Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Das Fähnlein der sieben Aufrechten"
Autor der Novelle: Gottfried Keller
Stückfassung und Regie: Niklaus Helbling
Bühne: Alain Rappaport
Video: Elke Auer
Licht: Cornelius Hunziker
Musik: Martin Gantenbein
Kostüme: Kathrin Krumbein
Dramaturgie: Bettina Ehrlich
Mit David Berger, Dirk Glodde, Martin Hug, Zoe Hutmacher, Lorenz Nufer, Judith Strössenreuter, Herwig Ursin
Burleske Bartzwerge aus einer Sagenwelt
Was würde Paul Simonon von der Punkband "The Clash" dazu sagen, wenn er erführe, dass sein wütender Reggae "Guns of Brixton" von 1979 nun als süsslich gelispelte Hymne auf das Schweizer Gewehr herhalten muss? Ein irrwitziger Einfall zum Einstieg. Denn Simonon schrieb über die Paranoia eines Einzelnen, der sich vor der Polizei verschanzt, zum Start der Jugendunruhen der achtziger Jahre. Hier singen es in Schweizerdeutsch die sieben Aufrechten, ein Freundschaftsbund, der die Bürgerrevolte eben siegreich überstand. Die Bundesverfassung von 1848 steht schon seit einem Jahr, aber die Paranoia steckt noch in den knorrigen Bärtigen, die an der Bühnenrampe weihevoll den Karabiner gegen Himmel heben.
So wird die Wehrhaftigkeit nicht nur mit der Büchse auf der Strasse geübt sondern auch patriachalisch in den eigenen vier Wänden. Der arme Schneidermeister Hediger (Dirk Glodde) weigert sich, dem Sohn Karl (David Berger) das Gewehr zu leihen. Und er will nicht, dass Karl die Tochter Hermine (Judith Strössenreuter) seines reichen Freundes, des Zimmermanns Frymann (Martin Hug), heiratet. Das schaffe Ungleichheit zu seinem Freund, der zugeheiratete Reichtum verderbe den Charakter des Jungen. "Eben in der Familie beginnt die wahre Politik", hält er seinem Weib (Zoe Hutmacher) entgegen, das sich dem Verbot der Väter widersetzt - und es mit Lust und List hintertreibt.
Der Väter enger Geist mit hohem Mythos-Pathos sehen wir auf der Bühne (Alain Rappaport) unmissverständlich ins Bild gesetzt: Ein hölzerner, staubiger Beizensaal, an der Wand eine alte Gerber-Käsli-Reklame, mittendrin ein Holzgestell, das den Raum unterteilt und verstellt, dahinter aber riesig das Panoramabild aus dem Bundeshaus: "Die Wiege der Eidgenossenschaft" mit Vierwaldstättersee und Rütli, dem Schwurort der drei Ur-Eidgenossen.
Der rechte Ort also für gewichtige Beschlüsse: Mit eigener Fahne wollen sich die sieben Handwerker am Schützenfest zu Aarau präsentieren. Kein gewöhnliches Fest: Dort feierten die Liberalen 1849 ihren Sieg gegen das Ancient Régime, gegen die Aristokraten und den Klerus. "Freundschaft in Freiheit" soll auf der grünen Fahnenseide stehen. Wer aber soll die Rede halten? Die "grimmigen Revolutionäre" (Peter von Matt im Programmheft) werden kleinlaut.
Gottfried Keller wollte aber den Siebenmännerbund nicht nur in Ironie aufgehen lassen. Dem Schneidermeister legte er in der Novelle von 1860 so ernsthafte wie auch visionäre Worte in den Mund: "Es wird eine Zeit kommen, wo in unserem Lande, wie anderwärts, sich grosse Massen Geldes zusammenhängen, ohne auf tüchtige Weise erarbeitet und erspart worden zu sein; dann wird es gelten, dem Teufel die Zähne zu weisen; dann wird es sich zeigen, ob der Faden und die Farbe gut sind an unserem Fahnentuch!" Dirk Glodde sprach es so dringlich ins Auditorium, als hätte er auf die Stelle gewartet. Hinter mir lachte ein Bankdirektor erregt auf.
Damit hat es sich jedoch mit den aktuellen Bezügen. Seine Novelle nannte der Autor schon 18 Jahre später ein "antiquiertes Grossvaterstück". Der damalige Geist sei dahin.
Grund genug für Regisseur Niklaus Helbling, Kellers hohe Kante zwischen Ironie und Faszination umzustürzen, den idealistischen Hauch in der Personenschilderung besonders der jungen Generation mit pessimistischem Wind wegzublasen. Die sieben Aufrechten sind bei ihm störrige, tumbe Hampelmänner, gezogen vom Eigennutz, am Sachzwang des Alltags hängend, burleske Bartzwerge aus einer Sagenwelt, deren Abziehbilder uns als Wiedererkennungswerte genügen sollen. Die SBB-Uhr hängt in der Kaserne, die sieben Männer markieren in stummem Spiel den Winkelried- und den Gesslerhut-Mythos, immer wieder ertönt Marschmusik, wenn nicht gerade ein dünnes Volksliedchörli anhebt. Auf ihrem Weg durch das Mittelland zum Schützenfest ziehen die Republikaner an Bergwänden vorbei. Helblings postdramatischer Bilderreigen mit Erzählstimmen ist voller komischer Verweise. Sie wirkten sicher stärker, hätte man deren Ansatz zum ersten Mal gesehen.
Die Rede am Schützenfest hält schliesslich der junge Karl – so exaltiert wie Ilja Richter seine "Disco" moderierte. Wenn er am Ende seine Hermine bekommt, kleben sich die beiden Bärte ins Gesicht. Jetzt gehören sie dazu. Strössenreuters Hermine hatte eh nicht wie bei Keller den Glanz einer intelligenten, eigenwilligen Frau, sondern den Charme einer ehrgeizigen Kleinbürgerin. Keller hat seine Helden geliebt, sie immer wieder als staunenswert vorgestellt, Helbling liebt sie nicht. Damit hat er das Licht in dieser Novelle ausgeknipst.
1. November 2013