Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Bluthochzeit"
Autor: Federico Garcia Lorca
Regie und Bühne: Calixto Bieito
Kostüme: Cornelia Schmidt
Licht: Anton Hoedl
Dramaturgie: Ute Vollmar
Mit Karl-Heinz Brandt, Philippe Graff, Vera von Gunten, Martin Hug, Zoe Hutmacher, Katka Kurze, Julian Hackenberg Grazia Pergoletti, Judith Strössenreuter
Der Dämon der Geilheit
Basel, 25. Januar 2014. Düster ragt eine riesenhafte Skulptur aus ineinander verschachtelten Stühlen in den Bühnenhimmel. Weihrauch steigt aus ihr empor, füllt das Schauspielhaus. Frauen und Männer umstellen sie, jede und jeder für sich, die Arme an sie gelehnt, die Schultern gebeugt, als wäre das Ding die Klagemauer. Ohne dass man zunächst etwas hört, spürt man, sie beten. Aber was ist das für ein Ding der Anbetung und Hingebung? Jedenfalls ist es grösser als wir. Und mächtiger. Für den spanischen Regisseur Calixto Bieito, der es auf die Bühne stellen liess, ist es in der Tragödie "Bluthochzeit" seines Landmannes Federico Garcia Lorca der unüberwindliche und alles bestimmende Dämon der Geilheit und der Leiblichkeit. Das Konzept wird er die nächsten 90 Minuten durchziehen.
Wollen die Mutter (Grazia Pergoletti) und ihr Sohn (Philippe Graf) mit dem Brautvater (Martin Hug) die Hochzeit mit seiner Tochter vereinbaren, so weidet der gerade einen Ziegenbock aus. Zu den Absprachen über Kirchgang etc. lässt er die blutigen Eingeweideklumpen in einen Kessel plumpsen. Lachend peitscht er mit einem Lappen den Hintern der Magd (Vera von Gunten), die auf allen vieren das Blut aufwischt. Führt er endlich die Tochter (Zoe Hutmacher) vor, so stellt er sie so grob hin wie ein Pferd, reckt ihr das Gesicht so vor, als müsste man das Gebiss prüfen.
Heftig und oft schlägt sich die Braut später auf das Geschlecht, weil ihre Leidenschaft nicht für den reicheren Bräutigam sondern für den armen, mittlerweile verheirateten Leonardo brennt, der seinerseits sein Pferd schindet, um in der Nacht vor dem Fenster seiner einstigen Verlobten aufzutauchen.
Alle Heiligkeit geht auch der Hochzeitsfeier ab. Mutter und Brautvater legen einen obszönen Tango hin. Dann fummelt er kichernd einer Bediensteten zwischen den Beinen. Die Mutter demonstriert ihrem Sohn handgreiflich und mit sichtlichem Vergnügen, wie er den Willen seiner Braut in der Nacht zu überwinden habe. Und flieht die Braut mit Leonardo und werden die beiden vom Bräutigam verfolgt, so hängt der Mond (Katka Kurze) breitbeinig onanierend in einem Stuhl, geil auf das Blut der beiden, jungen Männer, die sich umbringen werden.
Fast immer nur von unten und seitlich fällt das Licht auf die Figuren, verzerrt die Gesichter zu Fratzen, verleiht dem Szenario etwas Spukhaftes, zumal bei der Verfolgung in der Nacht, wo Trockeneisnebel grün beschienen über die Bühnenfläche zieht.
Oft hat man in Lorcas Stück von 1933 den Konflikt mit der katholischen Sittenstrenge betont. Davon ist bei Bieito fast nichts mehr übrig. Als der Bräutigam der Braut an der Hochzeit an den Hintern fasst und sie sich wehrt, meint er, es sei ja jetzt geheiligt. Aber er sagt das so daher, als wär's eine äusserliche Formsache. Den Hochzeitsgesängen geht jede Heiterkeit ab: der dunkle "Aaaaaaah"-Gesang aus vielen Mündern erinnert an eine archaische Beschwörung der Säfte.
Wenn etwas von dieser ersten Basler Schauspielarbeit Bieitos in der Erinnerung bleiben wird, so ist es seine brachiale Szenenpoesie. "Oh nein", entfährt es einer Sitznachbarin, wenn Leonardos Frau (Judith Strössenreuter) im Streit mit ihrem untreuen Mann Wasser aus dem Jupe auf den Boden platscht. "Weinst Du schon wieder", faucht er sie an. Sieht die Braut ein, dass die Hochzeit unvermeidlich ist, mit der sie sich von ihrer Leidenschaft für Leonardo retten wollte, so kreischt sie ins Auditorium. Alles geht gegen aussen, alles immer auf tutti.
Nur wenig bleibt für das Innere, für die Vibration des zurückgehaltenen Eros, für die hohe Ladung in Lorcas Einzeilern, für die antike Strenge der Figuren, deren Selbstbewusstsein ein Ausagieren, wie gezeigt, aushöhlen würde. Das Manko soll bei Bieito die übersteigerte Getriebenheit ersetzen. Vom Ensemble hat er, das merkt man, maximale Expression verlangt. Aber das klappt nicht immer, einigen Akteuren fehlt dazu die Kraft. Besonders bei den längeren Lyrik-Passagen wünschte man sich längere Probezeit, vielleicht auch mit einem Regisseur, der der deutschen Sprache mächtig ist. Da hört man zu oft Papier. Wut und Lautstärke allein machen es nicht. Über sich hinauswächst etwa Judith Strössenreuter, ihre intensivste Leistung in Basel bislang.
Sympathisch an Bieitos Inszenierung der "Bluthochzeit": Sie ist nie niedlich, sondern immer deutlich. Sie ist auch nicht effekthascherisch. Die Witzelei des Schauspieldirektors Tomas Schweigen, man habe das Blut für Bieito schon bestellt, hat er nicht bestätigt, denn bei aller Drastik ordnet er alles dem Ausdruck unter. Dafür garnierte er im vollbesetzten Schauspielhaus Bravorufe.
26. Januar 2014