Theater Basel
Schauspielhaus
"Frankenstein"
nach dem Roman von Mary Shelley
Regie: Philipp Stölzl
Textfassung: Jan Dvorak und Philipp Stölzl
Dramaturgie: Jan Dvorak
Bühne: Heike Vollmer, Philipp Stölzl
Kostüme: Kathi Maurer
Komposition: Jan Dvorak
Entwurf Puppe: Marius Kob
Mit David Berger, Urs Bihler, Sebastian di Franco, Dirk Glodde, Zoe Hutmacher, Joanna Kapsch, Leonie Pitttet, Marie Popall, Florian Müller-Morungen
Puppenspieler: Christian Pfütze, Lisa Wilfert, Nina Maria Wyss, Marius Kob
Matrosen, Handwerker, Bauern: Valentin Klos, Tom Kramer, Kay Kysela, Marie Popall, Maximilian Reichert, Simon Roffler
Trockeneis über dem Gräberfeld
Nach den drei Stunden schien der Jubelsturm nicht aufhören zu wollen. Die Schreie, Pfiffe, das Fussgetrampel gingen erstens an die Seele des Abends: Cathrin Störmer hatte dem Monster eine Stimme verliehen, die selbst durch den Stimmverzerrer noch mütterlich und aufnehmend klingt. Wenn sie liebend fleht, hasserfüllt aufschreit, ängstlich wimmert, böse krächzt, kindlich weint, so erfüllt sie genau die Absicht von Regisseur Philipp Stölzl und Dramaturg Jan Dvorak: Wir sollen den ganzen Abend lang Mitleid haben mit der Kreatur, die uns abstösst.
Das Ding mit Totenschädel, durchsichtiger Gazehaut über dem Brustkorb, blanken Knochenarmen, das der Medizinstudent Victor Frankenstein zu Leben erweckt haben soll, stellt diese Gefühlsspannung auf Anhieb her. Das fast drei Meter hohe Gebilde (Entwurf: Marius Kob), jederzeit geführt von drei Puppenspielern, ist vielleicht die beste Erfindung des Abends und verbannt Boris Karloffs Quadratschädel aus dem Film von 1931 erfolgreich aus der Erinnerung.
Den Jubel erntete zweitens Philipp Stölzl, der aus seiner ersten Schauspiel-Inszenierung opulentes Breitleinwandkino-Theater machte. Der Regisseur von Mainstream-Filmen wie "Der Medicus" oder "Goethe!", von Videos für die Rockband "Rammstein" oder für die Werbung, spart nicht mit allerlei Effekten: Dramatische Massenszenen, die von tonlosen Slow Motion-Einschüben unterbrochen werden, üppige Trockeneisschwaden, die über ein Gräberfeld ziehen oder die Schneefelder der Arktis einnebeln. Fast immer geben drei wimmernde Celli mit ihrem Soundtrack dem Publikum die Emotion vor. Aus dem Off kreischen die Möwen, heult der Wind.
Geschickt hat Dramaturg Jan Dvorak den mit langen Bögen verschachtelten Roman Mary Shelleys von 1818 in einen Fluss aus kurzen, bildwirksamen Spielszenen und Off-Monologen gebracht, die Geschichte dazu um einige Wendungen verkürzt.
Nahe dran am und rund um das Bühnengeschehen sitzt das Publikum: Der ausgebildete Bühnenbildner Stölzl liess eine mächtige Spielfläche, von meterhohem Maschenzaun umgeben, mitten ins Auditorium bauen. Dort wird es fast hautnah Zeuge, wie der Bauernmob schreiend mit Äxten und Hämmern das Ungetüm töten will, wie Frankenstein (David Berger) das Monster-Weibchen, das er seiner Kreatur versprochen hatte, noch halbfertig wieder zerreisst, wie das Monster seine Verlobte Elisabeth (Zoe Hutmacher) und seinen jüngsten Bruder Wilhelm erwürgt, wie es nach mörderischer, gegenseitiger Jagd in die Arktis endlich seinen Schöpfer tot auffindet und weinend zusammenbricht.
"Am schönsten finde ich, wenn im Theater eine Geschichte erzählt wird, in die man auch als 13-Jähriger sitzen kann – und mitkommt", so liess Stölzl sich in der "Basellandschaftlichen Zeitung" zitieren, und daran hat er sich gehalten. Alles ist leicht verständlich. Brüche gibt es keine. Fragen auch nicht. Wir folgen nicht den Argumenten eines Dramas sondern den gefühlsmässigen Sensationen, die die Schauergeschichte immer wieder von neuem bereithält.
Wichtig war Stölzl nicht wie im Roman Frankensteins Drama des sich isolierenden Kulturmenschen oder sein Machbarkeitswahns im Sog der Aufklärung, sondern das, was er auslöst: Eine schuldlos reine, aber hässliche Kreatur hat er auf die Welt geworfen, die sich (ohne Herleitung) anfangs nackt im Wald wiederfindet, sich am Ende, allein dank der bösen Welt selbst schuldig geworden, umbringt. Eindeutig wie in der TV-Serie werden die Emotionen ausgespielt. Ambivalent wirkt nicht mal der selbstquälerische Frankenstein. Der ist in Stölzls Regie halt einfach irgendwie krank.
Stölzls Unterhaltungstheater ist in jeder Minute gekonnt erzählt. Stil und Rhythmus werden auch da durchgehalten, wo er kleine Ironisierungen einbaut, etwa wenn er die Mannschaft eines Nordpol-Forschers in russischem Akzent aufbegehren lässt. Oder dass er die Sprecherin Cathrin Störmer plötzlich in die Szene treten lässt, wo ihre Nähe zum Monster fast schon einen anwaltlichen Zug gewinnt, das muss man erstmal können, ohne dass es wie mutwillig kreativ wirkt.
Mutwillig bleibt jedoch im Eindruck der Schwulst, mit dem das Monster gefühlsselig im inneren Monolog den eigenen Wandel von einem Ausbund an Liebe zu einem Kindermörder schildert. Von Beginn weg stehen ihm Begriffe von einer Dichte wie Schicksal, Geduld, Güte zur Verfügung, die ein in Gesellschaft geformtes Geistesleben voraussetzen. Mutwillig ist das deshalb, weil der Fall eines edelmütigen Gebildeten weit schmerzhafter wirken soll als der eines groben Monsters, das immer nur um das Überleben kämpfen musste. Also so, wie es eigentlich seine Geschichte erzählt.
20. September 2014