Theater Basel, Kleine Bühne
"Der Zauberberg"
Nach dem Roman von Thomas Mann
Bühnenfassung von Thom Luz und Bettina Ehrlich
Inszenierung: Thom Luz
Bühne: Stephan Weber
Licht und Kostüme: Tina Bleuler
Dramaturgie: Bettina Ehrlich
Musikalische Leitung: Mathias Weibel
Mit Martin Gantenbein, Peter Jehle, Chantal Le Moign, Sebastian Ledesma, Markus Mathis, Daniela Pintaudi, Cathrin Störmer, Vera von Gunten, Sylvester von Hösslin, Mathias Weibel
Zu lang geratene Geisterbahn
Genau die Aussicht auf die "Unmöglichkeit", den 1000-seitigen Roman Thomas Manns auf der Bühne erzählen zu können, habe ihm "gefallen", sagt Thom Luz im Interview (Programmbüchlein). Um gleich darauf, wie ein Kind zu rufen: "Schau, ein Rotkehlchen!" So unbeschwert schien der 33-jährige Regisseur die Aufgabe mit dem Jahrhundertroman von 1924 anzugehen – und scheiterte am entscheidenden Punkt: Er vernachlässigte die Hauptfigur Hans Castorp. "Endlos fasziniert" von der "Rätselhaftigkeit" des Romans inszenierte Luz einen psychedelischen Tanz der Todgeweihten, den Handlungsort – die Davoser Lungenheilstätte "Berghof" – als schattenhaftes Übergangsreich.
Er tut es einfallsreich, durchaus effektvoll, detailversessen. Castorp (Sylvester von Hösslin) guckt zunächst länger durch eine Bodenluke, als wäre er, der gesunde Gast seines kranken Vetters Joachim Ziemssen (Markus Mathis), unentschieden, ob er dieses Reich überhaupt betreten solle. Alle grinsen blöde. Das Licht ist grell gilbe, die Stimmung übermütig. Patienten und Ärzte, allesamt in schwarz (Kostüme: Tina Bleuler), vollziehen auf den vielen die Wände säumenden Harmonien und Klavieren eine Kakophonie wie am Kindergeburtstag.
Einer geht in Slow-Motion über die Bühne, spricht beschwörend und tonlos ins Publikum. Andere tauschen, immer wieder von Neuem, endlose Hin- und Her-Begrüssungsküsse. Jemand rezitiert in der Ecke leidenschaftlich aber unhörbar Texte. Ein Mal vereinigt sich das "Berghof"-Personal zu einem Lalala-Chor: Die Amateurstimmen wimmern die Lohengrin-Ouvertüre. Um von da weg wieder in das präzise choreographierte Gewusel zu verfallen aus verlangsamten Gängen, angehaltenen Gesten, Klimpereien, Textrezitationen.
Wir hören viel Musik, Romantisches, Neutönerisches, Schlagerpopuläres aus den Jahren der Spielzeit um 1907 oder älter; ergänzt mit dem nicht enden wollenden Fd-Fd-Fd einer ausgelaufenen Schallplatte, unergründlich tiefen Basstönen, Chor-Akkorden im Endloshall, hypnotischen Loops wird das Auditorium so permanent beschallt, dass ich mich benommen wie neben einer Kirche bei Vollgeläute fühlte.
Auch an Symbolen fehlt es nicht. Ein Glühbirne gleitet vom Himmel hoch hinab durch die Bodenluke. Ein raucherfüllter, lichtgefluteter Aufzug öffnet seine Doppeltür. Immer wieder senkt sich im Zeitlupentempo ein schwerer schwarzer Vorhang, wohl im Doppelsinn als den Tod, der im Sanatorium zuschlägt, aber auch als Tag-Nacht-Wende gemeint. Denn der Roman behandelt ja das Zeitempfinden Hans Castorps, der anstelle der geplanten dreiwöchigen Ferienreise am Ende sieben Jahre im Berghof verbringen wird, ohne ernstlich krank zu sein.
In den Halbtotentanz werden – mal nach Romanreihenfolge, mal auch nicht – einige zentrale Handlungselemente eingestreut, mehr blass skizziert als ausgespielt: Castorps Affäre mit Madame Chauchat (Zoe Hutmacher), die philosophisch-kulturgeschichtlichen Streitereien des Humanisten Lodovico Settembrini mit dem zynisch gewordenen Jesuiten Naphta (beide: Cathrin Störmer), der Schneesturm, in dem sich Castorp verirrt, die spiritistische Sitzung. Dass in der letzten halben Stunde auf der Bühne nur mehr Düsternis herrscht, mag man als die Verstumpfung Castorps deuten.
Es ist eine eigenartige Stilmischung: Die skurrilen Elemente, etwa wenn gesungen wird oder die ironischen Kommentare Manns zu hören sind, erinnern an Marthaler, alles andere aber an den Film "Letztes Jahr in Marienbad" (1961) von Alain Resnais, der wie hier das Publikum in eine Zeitblase entführte, der es wie hier dem Publikum überliess, die verwirrend montierte Geschichte zu rekonstruieren, in dem wie hier Harmoniumklänge hypnotisch die Choreographie von Gängen und Gesten, von Repetitionen und Zeitsprüngen im Eindruck steigerten. Dem Film warf man Formalismus vor, man kann dies auch Thom Luz vorhalten.
Denn in dem Gewebe, das gegen Ende wie eine zu lange geratene Geisterbahn wirkt, geht die Figur Castorps völlig unter aber auch dessen Tragik, dass Thomas Mann einen karikierenden Bildungsroman schrieb, in dem er seinen Romanhelden und mit ihm eine gesellschaftliche Sphäre zu Grunde gehen lässt. Welches Verhältnis hat Luz zu Castorp? Was ist das Problem des lebensuntüchtigen Mannes? Warum brauchte diese Geschichte einen solchen Fokus? Welche Rolle spielt Settembrinis Denken für die Geschichte, für Castorp? Oder Madame Chauchat? Wir erfahren davon nichts. So bleibt die Aufführung zwar über weite Strecken unterhaltsam, aber in den wesentlichen Punkten oberflächlich und unentschieden.
24. Januar 2015