Theater Basel, Schauspielhaus
Schweizer Uraufführung
"Edward II. Die Liebe bin ich"
Autor: Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe
Regie: Nora Schlocker
Dramaturgie: Constanze Kargl
Bühne: Marie Roth
Musik und Komposition: Hannes Marek
Licht: Kathrin Kölsch, Oliver Mathias Kratochwill
Kostüme: Sanna Dembowski
Mit Elias Eilinghoff, Florian Jahr, Thomas Reisinger, Myriam Schröder, Thiemo Strutzenberger, Michael Wächter, Simon Zagermann, Noah Zanolari
Blut, Kot und Geilheit
Der Bub verzieht keine Miene, als man ihm den Kopf Mortimers als einen mit Theaterblut beschmierten Ball reicht. Wenn dann der kleine Prinz Edward Anlauf nimmt, um den Kopf des Mörders seines Vaters ins Auditorium zu kicken, ertönen verschreckt-lachende "Hou-Hou"-Rufe im Schauspielhaus. Es ist der schrille Epilog auf eine in zweieinhalb Stunden erzählte Geschichte voll Blut und Kot, voll Machtkampf und Geilheit (man ist Regisseurin Nora Schlocker dankbar, dass sie davon nicht alles ausspielen liess).
Sein Vater, der englische König Edward II., wusch lieber seinen Günstling Gaveston in der Badewanne oder schaukelte ihn während nächtelangen Schlossfesten, als sich um die Franzosen zu kümmern, die die Normandie (kurz vorher noch in englischem Besitz) besetzten, oder um die Schotten, die einen Diplomaten entführten, um von der englischen Krone Lösegeld zu erpressen.
Am Ende wird er, mit Bühnenkot verschmiert, im Kerker, in den man die Schlosskanalisation eingeleitet hatte, sagen: "Liebe bin ich sucht ich fand ich lebenslänglich nicht", bevor man ihn mit einer glühenden Stange durch den After aufspiesst. Hatte er denn seinen Günstling nicht geliebt? Für dessen Aufnahme am Hof nahm er einen dauernden, schliesslich blutigen Machtkampf mit den aufsässigen Peers in Kauf, die seine (erneute) Verbannung forderten. Für ihn zog er sich die Feindschaft seiner vernachlässigten Königin Isabella zu, die sich bald mit dem machtgierigen Mortimer zusammen tat. Ihn überhäufte er mit Kleidern und mit Ämtern, die der nach eigener Aussage gar nie erfüllen konnte.
In der Version Ewald Palmetshofers, der das Historiendrama Marlowes (um 1593) überschrieb, kann dieser König im Spiegel nichts entdecken, ausser der Krone, deren Pflichten er hasst. Seine Liebe scheint kaum mehr zu sein, als sich mit Willen eine eigene Definition zu geben: der des Liebhabers. Als die Peers seinen Gaveston töten, bäumt er sich für kurze Zeit auf als Tyrann, der die Köpfe rollen lässt. Mit seinem Ersatz-Liebhaber Spencer wollen sich nicht mehr die gleichen Sensationen einstellen wie vordem mit Gaveston. Als man ihm, mittlerweile inhaftiert, die Krone abnimmt, erkennt er sich nur mehr als nichts.
Diese Interpretation folgt aber weniger einer psychologischen Differenzierung als vielmehr einer äusserlichen Stilisierung, die aus dem alten Stoff Marlowes ein heute ausführlich beschriebenes Konfliktmuster herausputzt; aus der Tragödie eines möglicherweise auch nur homoerotisch verliebten Regenten (so klar ist das weder bei Marlowe noch geschichtlich), dem es für das Amt an Lust oder Talent fehlte, wird das Drama des schwulen Königs, der fast nur seiner sexuellen Präferenz wegen von seiner Aussenwelt abgelehnt wird. Raunt das Stück nun aktuelle Brisanz herbei oder ist Marlowes Zeit gemeint? Die Frage bleibt unbeantwortet.
Nicht von ungefähr wird in der Aufführung ein Stück von Michael Nyman (bekannt aus Greenaway-Filmen) mehrfach eingesetzt, der aus Barock und Klassik Elemente zu eigenen Pop-Klassik-Kompositionen verwob. Ähnlich tut es Palmetshofer mit dem Stoff und auch der Sprache; eine auch Barock verkünstelte Verssprache mit vielen Satzeinschüben und ältlichem Vokabular, aber mit Worten wie "Schwanz" oder "Ficker-Franzenland" auf heutig gestimmt.
Gallig ist die Ironie, brutal der eiskalte Witz, mit der die Peers auf den König, der König auf die Königin und die Peers verbal einstechen. Das bereitet dem Ensemble, das mit Prägnanz und konzentriert aufspielte, und dem Publikum sichtlich Spass. In der aus dem viel längeren Marlowe-Stück reduzierten Dichte, und da die Attacken bei den daran gewöhnten Leuten nichts mehr bewirken, wirken sie jedoch auf Dauer wie ein Geballere gegen die Wand.
Denn nicht mit Personen haben wir es zu tun, sondern mit stilisierten Figuren (Palmetshofer strich von bei Marlowe etwa 30 Rollen deren 20), bei denen das Kostüm (Sanna Dembowski) starke Zeichen setzt. Simon Zagermann als Edward ist eine infantile Groteske in goldenen Pumphosen, Strümpfen und ebensolchem Cape, oft weinerlich wie Peter Ustinov als Nero, aber mit weniger Wahnsinnsdimension. Die Peers in weissen Halskrausen, einer mit Mitra, und schwarzen Leggins oder Pluderhosen, wirken wie entstellt: steif und doch schlüpfrig.
Myriam Schröder als Königin rutscht immer wieder mal das Reifgestell unter dem Riesenrock heraus, wenn sie über die Riesenstufen der Kupferbühne springt, die das Machtgefälle zeigen. Sie ist die Einzige, der man innere Widersprüche zubilligte – man nimmt sie ihr ab, aber ohne mit ihr zu leiden. Mortimer (Michael Wächter) darf mit tiefen Bücklingen und blitzenden Augen zeigen, wie hoch er im Grunde genommen hinaus will.
Thiemo Strutzenberger zeigt als Lustknabe Gaveston viel Brust und Bein, wechselt mysteriös von kindlich schüchtern in herrisch auffahrend, wenn er etwa einen Bischof in den Kot drückt. Mit seiner sinnlichen Ausstrahlung sorgt er für das schönste Bild des Abends, wenn er blutüberströmt daliegt, ähnlich wie ein von Gott verlassener Heiliger bei Caravaggio. Wirklich erschütternd aber wirkt der junge Prinz (Noah Zanolari), wenn er mit wächsernem Gesicht auftritt, ein Malträtierter und Missbrauchter der Machtkämpfe.
Das Stück in der Inszenierung von Nora Schlocker wurde bereits Ende Mai anlässlich der Wiener Festwochen uraufgeführt, und nicht nur mit freundlichen Kritiken bedacht. Das Basler Publikum spendete zur Schweizer Uraufführung langen, warmen Applaus.
13. November 2015