Theater Basel
Im alten Radio Studio Basel
"Radio Requiem"
Eine begehbare Rauminszenierung von Thom Luz
Inszenierung, Bühne, Licht: Thom Luz
Idee und Mitarbeit: Reto Ott
Musikalische Leitung: Mathias Weibel
Bühnenbildmitarbeit: Anne Wallucks
Kostüme: Tina Bleuler
Video: Jonas Alsleben
Dramaturgie: Katrin Michaels
Mit Carina Braunschmidt, Ana Castano Almendral, Emanuele Forni, Mario Fuchs, Evelyne Gugolz, Urs Peter Halter, Steffen Höld, Martin Hug, Peter Keller, Mara Miribung, Daniele Pintaudi, Lisa Stiegler, Cathrin Störmer, Mathias Weibel, Leonie Merlin Young
Gefangen im Loop
"Wir leben alle in einem endlichen Gebäude. Aber wir tun trotzdem alles so, als lebten wir unendlich lange", umriss er kürzlich in einem Interview sein Kern-Dilemma, das er auch in mehreren anderen Stücken zeigte: der kindliche Rückzug in selbstvergessene Spiele und hartnäckig wiederholte Abläufe, während die Vergänglichkeit unerbittlich voranschreitet. Aber mit "Radio Requiem" hat Thom Luz dafür eine vollendete Realisation gefunden – und im stillgelegten, alten Radio Studio Basel, das nach 80 Jahren abgerissen wird, ein Biotop, das seiner künstlerischen Sprache in allem zudient.
Wir betreten die engen Studios mit den schallschluckenden Wänden, in denen Büro-Utensilien und technisches Gerät wie für die Ewigkeit liegen und stehen gelassen wurden, wir flanieren wie im Museum durch die langen, mit dämpfenden Teppichen ausgespannten Flure, und fühlen, es geht zu Ende mit dieser vergangenheitsgetränkten Welt. All dies spricht auch ohne theatralisches Zutun zu uns.
Wir hören im einen Studio Moderationen aus der alten Sendung "Wunschkonzert", empfinden die bieder-genügsame Bürgerlichkeit der Welt vor der Globalisierung, aber dass diese auch mit den intimeren Klängen einer eng definierten Gemeinschaft funktionierte. Am nächsten Ort erklingt ein musiktheoretisches Format von anno dazumal: Wir können fühlen, wie die mit bocksteifer Ansage behauptete damalige Gewissheit, dass alle, die zuhören, auch wirklich jedem Wort, jedem musikalischen Klang folgen, heute in Melancholie verebbt.
Der Loop symbolisiert die Reproduzierbarkeit und scheinbare Ewigkeit, betont die Hermetik einer ins Leere sendenden Anstalt: einmal in Form der langen Tonschleifen in den Studios, die durch Revox-Geräte ziehen, andererseits mit den Spielszenen, konzertanten Auftritten und Führungen, die sich während eines Abends mehrere Male wiederholen. In einem Video sieht man unaufhörlich Schemen Treppen herauf und herunterrennen, in einem anderen die Ensemble-Leute im Studio-Garten: Sie suchen die 100-jährigen Schildkröten UKW 1 und UKW 2. Ein in weisse Smokings gewandetes Orchester tänzelt durch das Raum-Labyrinth, winkt durchs Fenster in Studios, verbreitet Heiterkeit, etwa mit italienischen Schnulzen.
Aber der mit dem Schweizer Theaterpreis 2019 preisgekrönte Bühnenraum-Autor, der Gesten und Geräusche, Gesänge und Gedanken ineinander komponiert, deckt nichts zu: Die Atmosphäre und seine Aktionen gehen ineinander auf. Der Begriff "Requiem" (Messe für Verstorbene) ist nur ein Denkraum; andererseits mobilisiert Luz Untote. "Angestellte", Faktotums, demonstrieren uns ihren Lebens-Loop an ihren Wirkungsstätten.
Unsere Gruppe folgt der Schauspielerin Cathrin Störmer ins grosse Hörspielstudio im Untergeschoss. Generationen von Schauspiel-Ensembles haben dort akustisch Welten kreiert, Gefühle in die Wände transpiriert. Eben guckt man sich noch um, da sagt Störmer, dieser Raum werde nach dem Abriss mit Beton zugeschüttet. Man fühlt, wie sich der Lebenswille gegen das unheimliche Bild des (eigenen) Verschüttet-Werdens empört. Andernorts heisst es aus einem Lautsprecher im Gang: "Geniessen Sie die Zeit, die Ihnen noch bleibt."
Luz dreht die Spirale noch tiefer. Während Störmer Ambient-Sounds aus dem "Geräusch-Archiv" vorführt, meinte sie, das Schönste sei es, mit etwas Vergeblichem beschäftigt zu sein: in einem schalltoten Raum, abgeschnitten von der Aussenwelt, mit einer engen Auswahl an Klängen menschliche Regungen typisieren. Ihr stiller Alltags-Stolz: Auf Maizena-Päckchen herumdrücken, um Schritte im Schnee oder mit einer Velopumpe ein Schiffshorn zu imitieren – Täuschung für möglichst authentische Wirkung. So seien die letzten 30 Jahren wie im Flug vergangen! Einmal ein Aufbruch: Eine aufwändige Hörspiel-Produktion von "Die Suche nach der verlorenen Zeit" (sic!) wurde produziert. Aber Störmer löschte aus Unachtsamkeit das einzige Masterband.
Wenn das Ensemble zum Ende Luca Marenzios Choral "Fuggiro tant' Amore" anstimmt, worin jemand vor einer übermächtigen Liebe flüchtet, wird eine tragische Botschaft erkennbar: Wie die Kreuzung von verbohrtem Expertentum und beamtischem Mind-Loop zu einer ängstlichen Abkehr in ein Zwischenreich ohne Realitätsbezug führt. Das muss nicht Luz' gewollte Botschaft sein. Aber sicher ist der inspiriert und virtuos gestaltete Abend ernster gemeint als bloss ein heiter-melancholischer Spaziergang. Der berühmte Luz'sche Bühnen-Nebel raucht dieses Mal nur weit hinten im Garten. Konkreter hat er seine Weltschau noch nie ausgeformt.
30. Mai 2019