Theater Basel, Kleine Bühne
Premiere
"Zukunftsmusik"
Sieben Basler Gründen eine Band
Stück: Ensemble
Text und Regie: Caro Thum
Bühne, Kostüme: Beate Fassnacht
Musik: Malte Preuss
Mit Malte Preuss, Julian Bauer, Tezcan Keles, Jael Mittelbach, Chloé Laure, Tina Schai, Lotte Stratenwerth
Education Projekt 2011 des Theaters Basel
"Ich denke, wir können nichts"
Würde eine Schülergruppe das Stück an der Maturafeier aufführen, könnte man die Sache als das anrührend wirkende und in einzelnen Momenten auch gelungene Ergebnis einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung für Laien abtun. Man könnte es sich auch gut vorstellen, wie ein SP wählender Basler Lehrer sich die Story nach den Leitlinien seiner Gesinnung für seine Klasse 3b ausgedacht hat.
Sie geht so: Eine Blinde, ein kurdischer Strassenwischer, eine dicke Punkerin und eine herausgeputzte Zicke gründen eine Musikgruppe. Aber Vorurteile, Unsicherheiten ("Ich denke, wir können nichts") und eine ganze Reihe individueller Komplexe ("Ich denke, ich bin zu fett") verhindern das Zusammenspiel zunächst. Jeder spricht beiseite, was er fühlt: Wir denken, wir sitzen mitten in der Selbsthilfegruppe.
Mühsam tasten sie sich aneinander heran – das ist der Hauptteil des Abends! –, streiten sich sogar. Ein Kassettenrekorder kracht zu Boden. Der leutselige Kurde ist es dann (wer denn sonst?), der mit dem warmherzigen Gesang seiner fernen Heimat das Eis bricht. Die Band kann endlich die (gesellschaftlichen) Schranken überwinden: Selig grinsend finden sie den gemeinsamen Takt – im uniformen, "alternativen" DRS3-Schrummelpunk der neunziger Jahre. Die Girls motzen im Glitterkostüm und Beth-Ditto-Röckchen rockend ab über die gesellschaftlichen Zwänge zu Schönheit und Erfolg. So weit, so naiv, so bieder.
Schwieriger liegt der Fall jedoch, wenn während den 75 Minuten die Frage aufkommt, wem die Aufführung denn eigentlich dienen soll: Den wenigen, jungen Schülerinnen und Schülern, die hier auf Staatskosten zusammen mit Profis mit normalem Probepensum mal als Erfahrung "richtiges Theater" machen dürfen? Oder dem Theater, das so mit einer pädagogischen Produktelinie seinen gesellschaftlichen Nutzen darstellen kann? Oder meint man wirklich auch das Publikum? Nur halb hatte sich zur Premiere das Auditorium der Kleinen Bühne gefüllt – und darunter waren auch merkbar viele Eltern, Freunde, zudem auch Theaterpersonal.
Routiniert vermochte Erfolgs-Regisseurin Caro Thum (Dennis Kellys "Taking care of Baby", 2009) dem Stoff zwar Mehrdeutigkeit und räumliche Wirkung zu verleihen. So erfand sie einen Schlagzeuger im Bärenkostüm (Malte Preuss), der als "Muppet-Animal" quasi der verstockten Jungschar die nötigen Impulse gibt. Oder auch die 83-jährige Lotte, die vom Lehnstuhl aus barsche Sprüche absondert: "Ich mag die Jugendlichen nicht." Und der Kurde zitiert natürlich "Fredrick" Nietzsche.
Aber ohne Elternbrille sah das Publikum gleichwohl einen subventionierten Dilettantenabend, dem die wohlgeordnete Inszenierung, die dramaturgische Cleverness, dazu die Profi-Bühnenmaschine mit Licht, Konfettimaschine und Soundeffekten den Allgemeineindruck eines Profiauftritts verleihen sollten.
Das heisst nicht, dass die jungen Leute ohne Talent wären. Die blinde Tina Schai etwa, offenbar klassisch an der Klarinette geschult, zog ihre Rolle als Tochter aus gutbürgerlichem Hause, die bittersüss-altklug geworden ist, plastisch und plausibel durch. Und der Kurde Tezcan Keles garnierte als Charme-Bolzen die Sympathien reihenweise ab. Lustvoll kokettierte er mit den Vorurteilen, er sei ein in Trainerhose herumschlurfender Sozialhilfebezüger.
Bei anderen liessen sich die in der Rolle vorgesehenen Peinlichkeiten öfters nicht von der Peinlichkeit der Darbietung abheben. Peinlich klischeebehaftet blieben aber auch Regie-Einfälle: Wenn die 83-jährige Lotte es als die Befreiung abfeiert, auf einmal in Rocker-Kluft über die Bühne zu tänzeln, so ist das hier nicht augenzwinkernd gemeint sondern bieder ernstgemeinte Botschaft. Das Publikum applaudierte heftig.
Ich stelle die Frage, ob man den jungen Leuten einen Dienst erweist, sie mit solchen Produktionen über ihr Können ins Unklare zu befördern. Denn gutes Schauspiel ist auch heute noch eine Kunst mit pickelhartem, "eifersüchtigem" Handwerk. Wäre ein Schülerkurs am Theater mit professioneller Wort-Regiearbeit an einem Monolog, die nicht gleich nach der öffentlichen Bühne schielte, nicht realistischer und nachhaltiger als Erfahrung? Und ist die nicht subventionierte Laien-Bühne nicht das bösere und interessantere Pflaster?
25. März 2011
"Peinliche Demagogie"
Lieber Claude Bühler, ich bin nicht ganz einverstanden mit Ihrer Besprechung. Der Abend ist lustvoll und sucht sich zum Glück – für die Zukunft – ein neues Publikum. Aber ich gebe zu, diese ältere Frau in ein Glitzerkostüm zu zwingen ist, eine billige, sogar etwas entwürdigende Effekthascherei. Ihre Bemerkung der "Theatererfahrung auf Staatskosten" allerding, ist läppisch und peinliche Demagogie (er könnte der Feder von Herrn Somm entsprungen sein). Aber klar, die SVP übernimmt diesen Steilpass nur zu gerne.
Markus Vogt, Basel