Theater Basel, Kleine Bühne
Premiere
"Jetzt und Alles"
Education-Projekt von Martin Frank und Sabine Harbeke
Regie: Martin Frank und Sabine Harbeke
Mit Yüksel Esen, Alexander Megert, Mattia Meier, Linda Olsansky, Florence Ruckstuhl, Jörg Schröder, David Speiser, Florence Strebel, Selina Thüring, Agata Wilewska
War´s das schon mit der Frauenemanzipation?
Aula-Stimmung: Erregt warteten Elternpaare, Lehrerinnen, Gspänli auf den Auftritt ihrer sieben jugendlichen Stars, die das Stück seit letztem Oktober mit Improvisationen unter Anleitung von Theaterpädagoge Frank und Autorin Harbeke erarbeitet hatten. Auch zwei "alte" Bühnen-Profis machten mit: Mittdreissigerin Olsansky und Ü60-Mann Schröder.
Jetzt und alles: Was fällt unserer Jugend alles ein, wenn am Ende einer mehrmonatigen Projektarbeit so ein Titel rauskommt? Die Formel des Bedingungslosen, der totalen Hingabe, mithin der Anschlag gegen alle Konvention? Erleben wir da eine Heldin, die uns alle in den Bürgerhintern tritt, ihr Ding durchzieht und dabei die Welt in Flammen legt? Oder dürfen wir wenigstens auf Forderungen wie "Sprengt die Banken" oder "Verbrennt die Pässe" hoffen?
Fehlanzeige. Denn harmloser geht’s nicht. Eine Helene, Neudeutsch: Lene, liebt einen Thor, und kann aber irgendwie nicht mit ihm. Vier Mal über die Jahrzehnte treffen und trennen sie sich wieder. Wir haben aber am Ende der 75 Minuten keinen Blassen, wie und warum. Ein Kind von Thor treibt sie als Mittzwanzigerin ab, ohne es ihm zu sagen, um später die vier Kinder eines Max auf die Welt zu stellen. Das hindert sie nicht, sich mit Thor bei der spontanen Gelegenheit einer Zigarette vor der Beizentür mal für drei Stunden zu verdrücken, während drinnen ihre Familie sitzt. Aber Lene bricht nicht aus, bricht nichts auf, nein, sie hat "draussen" den Thor, und "drinnen" im bürgerlichen Familienheim einen Max. Am Ende ist sie tot. Nur Thor darf sie sehen, beschied sie im letzten Willen, denn der wisse, was "jetzt gut für sie" sei. Thor berichtet, dargestellt von zwei Jungens und Schröder, dass sie ihm "viel zu nah" da gelegen habe. Und sonst? Lene ist halt tot, und er auch schon 71.
Ein einziges Mal gibt es bei Lene so etwas wie Engagement, das über den Trotz gegen die Anziehung zu Thor hinausgeht: Ihr Sohn Felix ist Nazi. Er schneidet sich nur deshalb keine Glatze, weil sie ihn mit 200 Euro monatlich besticht. Dass er Nazi ist, kann sie nicht akzeptieren – und wir können es nicht mit vollziehen, denn eine Befragung Lenes gibt es nicht. An sich könnte diese auf der Bühne vorgestellte Biographie interessante Fragen aufwerfen: Waren Max und Kinder für Lene ein bürgerliches Reduit? Warum ist Lene dem Risiko ausgewichen, mit Thor die intensive Beziehung zu leben? Inwiefern hat das mit dem Geist unserer Zeit zu tun? Was wurde aus der Frauenemanzipation?
Aber die Regie fragt nichts. Lene wird als Heldin in Szene gesetzt – und bleibt ein Konstrukt aus romantischen Mädchenheftchen-Vorstellungen und aus den Medien abgekupferten Klischees. Die Regie tut nur eins: Den Plot in den seit 20 Jahren gängigen Inszenierungsmitteln des subventionierten Sozialpädagogen-Jugendtheaters ablaufen lassen, mit Prügeleien, Kaugummi, Herumrennen, Schreien, Popsongs singen und peinliches Schweigen an Teeny-Parties.
Dass der Abend auch starke Theatermomente bietet, dafür sorgen die Jugendlichen mit rührend naivem Einsatz. Sie werden rot vor Erregung, stammeln herum, aber eben echt, kraftmeiern mit ihren Muskeln, und liefern sich ein hinreissendes Mädchen-gegen-Jungens-Song-Duell. Für letzteres gab es spontanen Szenenapplaus. Sie tun alles, was den Profis verboten ist, betonen falsch, entwickeln ihre Gefühle ungeschickt, kriegen auch mal den Ton nicht raus bis die Spannung eiert. Aber die sieben Jugendlichen wollen spürbar die Szenen mit dem Leben füllen, das sie selber kennen. Und wenn sie die Geräuschkulisse eines Parks bilden, und einer als Ente quäkt, dann ist das ein derart lebendiges Theaterbild, über dem man gern mal die offenen Fragen vergisst.
Sympathisch auch, wie der erfahrene Jörg Schröder die Jugendlichen als gültige Mitspieler auffasste – und ihnen nebenbei auch hie und da über die Runden half. Das Publikum lachte viel und applaudierte heftig.
26. April 2009