Theater Basel, Kleine Bühne
Schweizer Erstaufführung
"Das Mansion am Südpol"
Nach Texten von Jürg Laederach sowie mit Zitaten von Maurice Blanchot, Paul Valéry, John Hejduk, Eric Rohmer, Le Corbusier und Eileen Gray
Regie, Bühne, Kostüme: Anna Viebrock
Dramaturgie: Malte Ubenauf und Fadrina Arpagaus
Musik: Ernst Surberg
Video: Lisa Böffgen
Mit Carina Braunschmidt, Martin Hug, Marie Jung, Graham F. Valentine, Nikola Weisse
Le Corbusier malt nackt
Der freundliche, lange Applaus mit den Zwischenrufen klang nach Entspannung. Amüsiert hatten sich ja hörbar einige. Aber hatte man auch alles richtig verstanden? Dass der Basler Autor Jürg Laederach sich sichtlich hoch erfreut verneigte, mochte manch Unsicherem Gewähr gegeben haben, dass er einen gelungenen Abend erlebt habe.
Denn wer den vollen Genuss bei den anspielungsreichen 90 Bühnenminuten haben will, sollte die Quellen schon davor studiert haben. Beispielsweise im Theater: Anna Viebrock hatte seit 2006 am Theater Basel drei Inszenierungen auf die Bühne gebracht, die allesamt auf der "Gedankenwelt Laederachs" (Programmheft) basierten: Man könnte sie poetische Installationen für Bühnenbild, Figuren, Text und absurde Handlungen nennen. Sie trugen surreale Titel wie "Die Bügelfalte des Himmels hält für immer".
Nun liefere Viebrock mit der "Mansion" das "nachgeschobene Prequel"(!) zu ihren drei bisherigen Inszenierungen nach, heisst es weiter im Programmheft, das ich erst danach gelesen habe, und mich etwas verlegen zurückliess: Wir sollen also im Geist diese drei vergangenen Aufführungen hervorholen und dann den heutigen "Mansion"-Abend vor diese Aufführungen schieben! Ist die Idee mit dem "Prequel" wirklich ernst gemeint? Meine Güte, Frau Viebrock!
Weiter im Hintergrund: Es geht um das (wahre) Drama der Villa "E-1027", gelegen an der Cote d'Azur. 1929 von der irischen Designerin Eileen Gray realisiert, galt das Mansion als "beispielhafter Bau der Internationalen Moderne" (Wikipedia). Begeistert davon war auch der Architekt Le Corbusier. Aber 1938 liess der Stararchitekt sich zu einem Übergriff hinreissen, der zum Bruch mit Gray führte: Er pinselte acht grosse Wandmalereien in das Haus. Dass er sich beim Malen nackt fotografieren liess, reicherte den Akt der Inbesitznahme mit einer symbolischen Penetration an.
Diese Villa, mit deutlichen Abschussspuren am Beton, hat Viebrock im Schauspielhaus nachgebaut. Monumental füllt der Baukörper die Bühne, eckvoran ragt er uns entgegen, monolithisch bietet er uns die abweisenden Betonflächen dar, durchbrochen nur von Balkon und der Fensterfront weiter hinten. Das ist der unüberwindliche Hauptdarsteller des Abends, der das Personal zu Ameisen am eigenen Bau macht.
Seine Fassadenflächen werden mal zur emotionalen Abprallfläche für die Empörungen und Weinerlichkeiten seiner Bewohner. Mal dienen sie aber auch als Projektionsfläche für Video (die Szene natürlich, wo Le Corbusier nackt malt – nachgestellt), für Foto (Le Corbusier in Badehose im Meer – echt) oder für die "aphoristischen Vermutungen" (Programmheft) des amerikanischen Architekten John Hejduk. Diese werden in einer längeren Passage wie eine Dia-Show in englischer Sprache hingeblendet, etwa: "Der Atem eines Hauses ist das Geräusch der Stimmen drinnen." Oder: "Das Haus vergisst niemals die Geräusche seiner ersten Bewohner", etc.
Weiter im Hintergrund: Laederachs Roman "Emanuel" (1990, 506 Seiten), ein "gewaltiges Spracheroberungskunstwerk" (Programmheft), bildet die fast alleinige Textquelle. Die Hauptfigur Manl sei ein "getriebener wie überforderter Interpret der von ihm belebten und betrachteten Welt". Den Roman und das Drama der Villa hat Viebrock nun ineinander verschränkt.
Jedenfalls beginnt der Abend damit, dass Manl (Hug) und Agnes (Weisse) das "Mansion am Südpol" (Erfindung Laederach) erben. Irritiert folgen sie dem Redefluss des Notars (Valentine), der ihnen das Drama um "E-1027" erläutert. Die zurückgehaltene Gier auf die Villa mit Meerblick in den Gesichtern von Agnes und Manl sind ein Gaudi für das Publikum.
Aber wenn der schwatzhafte Manl und seine zwei Frauenfiguren Agnes und Tamara (Jung) endlich Grays Edelgebäude bevölkern, dann ist es vorbei mit den klaren Settings. Die Zeiten geraten durcheinander. Irgendwann erscheint – eine psychedelische Klangwolke erklingt – Le Corbusier (Valentine) persönlich in Badehose, legt Muscheln auf der Terrasse aus, die Gray später Stück für Stück genüsslich zertritt und wegkickt.
Hinter den Gesichtsfassaden wechseln Ichs, fallen unvermittelt vom Du ins Sie. Agnes sitzt erschöpft auf der Treppe und türmt ein Aussagegebilde auf: "Ich liebe Dich. Aber bin ich es, der Dich liebt?" Tamara stürzt sich auf Le Corbusier (Mahlers Adagietto schwappt breit ins Auditorium), wirft ihn mit einem Kuss zu Boden: "Ich lebte in Dir, ich war in Dir, aber es war entsetzlich, sich so zu fühlen, wie Du Dich fühlst."
Und es ertönen skandiert gesprochene, ins Absurde gedrechselte Ehedialoge. Er: "Du machst es gut", Sie: "Damit willst Du sagen, ich mache es nicht gut", Er: "Wenn ich sage, Du machst es gut, dann meine ich, Du machst es gut." Sie: "Ich finde, ich mache es recht gut. Mittelgut. Sogar ein bisschen besser als mittelgut." Das will natürlich subversiver als Loriot sein. Aber es bleibt auch kurlig.
Als trauriger Gegenpol wirkt die Designerin Gray (Braunschmidt), die die neuen Erben und den Stararchitekten ertragen muss. Sie arbeitet unablässig, redet fast nur in philosophischen Sätzen: "Niemand kann seine Zeit verlieren, niemandem gehört seine Zeit." Irgendwann führt Le Corbusier ihren Fuss an die Hausmauer, zieht seinen Umriss nach und unterschreibt in grossen Lettern mit "Le Corbusier", worauf die gepeinigte Gray in Wut ausbricht. Wir hören ihre Tirade nur, der Ausbruch ist in ihrer Villa, deren Innenansicht uns ein Mysterium bleibt.
Genau wie der Abend überhaupt: Wir sehen nur die Fassaden und die emotionalen Spitzen. Die Leute formulieren, kommen und gehen, lachen und weinen, ohne erkennbaren Anlass. Das Haus öffnet und schliesst wie auf geheimen Befehl Fenster und Türen. Ebenso lärmt plötzlich ein automatisches Klavier als würde bald ein Wahnsinniger, bald ein Virtuose seine Tasten anschlagen. Und wenn Gray wie eine Diva den Satz ins Auditorium schickt: "Wie ich es auch anstelle, mich interessiert einfach alles", dann geht einfach plötzlich das Licht aus.
17. März 2012