Theater Basel, Hotel "Dorint"
Uraufführung
"Expats. Eidgenossen in Shanghai"
Ein Auftragswerk des Theater Basel
Autorin: Gesine Schmidt
Regie: Antje Schupp
Bühne: Eva-Maria Bauer
Kostüme: Claudia Irro
Dramaturgie: Eva Böhmer
Mit Ariane Andereggen, Andrea Bettini, Christian Heller, Claudia Jahn, Johannes Schäfer, Mareike Sedl
Sex, Geld und Dreckluft in Shanghai
Der Hammersatz kommt ganz am Ende: In zehn Jahren braucht Shanghai unsere Schweizer Fachkräfte nicht mehr. "Dann ist der Wissenstransfer erledigt. Dann gibt's keinen Vorsprung mehr", sagt Cheng (44), chinesischer Bereichsleiter einer Schweizer Firma in Shanghai. Ein Glück vielleicht, dass dieses Mal ein Basler Regierungsrat an einer Schauspielpremiere zugegen war. Baudirektor Hans-Peter Wessels könnte die Aussage bei Gelegenheit im Kollegium vortragen. So als Gesprächsbeitrag etwa, dass sich der globale Standort-Wettbewerb für Basel noch verschärfen werde. Ist ja brisant.
Allein, ändern wird das gar nichts. Denn die 23 Millionen-Metropole rauscht uns eh davon. Dort hemmt keine Einsprache den wirtschaftlichen Aufstieg. 12'000 US-Dollar monatlich betrage das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bereits, bis in drei Jahren sollen es 20'000 sein, trägt ein Schweizer Konsul vor. Die Chinesen seien nicht so romantisch wie die Schweizer Männer, so wieder Cheng.
Zumal es in Shanghai nur um das Geld und den hierarchischen Status gehe. Das sagen alle Leute, die wir als Publikum im Basler Hotel "Dorint" – indirekt - antreffen. Indirekt darum: Autorin Gesine Schmidt hat in Shanghai mit 20 sogenannten Expats, Schweizern, Interviews geführt. Aus deren acht hat sie Monologe geformt. Nun schickt uns das Theater Basel in Gruppen durch Konferenzräume, Schlafzimmer, in die Lobby, wo uns jeweils Schauspieler eben diese Monologe vorspielen. Unsere Rolle dabei: Wir sind neue Expats, frisch eingetroffen im Shanghaier Hotel, die dort die bereits Ansässigen (und Cheng via Video-Interview) antreffen.
Zum Beispiel im Schlafzimmer die erschöpfte 41-jährige Verena (Sedl). Die Projektmanagerin baut Hochhäuser. Viel zu weich dazu ist aber nicht bloss der Shanghaier Boden; die Abmachungen, an denen Millionen Dollar hängen, lassen sich auch nicht in den Köpfen der chinesischen Geschäftspartner richtig verankern. Weder wird Klartext geredet noch das Besprochene vertragsgemäss umgesetzt. Um mit solchen Sitten klar zu kommen, hat sie einen Coach engagiert. Am freien Samstag. Es sei schon so: Sie arbeite sieben Tage die Woche. Und schon klingelt das Handy, sie schickt uns weg.
Wie gross die Dimensionen, wie hart die Bandagen hier sind: Die überspannte Turn around-Spezialistin Astrid prügelt es uns im Seminarzimmer in uns hinein. Wer diesen Millionen-Markt nicht mit Spitzenprodukten und vor allem vielen Millionen bearbeite, könne gleich nach Hause. Claudia Jahn springt uns an wie eine Pantherin. Das Publikum verschränkt schutzsuchend die Arme.
Das Geld hat auch den 24-jährigen Buchhalter Jan (Schäfer) hier her gelockt, ein ehrlicher, egoistischer Jungspund. Seinen Ekel vor den Essenssitten, erzählt er uns im Restaurant, hat er endlich überwunden. Demonstrativ spuckt er Gemüse aus der Suppe (wir dürfen auch essen) auf den Tisch. Das dürfe man hier in China. Das Wichtigste sei hier aber, dass man jemanden kenne, den man fragen könne, ohne langwierige Umwege über offizielle Kanäle nehmen zu müssen. Bald will er einen Handel in die Schweiz aufziehen. Keine Frage, er will bleiben.
Völlig heimatlos fühlen sich jedoch Niki (Andereggen) und ihr Mann Florian (Heller), dem als Leiter Controlling hier ein Job angeboten wurde. Die dreckige Luft, der Überwachungsstaat, die sozialen Ungerechtigkeiten, die fehlenden Manieren bringen die Ärztin aus der Fassung und zerren am Ehegefüge: Vor uns "Gästen" geraten die beiden in heftigen Streit. In der unendlichen Steinwüste Shanghais träumt sie nachts von Landschaften mit Bäumen.
Solche Ehepaare landen etwa bei Pfarrer Martin (Bettini), der uns launig in der Lobby vor allem über die üblichen Beziehungs- und Sexprobleme bei Expats aufklärt. Die Schweizer Männer gingen ja hier rasantem Tempo fremd. Am Schlimmsten seien die Projektingenieure mit kurzer Verweildauer. Andere Ehemänner entdeckten hier nach langer sexueller Abstinenz ihren Trieb wieder. Vor allem aber zeigte er auf die tiefen Gräben zwischen unseren Kulturen: Dass junge Chinesen im Kasernenstil auf einen Berufsabschluss getrimmt, dass junge Chinesinnen mit finanziell guten Partien verheiratet würden.
Für sich genommen erzählen die Monologe für den Konsumenten von News-Magazinen – zumal im Internet-Zeitalter - nichts Neues. Und warum lässt man nicht reale Expats reden? Aber Autorin Gesine Schmidt ist es nach "Der Kick" (Thema: Neonazi-Gewalt) und "Oops, wrong Planet" (Thema: Autismus) erneut geglückt, uns Signale aus intimeren Lebenswelten zu schicken, die so kaum jemand auf einer Bühne ausbreiten würde.
Um so schamloser hören wir zu, suchen in der Darbietung des wiederbelebten Textes unweigerlich die Person, die diese Sätze im Originalton ausgesprochen hatte. So muss es auch kein Problem sein, wenn die Regie (Schupp) den Ehekrach von Niki und Florian zum Slapstick hat ausufern lassen, denn so wird das Drama neu auf den Punkt gebracht.
Indes spricht der Abend eher die Denk- und Vorstellungsmaschinerie an als den Bauch oder gar das Herz. Dazu passt, dass die süssen chinesischen Dekorationen in den Räumen und Gängen mehr als schrilles Zitat wirken denn als Nachbau der Realität. Der Abend wirkt trotz allerlei belastenden Informationen leicht. Mit dem Raum-Hopping und den kurzen Darbietungen verfliegen die drei Stunden wie nichts.
17. März 2013