Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"The Beggar’s Opera"
Nach der Bettleroper von John Gay in der Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger
Mit FADC (Far a day cage)
Regie: Tomas Schweigen
Bühne: Stephan Weber, Demian Wohler
Kostüme: Anne Buffetrille
Musikalische Leitung: Martin Gantenbein
Video: Demian Wohler
Dramaturgie: Martin Wigger
Licht: Anton Hoedl, Demian Wohler
Mit Philippe Graff, Jesse Inman, Mareike Sedl, Silvester von Hösslin, Vera von Gunten, Stephan Weber, Demian Wohler
Von der Weltanklage zur Bettler-Klamotte
Erinnern Sie sich noch an die Kult-TV-Serie "Väter der Klamotte"? Als Kabarettist Hanns Dieter Hüsch rabiate Stummfilm-Szenen aus den 1910er- und 20er-Jahren möglichst übertrieben nachsynchronisierte? Bei Schlägen auf den Kopf machte es "Going" wie bei einer Pfanne, Küsse klangen wie eine Art Saugmaschine und fiel einer aus dem Fenster des sechsten Stockwerks – richtig – dann begleitete ihn die Zugflöte bis zum Aufprall. Den er naturgemäss überlebte um bei der Keilerei weiterzumachen. Genau das ist der Gag in "The Beggar’s Opera" von John Gay (1728), wie sie die Haustruppe "Far a day cage" zum Slapstick aufputzt. So macht es Going, Bumm, Zack, werden Nasen umgedreht, Arme gebrochen, in Füsse gebissen, wenn Hehler Peachum mit Gefängniswärter Lockit um den Häftling und Gangster Macheath streitet.
"Die Verhältnisse, sie sind nicht so": Der Final-Refrain aus Bertolt Brechts Bettleroper-Version, der "Dreigroschenoper" (1928), wird hier nicht gesungen, er schwebt aber über allem – jedoch nicht mehr als Weltanklage, nur mehr als Stilprinzip: Denn die Story sehen wir als Film, schwarzweiss, auf grosser Videoleinwand – und auf der Bühne darunter (ab zweitem Akt) wie er live in Realzeit gemacht wird, mit kleinen Video-Kameras, Requisiten, Krachutensilien, inklusive Zugflöte.
So genügen zwei Eisenstangen, um zu zeigen, dass Verbrecherheld Macheath im Knast ist: Philippe Graff hält sie sich vors Gesicht und guckt in die eine Kamera. Da aber Regisseur Tomas Schweigen und Dramaturg Martin Wigger wissen, dass es den Gegenshot auf seine den Untreuen ausschimpfende Liebhaberin Lucy braucht, steht Vera von Gunten ebenfalls mit zwei Eisenstangen vor einer anderen Kamera. Die Kameraregie komponiert die beiden Bilder zusammen auf die Leinwand.
Um die Illusion als solche zu denunzieren, stehen Graff und von Gunten auf der Bühne weit voneinander weg. Um sie aber für das Bild zu verstärken, sehen wir im Lucy-Shot den Hinterkopf mit Hut von Macheath, den aber jemand anderes darstellen muss. Das ist faszinierend anzuschauen, weil es klappt, und witzig, weil es immer wieder nur halb klappt. Dasselbe gilt für die Synchronisation. Für den Stummfilm-Gag-Effekt braucht es den verstärkten Ton: Graff wird etwa von Jesse Inman (mit english accent), von Gunten von Mareike Sedl live mit Mikro gesprochen. Und retour. Oder von wieder anderen.
Und dies alles, die ganze Aufführung von 75 Minuten Dauer, bei fliegenden Szenen- und Rollenwechseln, im Cartoon-Tempo, bewerkstelligen allein fünf Schauspieler und zwei Bühnenbildner. Nicht zu vergessen die Songs, die ebenfalls vom Ensemble live gespielt werden. Nicht nur das Ensemble, auch das Publikum ist von den Vorgängen, oben im Film, unten, wo er gemacht wird, völlig in Beschlag genommen, so sehr, dass die Geschichte in der Aneinanderreihung von action aufgeht.
Die bitter-ironischen Sätze in Gays Text verwandeln sich im Bildwitz vom aggressiven Antimoralzitat zu Humphrey Bogarts situativ-lakonischen Einzeilern, wenn Verbrecherchef Peachum (von Hösslin) in schwarzweissen Close-Einstellungen mit Schlapphut und Regenmantel im Wagen fährt. Peachum hat Macheath denunziert, denn der hat seine Tochter Polly geheiratet. Nun soll Macheath hängen, damit Peachum abkassieren kann. Das Film Noir-Flair als Bildfolie für die Hoffnungslosigkeit unter Dieben, Mördern, Nutten und korrupten Polizisten. Aber nicht vom gesellschaftlichen Abgrund handelt die Aufführung, sondern von deren Inszenierung. Wir lachen, wenn schon, über die moralische Attacke wenig, aber viel über die wirbelnde Puppenkisten-Mechanistik auf der Bühne des Schauspieltheaters, über das Ensemble, im unbarmherzigen Realzeit-Stress, das den Film am Laufen halten muss.
Auch mit quasi improvisierten Mitteln, denn "Far a day cage" zelebrieren ein Arme-Leute-, ein Bettlerkino-Theater, mit Kostümen (Buffetrille), die wie aus dem Brockenhaus zusammengesucht wirken. Der Theatersaal ist mit Wandleuchten, blauen Extra-Wänden und einem geschwungenen Deckenleuchter einem Kino aus den fünfziger Jahren nachstilisiert. Dazu gehört vor Vorstellungsbeginn ein Eismann, den das lebhafte Publikum mit überhöhter Nachfrage in Verlegenheit bringt: Jesse Inmans erster Szenenapplaus.
Nur ab und zu, zur Erfrischung, wird die Slapstick-Filmwelt aufgebrochen, wenn etwa eine Kleiderstange ins Auditorium gefahren und behauptet wird, die Mäntel stammten aus der Zuschauer-Garderobe, man bediene sich. Aber das taugt nicht mehr als Schreckmoment. Denn von den realen Verhältnissen hat sich die Aufführung da längst verabschiedet. Das sagen uns die beiden Bühnenbildner Demian Wohler und Stephan Weber auch ganz unverhohlen in der Vorrede: Anstelle einer Kapitalismuskritik werde hier die Utopie einer Gemeinschaft ausprobiert.
Aber gerade dieser Zug ins Kleinklein einer putzigen Theatertruppe, das auf einer Stoff-Unterlage seine drolligen Spässe macht, in der das Böse siegt, die Welt mit lächelnder Selbstverständlichkeit als Anarchie gegenseitiger Ausbeutung blossgelegt wird, macht die Vorführung furchtbar harmlos. Zumal das eifrige Schauspiel und die vielen Striche alle dramatischen Fallhöhen des Plots, etwa die Begnadigung Macheaths am Ende, planieren.
Haben wir denn in Zeiten, in denen Weltkonzerne Millionenbussen einkalkulieren, genug davon in den News gehört? Oder ist die Bettleroper nicht mehr dazu geeignet, solches zu anzupeilen? Sind die Verhältnisse halt einfach so? Und so hinzunehmen? Wie sich die Macher dazu stellen, bleibt offen. Ein Teil des Publikums applaudierte heftig, der andere höflich.
18. Oktober 2013