Theater Basel, Grosse Bühne
Deutschsprachige Erstaufführung
"Das siebente Siegel"
Nach dem Film von Ingmar Bergman
Autor: Ingmar Bergman
Regie: Peter Kastenmüller
Dramaturgie: Martina Grohmann
Bühne: Michael Graessner
Film: Tobias Yves Zintel
Musik: Till Zehnder, Michael Graessner
Mit Martin Butzke, Hanna Eichel, Dirk Glodde, Martin Hug, Benjamin Kempf, Horst Kotterba, Chantal Le Moign, Lorenz Nufer
Bergmans Totentanz
Neben Sex und Geld zieht der Tod am meisten, sagt eine alte Boulevardjournalisten-Regel. Banal vielleicht, aber sie sollte sich auch im Schauspielhaus bewähren. Aufgeregt lachte das Publikum, als der Basler Historiker Franz Egger (auf Leinwand) erzählte, die Tramstation "Totentanz" habe in "Universitätsspital" geändert werden müssen. Basler hätten es offenbar nicht ertragen, am "Totentanz" auszusteigen, wenn sie das Spital besuchen wollten.
Oder mussten. Aber was gibt's da zu lachen? Ehern und unbefragbar steht der Tod da. Ob Himmel, Hölle oder "das Nichts" folgen: Verdammt, wir können einfach nicht nach drüben blicken. Wie sagt Hamlet? Nur wegen der Furcht vor etwas nach dem Tod sind wir willens, alle Plagen zu tragen.
Viel Vorrede. Aber im Filmklassiker "Das siebente Siegel" (1957), der die Vorlage zur Inszenierung ist, geht es um nichts Anderes. Regisseur Ingmar Bergman kehrte eben gerade die Qual des "modernen Menschen" an jener Grenze als die dramatische heraus, als der Tod vor den Kreuzritter Antonius Block tritt und ihn holen will. Der Pfarrersohn Bergman liess seinen Ritter gegen den Tod Schach spielen um mehr Lebenszeit. Kalt verzweifelt empört sich der Filmheld im Beichtstuhl gegen den unsichtbaren Gott und fordert Gewissheit.
Seinen Glauben hat Block auf den Kreuzzügen verloren, von denen er mit seinem Knappen Jöns zurückkehrt. Die beiden treffen auf ein Volk in Angst vor Pest, auf Leichenfledderer, Kriegsverirrte, eine kleine Schauspieltruppe. Eine Hexe wird verbrannt. Prediger eifern. Ein Maler pinselt einen Totentanz in die Kirche. Mit einem Kniff rettet Block die Schauspielfamilie vor dem Tod, bevor dieser ihn selber und alle anderen einholt. Am Schluss steht das berühmte Totentanzbild, das Bergman zum ursprünglichen Theaterstück und zum Film inspirierte.
Regisseur Peter Kastenmüller mochte bei seiner Bühnenversion zwar weder auf Bergmans Story und die bitterironischen Dialoge verzichten noch auf die Stimmung im pestversehrten 14. Jahrhundert. Auf die Bühne hat er ein düsteres, verbranntes Holzhaus mit einem gewaltigen Loch setzen lassen. Links ist die Bühnenwand mit Bildern von Skeletten (Durchleuchtungsfotos) tapeziert. Aber wie oft in unseren vielinformierten Tagen setzte er die Sache mit dem Tod als "Thema" um. Und so werden wir zwei Stunden lang auch mit vielen Gedanken und Betrachtungen ohne Wertung und Ordnung beworfen.
Dazu zeigt er Passagen aus dem Film "Basel 2011" des Berliner Filmkünstlers Tobias Yves Zintel auf Leinwand (siehe auch die Szene am Anfang). Er schneidet diese quasi in Bergmans ursprüngliche Filmhandlung ein.
Da erleben wir unter einigen andern den Fährima Jacques Thurneysen, wie er von einem Brückenspringer erzählt: Der habe sich umbringen wollen, aber im kalten Wasser sei er dann doch um sein Leben geschwommen. Oder der Kurator des Friedhof-Museums Hörnli Peter Galler: Zuerst vergleicht er einen Siegpokal in den Armen von Tennisstar Roger Federer mit einer antiken Urne, dann (die Kamera geht close) ringt er sich die Aussage ab, dass wer anständig lebe, doch nachher nichts zu befürchten habe. Das waren die Lacher.
Kühles Schweigen jedoch herrschte beim Soziologen Dirk Baecker: Wir seien daran, uns als zufällig hingewehte Mikroorganismen ohne jeden übergeordneten Sinnzusammenhang anzunehmen. Er sagte, wir hätten kein Bild mehr vom Tod. Zwischen alle diese Sätze platzierte der Filmemacher eine Abblende und einen frechen "Tschibung"-Tusch.
Das soziale Doku-Fernsehgucken, wo das Basler Theaterpublikum Basel gucken konnte, wirkte hörbar entspannend. Immer schwieriger jedoch wurden die Schnitte zurück in Bergmans Story. Zum einen liegen die stärksten und eindeutigsten Szenen in der ersten Hälfte, zum anderen verlor auch die Inszenierung im weiteren Spielverlauf an Kontur. Mehrere Szenen gegen Ende sind zu wenig griffig ausgeformt oder gehen zu sehr unter im dunklen Hintergrund der Bühne. Verschenkt wurde etwa der Tod des Schauspielers Jonas Skat (Martin Hug im Skelett-Kostüm). Bei Bergman wird sein Baum umgesägt: klares Bild, mit starken Unten- und Obenperspektiven gezeigt. Hier hockt Skat auf einer Alu-Leiter und der Tod zieht sie an einem Draht zusammen, die Leiter fällt. Das ist ausgeklügelt, aber nicht witzig.
Kastenmüller konnte sich offenbar auch nicht klar entscheiden, ob er die Geschichte ins Jetzt verlegen will. So verzichtete er fast ganz auf die bildmächtige Flagellanten-Szene. (Weil es so was heute etwa nicht mehr gäbe?) Und anstelle der Hexenverbrennung erfolgt die Exekution auf einer Art elektrischem Stuhl. Das sieht zwar schaurig aus, wie Chantal Le Moign hinter einem Plastiktuch schreit. Aber warum das so sein muss? Priester beten dazu im weissen Arztkittel: ein Angriff auf die gegenwärtige Wissenschaftsgläubigkeit?
Zudem kriegte die Hexe noch einen längeren Monolog post mortem. Und auch Martin Butzke darf sich als Ritter Block in einem längeren Zusatz-Text über sein verpasstes Leben beschweren. Im Zusammenklang mit den Baslern auf Leinwand, die auch sehr viel erzählen, wird die Vorstellung gegen Ende zu Tode verschwatzt. Die Bühnenstory fällt dabei deutlich gegenüber den Dok-Teilen ab.
Aber es stellt sich die Frage, ob man mit den Mitteln des heutigen Theaters gegen so ein Bildwerk wie das von Bergman überhaupt ankommen kann. Allein die Nahaufnahme mit dem Gesicht des Todes, der Strand zu Beginn, der Hexentransport durch den Wald und vieles andere mehr: Diese mächtigen Eindrücke weckt der Abend als Erinnerung und rennt gleichzeitig vergeblich dagegen an.
Doppelt schwierig auch für die Basler Schauspieler (mit Gästen), die sich einer eingespielten Bergman-Truppe mit Stars wie Max von Sydow gegenüber gestellt sieht. Sie haben einen eigenen Weg gesucht. Martin Butzkes Block ist wütender, fahriger und hochmütiger. Aber dadurch auch weniger tragisch. Horst Kotterbas Jöns ist weniger fatalistisch, aber auch viel spannungsärmer als Gunnar Björnstrand. Dirk Gloddes Tod ist kühl und klar, aber zuweilen mutwillig. Etcetera.
Das grossmehrheitlich reife Publikum (das wohl den Film kannte), applaudierte nach knapp zwei Stunden höflich.
5. November 2011