Theater Basel, Schauspielhaus
Deutschsprachige Erstaufführung
"Taking Care of Baby"
Autor: Dennis Kelly
Regie: Caro Thum
Bühne: Beate Fassnacht
Video: Christian Stollwerk
Musik: Malte Preuss
Mit Andrea Bettini, Nicole Coulibaly, Inga Eickemeier, Martin Engler, Martin Hug, Lorenz Nufer, Nicola Weisse
Hatte Todes-Donna eine Affäre?
Boulevard-Blätter wissen, was wir wirklich wollen, denn sie schreiben nur nach Auflage. Und Auflage machen die Mütter auf der Frontseite, die ihre Kinder umbrachten. Hat Donna McAuliffe ihre Kinder Megan und Jake ermordet? Ihr Ehemann Martin sagt: Ja. Donnas Mutter Lynn wehrt sich: Meine Tochter ist keine Mörderin! Aber ist Mutter Lynns Politik-Karriere jetzt noch zu retten? Psychologie-Experte Dr. Millard weiss: Donna leidet am Leeman-Keatley-Syndrom. Sie hat ihre Kinder getötet, weil sie zu sensibel reagierte auf die Probleme dieser Welt wie Erderwärmung, Islamismus, Energie-Verknappung. Frei! Donna wird aus dem Gefängnis entlassen. Das Gericht konnte nichts beweisen. Mutter Lynn hats geschafft! Sie wird ins Parlament gewählt.
Die Bühnenwelt ist hart weiss ausgeleuchtet, beigefarben, sieht aus wie ein entlegenes Fernseh-Studio für Talk-Shows, in der zueinander unpassend Stühle, Sessel, Couchs herumstehen, als wären es Personen, die stets aneinander vorbei reden. Auf der Rückwand gleiten wir via Videoprojektion durch eine Wohnung: Die Bilder genügen, damit wir uns am Tatort wähnen.
Jedes Wort, so behauptet der 40-jährige englische Theaterautor Dennis Kelly, stamme aus Interviews und Schriftwechseln. Nicht einmal die Namen seien geändert. Alles sei im Originalwortlaut der Betroffenen wiedergegeben. Aber diese Betroffenen sind Kellys Geschöpfe, der konkrete Fall seine Erfindung. Kellys Lüge soll unsere Vorstellungen von Authentizität angreifen.
Hat Donna (Eickemeier) nun ihre Kinder getötet? Autor Kelly weiss es nicht, wie er der "Basler Zeitung" in einem Interview sagte. So fragt er seine Geschöpfe gleich selber aus, Donna, Ehemann Martin (Nufer), Lynn (Weisse), den Psychologen (Engler) - als Stimme (Hug) aus dem Off. Sie toben, sobald er den Nerv trifft. Persönliche Fragen sind in unserer Zeit medialer intimer Dauerobservation offenbar eine Grenzüberschreitung. Keiner kann einen einfachen Satz über seine Befindlichkeit von sich geben. Aber alle wissen auf Kellys Fragen die üblichen nichts sagenden Gutmenschen-Antworten, mit denen etwa Stars und Sternchen in TV-Talks Vernunft, Stärke und Übersicht behaupten.
Und fragt Kelly nicht, so erzählen sie es uns selbst, als wären wir mal unsichtbare Gerichtsbarkeit, mal Fernsehpublikum, Lynns versammelte Wählerschar oder Zaungäste einer Wahlparty. So baut sich die Geschichte aus Selbstzeugnissen und Gesprächen vor uns nach und nach chronologisch zusammen. Dr. Millard doziert vor uns wie ein TV-Psychiater aus einer CSI-Dokusoap über sein selbst erfundenes Syndrom, und schlägt bei drohender Hinterfragung sofort zurück mit seiner "Sorge um die betroffenen Frauen".
Mutter Lynn, die einen Einkaufspalast politisch bekämpft, reitet auf der Welle des Falles "Todes-Donna", bringt den Reportern, die vor dem Haus campieren, auch mal einen Tee. Ganz offen bekennt sie: "Glauben Sie, meine Wahl wäre möglich gewesen, wenn Donna wie Charles Manson ausgesehen hätte?" Aber als Donna sie fragt, ob sie sie für die Mörderin ihrer Kinder halte, windet sie sich wie verrückt, lügt schliesslich. Wenn sie am Ende uns für ihre Wahl dankt, fällt es schwer, nicht an Hillary oder ähnliche Politikerinnen zu denken. Die "Times" soll laut Programmheft geschrieben haben: "Kelly zwingt uns zu einer Neubewertung von medialen und privaten Repräsentationsformen und ihrer Glaubwürdigkeit."
In seinen besten Momenten, etwa wenn Donna am Ende von ihrem neuen Leben erzählt oder Ehemann Martin seinen Schmerz über das für ihn Unfassbare ausdrückt, gelingen dem Ensemble unter Regie von Caro Thum eindringliche Theatermomente. Da verschwindet die Schauspieltechnik vollends hinter der Verkörperung. Da wird, was auf der Bühne geschieht, zum unumgehbaren Sachverhalt. In den weniger starken wirken etwa die vielen Gesichtszuckungen zu absichtsvoll und zu unkontrolliert, um zu berühren.
Die zwei Stunden packen, das Dargebotene gibt zu denken, das Publikum folgte konzentriert. Das Theater Basel hat mit der deutschsprachigen Erstaufführung, knapp zwei Jahre nach der englischen Uraufführung, Nase bewiesen. Kelly kann etwas, was vielen anderen heutigen Autoren abgeht: Unsere Hilflosigkeit in der von uns geschaffenen Welt aufzeigen.
16. Januar 2009