Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
Kabale und Liebe
Autor: Friedrich Schiller
Regie: Caro Thum
Mit Nicole Coulibaly, Otto Kukla, Chantal Le Moign, Vincent Leittersdorf, Florian Müller-Morungen, Lorenz Nufer, Katharina Schmidt, Raphael Traub
Ein Schiller-Drama light
Ein Durcheinander wie nach Schulschluss: Die Bühne sieht am Ende aus, als hätten Halbwüchsige sich in einer Mensa ausgetobt. Stühle liegen herum, Limonade-Flaschen, der ganze Boden ist klebrig von dem gelben Zeugs. Auf den Plexiglas-Trennwänden sind Slogans der Pubertät hingekrakelt: "Luise liebt Kalb." Oder: "Ich bin weg." Weiter hinten steht: "Ich habe einen Mord begangen."
Nein, hier war kein School-Shooting: Jungregisseurin Caro Thum (26) hat das tödliche Drama der bürgerlichen Geigerstochter Luise Millerin (16), die den adligen Präsidenten-Sohn Ferdinand von Walter liebt, in unsere Zeit transferieren wollen. Nur: Wie geht das bei einem über 200-jährigen Liebesdrama, das Schiller bewusst ganz auf die Schnittstelle unüberwindbarer Standesgrenzen gebaut hatte? Auf den perversen Machtmissbrauch einer enthemmten Hof-Saubande?
Standesgrenzen und Hof-Allmacht muss man sich hier denken; sie werden nicht plastisch. Thum hat also den Schwerpunkt verlagert. Stände und Intrigen sollen nur äussere Widerstände für die Liebe sein: Luise und Ferdinand gehen an ihren eigenen Schwächen zugrunde. Lorenz Nufer spielt den Ferdinand als Germanistik-Studententyp, der feige vor den drängenden Realitäten und seinem mächtigen Vater (Leittersdorf) zurückweicht. Vor Luise schwingt er sich zum poetischen Idealisten auf. Und Katharina Schmidts Luise schwatzt oft klug, aber doch eigentlich altklug – im Grunde ist das alternative Jeansgirl zutiefst zerrissen: Redet fromm von Kirche und versteckt sich vor den Eltern beim Rauchen. Die hohen Liebes-Ideale der beiden kontrastiert Thum mit einer schnusigen Verliebtheitsszene, die aus dem Musenalp-Express stammen könnte.
Und dann hat Thum das grosse Drama auf Vorabend-TV eingedampft. Synthetische Soundflächen, die auch als Werbespots für Handy-Anbieter dienen könnten, zeigen wie beim Fernsehkrimi permanent an, was uns gleich erwartet. Klingts düster, heissts Obacht. Die Charaktere sind auf die heutigen formlosen Durchschnitts-Typen verflacht. Selbst im korrupten, psychopathischen Mördervater steckt noch ein lieber Familienserie-Papi.
Trotz des infantilisierten Personals funktioniert Schillers Hofintrigen-Thriller wie ein Uhrwerk. Aber am Ende, als Ferdinand Luise und sich vergiftet, am Punkt, wo es existentiell wird, da hat man bestenfalls Mitleid. Der Tod Luisens schmerzt einen nicht.
Das Publikum applaudierte kräftig nach den zweieinhalb Stunden. Der Schiller "light" ist süffig. Und zwischendurch wird auch die eigentliche Kraft des Dramas erahnbar.
22. Dezember 2007
"Nichts war 'light' an dieser Inszenierung"
Einspruch, Herr Bühler! "Light" war an dieser Schiller-Inszenierung nun wirklich gar nichts. Caro Thum hat das dramatische Potenzial des Stückes voll ausgeschöpft und ist dabei stellenweise sogar bis an die Schmerzgrenze gegangen. Was Wurm der armen Mutter Millerin antut und wie Ferdinand den Hofmarschall Kalb zurichtet, das lässt sich drastischer wohl nicht zeigen.
Mancher mag das übertrieben finden, aber es passt zu dem Stück, in dem es mehr um fehlgeleitete Emotionen als um (heute uninteressante) Standesgrenzen geht.
Besonders gelungen (und vom Publikum auch besonders honoriert) war die Darstellung des Präsidenten als eines Tyrannen, der sich im ersten Teil hinter alberner Clownerie versteckt, im zweiten Teil aber doch scheitert und in (wirklicher) Verzweiflung endet.
Der begeisterte Schlussapplaus zeugt meiner Meinung nach nicht von der Oberflächlichkeit des Publikums, sondern von einer wirklich hervorragenden Leistung des Ensembles.
Johannes Nordiek, Schopfheim