Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung
"Angst"
Nach dem Roman von Robert Harris
Theaterfassung von Volker Lösch und Beate Seidel
Regie: Volker Lösch
Bühne: Sarah Rossberg
Kostüme: Carola Reuther
Dramaturgie: Beate Seidel
Mit Andrea Bettini, Paul Grill, Claudia Jahn, Johannes Schäfer, Mareike Sedl, Jan Viethen
Chor der Anleger: Gerrit Bernstein, Adrian Fähnrich, Vincent Heppner, Till Lang, Steffen Link, Anna Vera Messmer, Raphael Muff, Jessica Schultheis
Neandertaler sind schuld an Börsencrash
Der Engländer Robert Harris gehört zu den meistgelesenen Gegenwartsautoren mit Millionenauflage. Trotzdem war die Uraufführung seines neusten Romanwerkes "Angst" im Basler Schauspielhaus nicht ausverkauft, sondern bloss gut besucht. Daran konnte auch der bekannte Name des Regisseurs Volker Lösch (geboren 1963) nichts ändern, der erstmals hier in Basel inszenierte. Er spaltete mit seiner Inszenierung das Premieren-Publikum.
Nur wenige Worte bringen die Leute so reflexartig auf die Palme wie "Börse", "Banker" oder "Boni". Dieser Reflex hielt die Spannung der zweistündigen Aufführung aufrecht. Aber nicht für alle. Am Ende applaudierte diejenige Publikumshälfte heftig, die die Investoren und Investmentunternehmer genau so sieht wie die Theatermacher: als gierige Neandertaler im Fellkostüm, die auf Laptops herumhacken und die Finanzwelt erschüttern. Die andere Hälfte im Publikum klatschte betont zurückhaltend, möglicherweise deshalb, weil sie die auf der Bühne vorgestellten Sichtweisen und Klischees schon aus Medien und Satire zur Genüge kennt.
Lösch will das Publikum nicht eigene Bezüge zum Roman herstellen lassen, sondern ihm seine eigenen vorsetzen. Alle paar Minuten schickt er den Theaterchor los um das Auditorium in länglichen Einschüben, im Frontalunterricht zu beschwatzen: Appelle, Befindlichkeitsmonologe, Querverweise, Zitate, politische Moralpredigten – sie sollen Harris' Roman thematisch anreichern und vertiefen.
Dazu muss alles herhalten: Die selbstgerechte Zurückgezogenheit des Basler Daig, ein Jean Ziegler-Monolog über die "Tigerhaie" des Kapitalismus, Bettina Wulffs Trennung, die Caimaninseln, natürlich auch die Bösen Ospel und Grübel, oder dass unter UBS-Chef Ermotti und CS-CEO Dougan nichts gebessert habe. Auf ein Mal steht der Chor in einer Reihe direkt vor dem Publikum, verkündet beschwörend den nahen Niedergang unserer westlichen Welt, ruft mit finsteren Mienen: "Es wird alle treffen." Vielleicht stimmt es ja. Aber hier sieht es aus wie der Mix von dörflichem Mysterienspiel und linkem Laientheaterkollektiv. Ein Mal nur wirkt die Dringlichkeit echt: Wenn der Theaterchor Leute vom unteren Bankkader sprechen lässt. Da heisst es dann: "Wir wissen ja nicht, wie lange wir noch dabei sind, aber so lange müssen wir das Geld scheffeln. Damit wir es haben, wenn wir wieder weg sind."
Wenn gleich alle auf der Bühne Neandertaler sind und das Namedropping schon als thematische Vertiefung genügen mag, so ist man mit den eigenen Feindbildern zufrieden und die Erörterung beendet. Harris' Roman ist konventioneller aufbereitet als die Aufführung, setzt inhaltlich aber steiler an.
Der Thriller erzählt von der krankhaften Besessenheit des Kernforschers Alexander Hoffmann (Grill). Er erfindet ein Programm, das selber lernt – und aus der Kontrolle des Erfinders gerät. Kein neuer Gedanke, bekannt etwa aus "Frankenstein" oder "2001: A Space Odyssey". Aber Harris lässt Hoffmann das Programm "Vixal-4" in der Finanzwelt einsetzen, wo es selbständig handelt, kauft, verkauft, dazu laufend alle Datenströme durchsucht und das Verhalten der Marktteilnehmer analysiert. Sein einziger Blickpunkt: Die Angst der Marktteilnehmer zum Nutzen der eigenen Gewinnmaximierung. Es crashed die Börse und sorgt auf diese Weise für einen minutenschnellen und verborgenen Milliardengewinn. Und auch für einen Flugzeugabsturz? Oder hat "Vixal-4" die Katastrophe einfach früher entdeckt als die üblichen Newskanäle, um so Börsengewinne zu generieren?
Robert Harris ist Journalist, und indem er dicke, aufwändig recherchierte Romane über den U-Boot-Krieg im Zweiten Weltkrieg, den Untergang von Pompeij oder den Geheimdienst unter Stalin schreibt, weiss er, dass man die Themen Angst und Macht erfolgreicher ans Publikum bringt, wenn man Angst weckt. Das ist auch beim "The Fear Index" nicht anders. Aber er will auch vor Augen führen, dass drei Viertel aller Börsengeschäfte in New York von Computern selbständig, so Harris, getätigt würden. Und dass die Programme zum Informationsgewinn auch Internet- und sogar Twitterseiten durchforsten. Oder aber, dass hinter seinem Helden Hoffmann die Tragödie einer genialen aber wahrnehmungsgestörten Persönlichkeit steckt, die erst gefährlich wird, weil der skrupellose Ehrgeizling Quarry (Viethen) Hoffmanns Erfindung nutzen will.
Das alles kommt zwar vor auf der Bühne, die Nuancen gehen aber alle unter in der körperbetonten, temporeichen Action, im Klamauk. Die Neandertaler turnen mit den Laptops herum, choreographiert wie für die Gymnaestrada, klüngeln und reiben sich wie die Affen aneinander in sexueller Angsterregung vor dem nächsten Börsenresultat, fallen auf die Knie und beten: "Die digitale Wolke ist überall. Mit jedem Atemzug atmen wir sie ein."
Auch Inspektor Leclerc (Bettini) von der Genfer Polizei, der eine Attacke auf Hoffmann klären soll, ist Neandertaler. Pflichtsteif stellt er die Fragen, und heftig bricht er in Zürichdeutsch aus, wenn er dieser Börsianerbande die Meinung sagt über sein Altersguthaben, das sich in Luft aufgelöst hat. Das mindestens ist lustig. Erschreckend ist das Kunsthobby von Hoffmanns Frau Gabrielle (Strössenreuter). Sie produziert Fotos von toten Föten, um sie als Kunstwerke zu verkaufen. Nur eine Emotion bewegt sie: Durch den Verkauf der Bilder als Künstlerin anerkannt zu werden. Offenbar ist die Börse nicht die einzige Hölle.
11. Januar 2013