Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Biedermann und die Brandstifter"
Autor: Max Frisch
Regie: Volker Lösch
Bühne: Sarah Rossberg
Kostüme: Teresa Grosser
Dramaturgie: Christoph Lepschy
Mit David Berger, Andrea Bettini, Claudia Jahn, Julian Anatol Schneider, Cathrin Störmer, Jan Viethen
Chor der Feuerwehrleute: Paulina Quintero, Nadja Rui, Gian Leander Bättig, Julian Till Koechlin, Jonas Rhonheimer, Julian Anatol Schneider (Studierende der Hochschule der Künste Bern)
Chor der Ausländer-Innen, Papierlischwyzer-Innen, Migrant-Innen, Flüchtlinge, Einwanderer, Secondos, Nichtschweizer-Innen: Dalila Dahmane, Ana Lucia Landazuri, Desiree Ly, Monica Marks, Tuhanthy Sinniah, Agota Skorski, Melamat Yapici, Ben Berroudja, Tornika Bluashvili, Valentin Köhler, Erosi Margiani, Anselm Müllerschön, Simon Tesfahiwot, Alonzo Yarbrough
Weckruf an die stillen SVP-Zunicker
Nur selten hatte eine Inszenierung in Basel einen stärkeren landesweiten medialen Vorspann als diese. "Wacht auf!", hatte der deutsche Regisseur Volker Lösch in einem Kommentar über das lesermächtige "Newsnetz" jenen 49,7 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung zugerufen, die gegen die "Masseneinwanderungs-Initiative" gestimmt hatten. "Warum", so appellierte der Wahlzürcher, "erhebt in diesem Land kein Prominenter aus euren Reihen seine Stimme gegen die rassistischen und fremdenfeindlichen SVP-Parolen?"
Am letzten Sonntag veröffentlichte die "NZZ am Sonntag" die Absicht des Regisseurs, Max Frischs absurd-komödiantisches Drama "Biedermann und die Brandstifter" von 1948 in dem Sinne neu deuten: gegen die Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus; ja die einzig mögliche Lehre aus dem "Lehrstück ohne Lehre" herauszukehren, indem die Biedermänner als die eigentlichen Brandstifter enthüllt würden.
Lösch hielt Wort in Basel. Noch nie wurde die wählerstärkste Partei des bürgerlichen Lagers auf dieser Bühne so direkt und hart angegriffen. Existenzielle Angst, Rudelbildungen, geistiges Réduit, Hierarchiegläubigkeit, sterile Ordentlichkeit und persönliche Isolation: Diese Nöte treiben in Löschs Inszenierung den Schweizer Feuerwehrchor dazu an, diese Nöte über das ganze Land zu verbreiten, bis seine Mitglieder selbst zu Gewalttätern werden. So sieht Lösch die SVP. Und so spielt der Chor neu eine Hauptrolle im Stück.
Zunächst setzt er bei der Mythenbildung in der Vergangenheit an: Ein Scherenschnitt im Stil von 1800 mit ländlichen Motiven wird hingebeamt. Die darin platzierten Chormitglieder, die 200-jährige Verse rezitieren, werden davon aufgesogen wie in einem Vexierbild. Es wirkt gespenstisch, langweilig, undurchdringlich.
Endlich in der Gegenwart: Lösch erzählt mit raschen Schnitten und Szenenwechseln. Der Chor der properen Feuerwehrleute, in grau glänzendem Anzug mit steifem Scheitel, wirbt für eine Initiative "Gegen das Unschweizerische". Im Hintergrund: ein schrilles Messerstecher-Plakat. Auf die Agitationen des Schweizer Chors prallen die enttäuschten Berichte des von Lösch erfundenen Chors der Ausländer. Ihnen werde im Tram zugerufen: "Halt d’Schnure, bisch nit dehei." Und auf dahinterliegender Bühne sehen wir die Geschichte des Schweizer Unternehmers Gottlieb Biedermann. In seine Wohnung drängen sich die beiden Brandstifter, erzwingen frech seine Gastfreundschaft. Obwohl er bald sieht, wie sie Benzinfässer in seinem Dachstock auftürmen, obwohl er weiss, dass sie sein Haus anzünden werden, schafft er es nicht, sie rauszuschmeissen. Mal aus Eigennutzung, dann wieder aus Angst.
Volker Löschs Deutung, wer oder was denn die Brandstifter seien, folgt Frischs Aussage, es seien Dämonen, geboren aus Biedermanns Ängsten. Deren einer ist der kräftig-derbe Balkan-Prolo Subovic, von Andrea Bettini lustvoll verkörpert: abstossend schmutzig, schmatzt beim Essen, immer die Hand am steifen Penis, mit dem er Biedermanns Dienstmädchen Anna (Claudia Jahn) vergewaltigen wird. Der andere, Carlos (Jan Viethen): über und über tätowiert, immer blitzschnell das Springmesser zur Hand, mit muskulösem Oberkörper.
Statt in Frischs muffige Bürgerstube steckt Lösch den Biedermann in eine sterile, comicartige Kunstwelt: Die Figuren meist im Profil, die überkandidelten Kostüme entweder schwarz oder weiss, das Licht von der Seite. Überdreht und puppenhaft ist das Spiel. Öfters friert die Geste ein. Biedermanns nervöse Gattin Babette (Cathrin Störmer: virtuos) könnte der amerikanischen Band The B-52’s entsprungen sein. Wie Organismen unter hermetisch abgeriegeltem Glas, so wirken die Vorgänge bei den Biedermanns. Das Verrückte daran: Es scheint, als hätte Biedermann seine Lebenswelt aus Lebensangst selbst so gewählt.
Biedermanns Story treibt der Brandstiftung zu, und der Schweizer Chor treibt die Hetze immer weiter. Selbst das Theater Basel, wo nur "Deutsche" arbeiteten, denen die Schweizer Hospitanten den Kaffee zu servieren hätten, vergessen die eifrigen Eidgenossen nicht. Hinter ihnen, auf den Plakaten im wohlbekannten Stil, schwarz-rot-weiss: Ratten fressen an der Schweiz. Kühe tragen Burkas. Ein haariger Mann bumst Globi. Flüchtlingsschiffe gleiten aus einer Vagina und überschwemmen die Schweiz. Bei aller Zuspitzung, die zu manchem, auch verschrecktem Gelächter reizte: Lösch macht spürbar, wie verletzend die Massenpsychotechnik selbst bei absurden Bildinhalten wirkt.
Der Ausländerchor aus Afrikanern, Europäern, Asiaten empört sich nicht bloss über Kälte und Zurückweisung und Waschmittelgeruch, er nimmt auch Anteil an den vielfältigen Ängsten der Schweizer. Gerade sie, die man hier nicht haben will, erteilen die Lektion: Nicht nur gegenüber den Ausländern, auch die Schweizer unter sich sollen doch mehr kommunizieren, sollen etwa im Wartezimmer beim Arzt miteinander reden. Es sind Texte, die die Leute auf der Bühne selbst verfasst haben, und man merkt ihnen das hautnah erlebte an.
Statt den Kunstfiguren, den Biedermanns und ihren Brandgespenstern oder den Eiferern des Schweizer Feuerwehrchors sind sie echte Menschen mit nachvollziehbaren Emotionen. Und sie übergiesst der Schweizer Feuerwehrchor am Ende mit Benzin und zündet sie – alles stilisiert – an. Hier stockt dem Publikum der Atem. Die Aufführung adressiert sich an die, die über die Feuerwehrleute lachen, den Biedermann von sich weisen – und im Stillen der SVP zunicken.
Als hätte der Schock aus dem Volksverdikt die Theatermacher repolitisiert: Ihre Aufführung ist ein klares politisches Statement. Die 100 Minuten sind herausfordernd, zuweilen irritierend, kraftvoll, sie gehen immer wieder neu unter die Haut. Der Applaus an der Premiere war lang, die Betroffenheit spürbar stark. Das Publikum hätte nicht besser präpariert sein können für die Erklärung, die ein grosser Teil des Ensembles im Anschluss an die Vorstellung auf der Bühne vortrug. Man sei entsetzt über den Ausgang der Abstimmung.
28. Februar 2014