Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"Der Park"
Autor: Gabriel Vetter
Regie: Simon Solberg
Bühne: Giovanna Bolliger
Dramaturgie: Volker Bürger
Mit Paul Grill, Martin Hug, Joanna Kapsch, Özgür Karadeniz, Andrea Tortosa Vital, Jan Viethen
Klavier: Barbara Lehr
Gabriel Vetter lässt die Schweiz untergehen
Etwas verdattert hat er schon ausgeschaut, als er den Premieren-Jubel für sein allererstes Theaterstück entgegennahm. Lag es daran, dass der als Slampoet bekannt gewordene Gabriel Vetter noch immer zu schüchtern für Applaus und Komplimente ist? Oder eher daran, dass er gar nicht weiss, wie er den Applaus verstehen soll?
Denn von seinem Stück über die Schweiz ist nach der Bearbeitung des Bonner Regisseurs Simon Solberg und des Karlsruher Dramaturgen Volker Bürger nur noch die Hälfte übrig geblieben. Sein Charme, seine Figurenzeichnungen, seine liebevoll getürmten Kaskaden satirischer Eskalation: Das Meiste ist weg.
Und – noch wichtiger – auch sein Anliegen, dem Schweizer Publikum an den Wagen zu fahren. Der Schaffhauser Vetter haut nämlich dem Schweizer in Monologen und Dialogen um die Ohren, dass er sein Land gemütsselig wie als "Europapark" versteht. Und dass die Besuchermasse aus "Unbewegbaren" besteht, die hier das sentimentale Reduit der Vergangenheit sucht. Des Bekannten also, dass es so aber vielleicht gar nie gegeben hat. Ja, dass überhaupt die westliche Welt sich zunehmend als Park versteht, die Amerikaner beispielsweise eine Adventure-Tour "Illegal Immigration to the USA" inklusive Minenteppich anbieten. Diese Ebene, wie gesagt, ist nun weg. Regisseur Solberg hat Vetters Satire die hintergründige Bedeutungsschwere im Text weggenommen.
Geblieben sind dabei nebst einigen bildsprachlichen Funken das Grundbild des Satirikers: Europa ist zusammengebrochen. Grosskonzerne haben sich die Stücke aufgeteilt. Die Schweiz ist nur mehr ein Kulissen-Park für die ganze Familie. Ausländische Besucher sollen Sonnenuntergänge und den Rütli-Schwur szenisch miterleben, an einem "Diminutiv-Kongress zur grammatikalischen Landesverteidigung" teilnehmen, Fondue aus dem Käsespringbrunnen essen und so weiter. Einer riskiert den Trinkspruch: "Liberté! Egalité! Chardonnay!"
Anstelle eines Erlebnisparks besteht die Bühne aber aus einer grossen Schweiz-Umrissfläche. Was bedeutet: Wir müssen uns alles im Park selber vorstellen. Und das wird bei Solbergs Drang, alles zusätzlich zu Vetters schnell aufblitzenden Sprachbildern auch noch figürlich temporeich zu bebildern zur Herausforderung für die Aufnahmefähigkeit. So wirbeln die Parkbetreiber um Parkbesitzer Nippes (Hug) stets eifrig herum, erstellen im Sekundentakt mit Taschenlampen immer wieder neue Szenarien wie Sonnenuntergang oder Sternenhimmel, werfen sich ebenso schnell die Dialogsätze zu. Und so weiss bald die allzu zudringlich umworbene koreanische Touristin Jürgen (Tolosa Vital) bald nicht mehr, wo ihr der Kopf steht.
Geblieben ist auch die Story: Dass diese Park-Schweiz bald bröckelt und apokalyptisch zusammenbricht. Ein Biber (Karadeniz) macht sich ans Matterhorn und die anderen Kulissen, zersägt Stück für Stück die Schweizfläche. Darüber lässt er nicht verhandeln. Schliesslich könne man vom Pazifik auch nicht verlangen, er solle andern Leuten mehr Platz machen. Seiner Natur entsprechend baut er einen riesigen Damm. Und ebenfalls seiner Natur entsprechend will Parkbesitzer Nippes den bevorstehenden Dammbruch, der bald die ganze Schweiz in den Abgrund reissen wird, grossartig vermarkten. Schliesslich seien ja Tsunamis genau das, was wir Menschen sehen wollten. Aber wenn schon, dann richtig, in bester Ton- und Bildqualität: Chalets und Seilbahnen als "pittoreskes Treibgut" für Fernsehzuschauer.
In einem irren Monolog sieht Nippes die Schweiz endlich „zu Hause“, wenn die Fluten sie und ihre geheizten Tiefgaragen endlich hinweggerissen hätten, zu Hause im Mythos, in einer Reihe mit den grossen historischen Namen Troja, Pompei, Atlantis. Überhaupt hat Martin Hug im dauernden Wechsel von Dialekt und Hochsprache den Abend im Griff. Hemdsärmlig springt er mit seinen Parkangstellten Helf (Viethen), Mia (Kaprsch) und Egge (Grill) um, wurstig befiehlt er der Touristin, wenn sie schon nicht Käse will, "Schoggi". Wenn er das Guggisberg-Lied anstimmt, sentimental von "Kälbli" und abschätzig von "Kägi-Frettlis" spricht, dann klingt bei ihm durch, was Vetter vorführen wollte, und wie er es wohl selbst als Akteur auch gespielt hätte. Das ist geglückt. Weniger verständlich sind allerlei Einschübe und Einfälle.
Um die Touristin härter als in der Vorlage mit Nippes westlicher Welt aufprallen zu lassen, zeigt Regisseur Solberg sie als Orientalin mit Kopftuch, die ihren Körper zu türkischem Gesang windet: als hätte sie Heimweh nach Beweglichkeit und Anmut. Das ist zwar einzusehen und auch schön anzusehen, aber die Ballett-Einlage ergibt keinen Zusammenhang mit dem Ganzen. Aber was ist denn dieses Ganze? Eine Abstraktion (Solbergs) der Abstraktion (Vetters) von abstrakten Schweiz-Vorstellungen. Demonstrativ lässt Solberg in einer Szene Vetters Textbuch zerreissen.
Insgesamt hinterlässt die Aufführung einen zerklüfteten Eindruck mit unfertigen Teilen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Text immer wieder flüchtig und unverständlich gesprochen wird. Der Abend lebt trotz Solbergs Versuch, aus der Satire mit Handlung einen Theaterabend mit Szenen zu machen, von den Pointen und Verweisen. Das Publikum hat oft und gern gelacht.
20. April 2013