Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Woyzeck"
Autor: Georg Büchner
Inszenierung und Bühne: Ulrich Rasche
Kostüme: Sara Schwartz
Komposition: Monika Roscher
Sounddesign: Alexander Maschke
Licht: Cornelius Hunziker
Dramaturgie: Constanze Kargl
Mit Nicola Mastroberardino, Franziska Hackl, Barbara Horvath, Toni Jessen, Justus Pfankuch Max Rothbart, Thiemo Strutzenberger, Florian von Manteuffel, Michael Wächter
Woyzeck auf der Drehscheibe
Wer sich gerne von Theater im Spektakel-Format, etwa einer "Pink Floyd, The Wall"-Show, hinreissen lässt, der dürfte bei Ulrich Rasches Inszenierung von Georg Büchners "Woyzeck" auf seine Kosten kommen. Hier wie dort: Ein etwas kranker Isolierter, misshandelt von Autoritätspersonen, ausgesetzt einer übermächtigen Bühnenmaschinenwelt, wird zum Missetäter, und sein Schicksal wird unausgesetzt von einer mal schaurigen, mal anrührenden, vor allem aber vorantreibenden Klangwalze moderiert.
Monika Roschers präzise auf das Script getimte Komposition, dargeboten von Live-Musikern, positioniert die Aufführung ins aufs Lineare bedachte Ausdrucksspektrum der etwas gehobenen Populär-Kultur: Sie nimmt Anleihen beim moderateren Material der Krachsymphoniker "Einstürzende Neubauten", bei den repetitiven Patterns des Minimal-Musikers Steve Reich, bei der Melancholie von Pink Floyd.
Der Hauptdarsteller ist nicht Büchners Kreatur sondern eine monumentale Stahldrehscheibe von rund zwölf Meter Durchmessern. Sich unablässig im Uhrzeigersinn drehend und dazu noch in Schieflage hält sie das Ensemble auf der Spielfläche unbarmherzig derart auf Trab, dass der Kampf um das Gleichgewicht und die Mühsal, seinen Standort zu halten, zur dramaturgischen Aussage werden: Anstrengend und gefährlich ist das Erdenleben, du darfst nicht fallen, musst aufrecht gehen. Im mitleidlosen Räderwerk auf schwarzer Bühne im weissen Licht sind alle bloss Figur: alles Täter – die meisten auch Opfer.
Die über dreistündige Show, wie ein Uhrwerk durch getaktet, zieht uns ohne Spannungshänger durch Büchners Krimi-Moritat. Sie erzählt wie der einfache Soldat vom Hauptmann zurechtgewiesen, vom Doktor als Versuchskaninchen mit einer Erbsenkur misshandelt, vom auftrumpfenden Tambourmajor verprügelt, von seiner Freundin Marie betrogen, und wie er an ihr zum Mörder wird. Sein lachendes Gesicht, wenn er sie zum letzten Gang auffordert, zeigt: Hier will sich einer vom allgemeinen Druck erleichtern und nicht bloss aus Eifersucht töten.
Indem schwarze Kostüme statt ständischer Kleidung getragen werden, auch keine Garnisonsstadt dargestellt wird, dramatisieren Regie und Dramaturgie mit klar gesetzten Tableaus eine an vielen Stellen abstrahierte, etwas allgemein geratene überzeitliche Weltklage über die Zumutungen mit der sexuellen "Natur" und der Verrohung einer Gesellschaft ohne geistiges Korrektiv. Zwar hat die Dramaturgie aus Büchners Fragment die meistgespielte Szenenfolge gewählt, aber die Stellen betont, wo der Mensch mit dem Tier verglichen und die Frage, was den Menschen denn ausmacht, herausgefordert wird. So wird Woyzeck etwa in der Schule als Esel gedemütigt.
Das grosse Opfer des Abends ist Woyzeck aber nicht nur in Büchners Sinne. Das kreischend-rasselnde Stahlmonstrum, der Vollsoundtrack lassen ihm keine Stille, in welcher der bis zur Schizophrenie Luzide seine Stimmen hören kann, die ihn quälen, ihm endlich befehlen, seine untreue Freundin Marie zu töten. Geben uns keinen Raum, den Naiven mit seiner "Keuschheit des Geringen" (Elias Canetti) so zu erleben, dass er uns irritiert. Der Mann hat ja nicht bloss paranoide Zustände, sondern auch ins Mark treffende Ahnungen, stellt himmelschreiende Fragen zum Sein des Menschen: Nicola Mastroberardinos Nuancen gehen weitgehend im Allgemeinkirmes unter, kommen nicht über die Rampe.
Die Konkurrenz zur Musik ist zuweilen so stark, dass trotz Mikro-Headset über Teile des Abends mit forciertem Ton bis hin zur Schreigrenze gesprochen wird. Zeigen wollte uns Rasche "die herrschende Verrohung auch als eine der Sprache". So lässt er Büchners Sätze mit langen Pausen zerdehnt skandieren. Büchners hochagile Sprache, wo der Alltag einfacher Leute im Nu in philosophische Erörterungen umschlägt, wirkt zur Gleichförmigkeit verdammt schwerfällig, verliert den schnellen Witz, mit der sie überrascht. Dazu lässt er uns Passagen im rhythmischen Chor einhämmern: ein meist humorloses Getrampel ohne Erkenntnismehrwert. Mit dem Wunsch, "eindrucksvoll" zu wirken, hintertrieb man die inhaltliche Idee.
Der Abend bietet auch starkes Schauspiel. Interessant im Ansatz ist, wie die Marie von Franziska Hackl vom erotisch aufgeladenen Triumphiergehabe hilflos in Gewissensbisse verfällt. Wenn Florian von Manteuffels als harter, zynischer Doktor oder Thiemo Strutzenbergers als schwermütiger Hauptmann auftreten, wird das Drama auf einmal plastisch: Was der Abend sonst nie hat, ein Schwanken zwischen Tragik und Komik, eröffnet plötzlich menschliche Abgründe, die die Show ansonsten beharrlich beschwört.
16. September 2017