgedrückt. Auch im Gesicht. Sie hätten ihn auch über die Schnellstrasse gehetzt. Er wollte halt dabei sein, und frass dafür auch schmutzige Blätter. Es haben doch alle mitgemacht, ruft Leah. Als Adam über dem Schacht im Wald balancierte, hätten sie Steine nach ihm geschmissen. Und er fiel ins Loch. Vielleicht 50 Meter tief, schwarz, grundlos.
Gelächter zuckt im Gesicht, als einer den komischen Ausdruck von Adam schilderte, im Moment, in dem dieser das Gleichgewicht verlor. Der 40-jährige englische Autor Dennis Kelly dreht die Geschichte weiter: Die Bande geht nicht zur Polizei, sie nasführt sie. Sie legt absichtlich Spuren, tritt Fusspuren in den Wald, versetzen sogar Adams Pullover mit den DNA-Spuren eines Mannes, erfinden einen dicklichen Postboten mit Glatze und schlechten Zähnen als Täterphantom. Ausgerechnet der heulende Brian muss vor der Polizei falsches Zeugnis ablegen, ein Postbote habe ihm im Wald den Penis gezeigt. Diese dicklichen, verwahrlosten Postboten kennen wir ja alle: CSI-Serien und Boulevard-Blätter lassen grüssen.
Das Hirn hinter dem Plan ist Phil. Der schweigt ohnehin schon immer. Jetzt herrscht Not, und er kommandiert. Gegenrede ist keine vorgesehen. Der Plan gelingt. Er gelingt so gut, dass die Polizei den Mann fasst. Welchen Mann denn? Einen Postboten, dicklich, schlechte Zähne, mit DNA-Spuren in Adams Pullover. Die dumme Cathy hätte den Pullover bloss mit Spuren irgendeines Mannes versetzen sollen, aber im Günstlingseifer hielt sie sich an Phils Täterprofil. Nun ist ein Unschuldiger im Gefängnis, erdrückt von einer künstlich herbeigeführten Beweislast. Für Phil gibts keinen Rückweg. Der heulende Brian muss exakt den Mann als denjenigen "erkennen", der ihm den Penis gezeigt haben soll. Ansonsten will ihn Phil allen Ernstes den Schacht runterschmeissen. Alles gehorcht, alles schweigt, alles klappt. Bis der totgeglaubte Adam wieder auftaucht.
In Kellys Stück wirken die Figuren wie nette Everybodys, die keiner Fliege was leide tun können. Zur Schweizer Erstaufführung in Basel liess Schauspieldirektor Elias Perrig ein Jugendensemble auflaufen, und die mussten nun Kellys Text nachspielen. Der besteht, wie immer bei Kellys Stücken, aus Stammeleien, beredten Pausen, Abbrüchen mitten im Satz, Redeschwällen: Eine simulierte Natürlichkeit, die Menschen im roten Drehzahlbereich zeigt. Das ist auch für Profis schwer, eine technische Herausforderung. Die Jugendlichen packten ihre Figuren diszipliniert mit klarer Kontur an und schlugen sich, gemessen an der hohen Anforderung, recht ordentlich – nach neunzig spannenden Minuten eifrig beklatscht vom Jugend- und Lehrer-Publikum. So weit so gut. Nur: Wäre nicht mehr herausgekommen mit Profis und einer straffen Wortregie, die die Abgründe ausgeleuchtet hätte?
Aber Regisseur Perrig investierte nun in Dämonisierung statt Erhellung: Mit düster krachendem Gedröhne unterbrach er das Stück wie Werbe-Trenner die amerikanischen Krimiserien – immer mit textlichem Cliffhanger natürlich. Aus dem Untergeschoss liess dabei er gleissendes Licht an die Hinterwand knallen – mit zum Krach tanzenden Schatten. Ob solches Suspense-Huhu nicht genau Kellys Absichten hintertreibt, normale Menschen in ausserordentlichen Situationen zu zeigen?
Wirklich interessant war am Ende nur zweierlei: Der Boss dieser Jugendbande ist nicht der Kraftmeier John Tate, der alle mit der Faust bedroht, sondern ein intelligenter Autist, Phil, der unberührt von allem Marmelade-Waffeln in der Mundhöhle versorgt und ultimativ Mordbefehle ausgibt. Keoma Kaiser wagte es über weite Strecken, so banal böse zu sein, dass es unheimlich wurde. Und zweitens: Die Jugendlichen wichen niemals zu einer erwachsenen Bezugsperson aus. Was man als Kellys Gang-Romantik abtun könnte, mag vielleicht dennoch einen zeitkritischen Hinweis auf das Schweigen geben, indem die Erwachsenen-Welt heute weniger Vertrauen zu wecken vermag.
Soviel sei noch verraten: Das Schweigen bekommt in diesem Stück niemandem gut.
13. März 2010