Theater Basel, Kleine Bühne
Schweizer Erstaufführung
"Nach dem Ende"
Autor: Dennis Kelly
Regie: Elias Perrig
Mit Claudia Jahn, Bastian Semm
Höllentrip im Atombunker
Grelles Licht, graue Backsteinwände, schwarzer Boden, und es macht "Bsss" wie der Kühlschrank: Die kleine Bühne ist so leer. Da kann doch wirklich keiner mehr was verbergen. Aber Schauspielchef Elias Perrig belehrt uns mit Kellys Horror-Duett von 2005 eines besseren. Zunächst mal ist der Raum ein Atombunker. Marc trägt seine ohnmächtige Bekannte Luise herein. Ein Atomschlag hat die Stadt verwüstet, verkündet er: "Die Flammen sahen wunderschön aus." Verkohlte Leichen überall. Marc fasziniert: "Ich sah, wie der Wind verkohlte, abgeblätterte Leichenteilchen wegtrug."
Marc zeigt sich patenter nice guy, der weiss, wie man sich jetzt im Bunker verhalten muss: Essen rationieren, Radio alle drei Stunden einschalten, Zeit mit Spielen totschlagen. Wer nun aber glaubt, in einem pazifistischen Achtziger-Jahre-Bunkerdrama zu sitzen, irrt, denn der Böse sitzt nicht draussen, sondern drinnen. Marc hat nicht nur viele Müsliriegel gelagert, sondern sich auch viele Schmähungen gemerkt. Und jetzt, wo Luise – die Schuldige in seinen Augen – ihm nicht mehr ausweichen kann, kann er ihr endlich alles vorhalten und sie damit terrorisieren: Sie habe ihn da "Arschloch" genannt, dort an jener Party ausgelacht, am anderen Festchen vor allen heruntergemacht, und im Pub letzthin seinen Nebenbuhler Francis angehimmelt. Marc ist auch ein echter Saubermann: So entschuldigt er sich nach Tagen überschwänglich bei ihr, dass er beim Hereintragen kurz ihre Brust berührt habe. Körperlich hält er auf Distanz – und erzählt aber spürbar beeindruckt wie ein Freund seine Freundin in den Wohnwagen gelockt und dort "rumgekriegt" habe.
Zur Eskalation kommt es, als er von Luise fordert, sie müsse mit ihm das Kinder-Rollenspiel "Dungeons and Dragons" spielen: Als sie sich weigert, sperrt er ihre Ration Müsliriegel bis sie vor Hunger zusammenbricht. "Es ist zu Deinem Besten", sagt er mehrfach. Luise ist nicht die Herzensgute, die das krankhafte und gefährliche Potential begreift, sondern die kalte Normalbürgerliche, die Marc einfach "durchgeknallt" und "Arschloch" nennt.
Am Ende sitzt er im Gefängnis, sie kommt ihn besuchen: Der Atombunker war in Wirklichkeit nur Kerker, der Atomschlag Marcs Erfindung. Aber der Höllentrip mit Marc war echt: sie ist "nach dem Ende" nicht mehr sie selbst.
Kelly zeigt, was wohl alle Männer kennen: Jene amokhafte Bedürftigkeit des Mannes, der seine "Liebe" einsperren, formen, zerstören will. Marc weint, lässt sich von Luise trösten, vergewaltigt Luise, fordert anschliessend Liebe von Luise.
Perrig hat von Kellys Vorlage ein paar exzessive Spitzen wie Masturbations- und Fesselungsszenen entfernt. Chili-Büchsen, Reiskocher, rauschendes Radio, Tisch, das eine Bett, in dem sie gemeinsam schlafen müssen: Alles davon ist weg – und damit auch einiges an Spannung und vor allem Sinnlichkeit. Übrig geblieben ist ein steriles Skelett, aus dem Marc krankes Nervenkostüm besonders stark hervorleuchtet. Sein häufiges infantiles Gequengele verflacht Kellys Überlebenskampf-Drama zur Nervtöterei eines normalen Beziehungsalltags. Zudem ist Bastian Semms Marc nicht über alle Phasen der 90 Minuten gleich interessant: Irgendwann sind die Register bekannt, der Mann ist berechenbar, hat kein Geheimnis mehr auf Lager. Dagegen muss Claudia Jahn als Idealbesetzung für Luise bezeichnet werden: Das ist ihr Fach, ihr Typ. Wenn sie aus ahnungsvoller Verzweiflung los schreit, damit jemand sie "draussen" höre, so geht das durch Mark und Bein.
Das dritte Kelly-Stück in Basel nach "Liebe und Geld" und "Taking care of Baby" ist ein stellenweise atemberaubender Thriller, der eindrücklich vorführt, dass wir keinen Atomschlag brauchen, um uns fertig zu machen. Der Abend lässt keinerlei Ansätze zur Hoffnung erkennen. Das Publikum applaudierte kräftig.
3. April 2009