Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung
"Triptychon eines seltsamen Gefühls"
Dieses eine bombastische
Von Beatrice Fleischlin
Im Rahmen des "Stück Labor Basel"
Regie: Elias Perrig (Bild 1 und 2), Antje Schupp (Bild 3)
Bühne und Kostüme: Beate Fassnacht
Dramaturgie: Fadrina Arpagaus
Mit Andrea Bettini, Inga Eickemeier, Claudia Jahn, Katka Kurze, Barbara Lotzmann, Jan Viethen, Max von Mühlen
Lusttiere mit seltsamem Gefühl
So gestelzt, steril und verschroben hat das Schauspielhaus noch kaum je das Publikum angesprochen: "Triptychon eines seltsamen Gefühls" steht draussen auf grossen Lettern. Rätselraten am Theater Basel? Man möchte sagen: Zeichne das! Soviel vorneweg: Um Liebe, genauer Liebesbegehren, geht es. Dem Aufgebot mochten nicht viele Theaterinteressierte folgen. Nur zu zwei Dritteln füllte sich das Auditorium der Uraufführung.
In der Dunkelheit dann die Stimme (ab Band?) von Barbara Lotzmann: "Knutschen kann man nicht allein. Also suchen wir das Unbekannte, das Fremde, das Verheissungsvolle. Wer mittut in diesem Reigen der Verzweiflung und der Euphorie, gewinnt". Au fein, könnte man jetzt in die Hände klatschen. Aber es geht so spröde los wie der Titel klingt (Regie im ersten Bild: Elias Perrig): Da fahren zwei Gestalten zum Hebemaschinengeräusch langsam aus dem Bühnenuntergrund, eine junge Frau, ein junger Mann, starrer Blick ins Auditorium, die finstere Miene sagt: Wir haben ein Problem. Nur ab Oberkörper ragen sie aus dem schwarzen Boden. (Der Unterleib ist abgeschnitten.) Und das erste, was sie einander sagen, ist "Na?" und "Du?" und "Ich möchte Dich kennen lernen". Oder "Ich bin relativ durchschnittlich komisch" und "Du bist anders komisch". Sie könnten auch sagen: Ich bin ok, Du bist ok. Oder was sonst heute Sozialpädagogen in Schulen oder Jugendzentren oder freien Spielgruppen in den Sinn kommt.
Gelegentlich vermochte die aktuelle Hausautorin, Beatrice Fleischlin, mit kleinen Unebenheiten das Allzutypische zu brechen: "Dein Karma ist ziemlich im Arsch" aus heiterem Himmel quasi, das gab einen Lacher.
Ungefähr die beste Pointe aber, die sie für uns bereithält: Der Junge hat den Text seiner Werbung im Voraus aufgeschrieben und auswendig gelernt. Wären jedoch Inga Eickemeier und Jan Viethen nicht versiert darin, eine Vorlage naturalistisch, ja sogar mit viel natürlichem Charme aufzupeppen, dann wären wir wirklich in der Amateurfalle gelandet. Viethen schafft es sogar einen Satz wie: "Dein Grob und Zart stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander", herzlich warm klingen zu lassen. Der Regie ist dazu noch der Gag eingefallen, dass den Liebesverwirrten der Text immer wieder abhanden kommt, und die Souffleuse ihnen die Sätze mit barschem Ton zu wirft. Soweit das erste Bild.
Das zweite ist ein Monolog-Reigen (Regie: Elias Perrig). Die Einsamen kriegen ihren dem Zeitalter der Individualisierung geschuldeten Starauftritt, wo jeder sagen darf, wie er es halt so macht: Da ist der Knutsch-Voyeur (Bettini), der sich die Leidenschaft quasi von den Lippen küssender Paare absaugt. Da ist die Objektsexuelle (Jahn, auf Podest), deren Liebhaber aus einem Eisenbahnwaggon oder einem Turm bestehen. Der verlassene Mann (von Mühlen) will den Schmerz nicht aufgeben, weil er davon zeugt, was er mit der geliebten Person erlebt hat. Und schliesslich erzählt Katka Kurze als "die Frau, die überschwemmt", wie sie gerade in das Leben eines Raphael kriecht, der ihr während seines Auslandsaufenthalts die eigene Wohnung überlassen hat. Euphorisch berichtet sie von ihren Entdeckungen: seinen gestapelten Liebesbriefen, den Unterhosen, den Fotoalben, den alten Kondomschachteln und dem Rohypnol, das sie bei ihm gefunden hat.
Aber bei aller Emotion, die beim Spiel aufgeboten wird: Die Bekenntnismonologe wirken abgelauscht, das prickelnde Direkterlebnis versackt in prosaischen Betrachtungen, die "Ich"-Berichte klingen nach Erfindung, die man mit Details nachauthentifizieren wollte. Und sowieso: Szenisch ist anders. Auftritt, sprechen, abgehen: Das funktioniert mit einem dramatischen Text, wo das existentielle Problem des Protagonisten mitreisst. Fleischlin selber hat schon gemutmasst, dass die Texte für ein Hörspiel taugen würden. Aber das ist eben eine Frage.
Reine Aktion verspricht Bild drei (Regie: Antje Schupp): Eine Kostüm-Sexparty. Da will der Papagei mit dem Schwein, der Elch gleich mit allen. Brüste und Penisse werden mit Heliumballonen auf Sturm- und Übergrösse gebracht. Die Vision der Autorin sah ein Bild frei in der Bühnenluft flottierender Lusttiere, mit fliegenden Akteuren, vor. Und es sollte lustvoll sein. Ging wohl nicht. Auf dem harten Bühnenboden zeigt sich statt der naiven Autorinnen-Vorstellung von freiem Sex eine bald müde Swingerclub-Szene, die sich an der Bar mit Hochprozentigem versorgt, wo man sich auf Verlangen gegenseitig bedient. Die Eine will, dass die andere sich vor ihr ergriffen niederwirft. Die Andere will, dass die eine ihr bei einer sonderbaren Kontaktanzeigen-Story zuhört. Immerhin versöhnlich: Das Paar aus dem ersten Bild taucht auf, und zumindest das scheint am Anfang einer Liebesgeschichte zu stehen.
Das Unbekannte, Fremde, Verheissungsvolle? Fehlanzeige. In der Tiefe finden sich bei den vorgeführten Geschichten nur Manipulationsversuche. Abgesehen vom Paar aus dem ersten Bild streckt sich niemand nach dem Verheissungsvollen, die anderen begnügen sich alle mit dem Bekannten. Das muss kein Problem sein, wenn mit dem "seltsamen Gefühl" nur das Begehren und das typische Drumherum, nicht die Liebe selbst, gemeint ist. Aber das ist halt auch austauschbar und ziemlich konventionell. Das Publikum applaudierte kräftig.
3. Juni 2012