Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung/Auftragswerk
"In den Gärten oder Lysistrata 2"
Schauspiel von Sibylle Berg nach Aristophanes
Inszenierung: Milos Lolic
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Jelena Miletic
Musik: Nevena Glusica
Licht: Cornelius Hunziker
Dramaturgie: Julia Fahle
Mit Eva Bay, Linda Blümchen, Carina Braunschmidt, Urs Peter Halter, Anica Happich, Vincent zur Linden, Julia Nachtmann, Moritz von Treuenfels
Musik: Cristina Arcos Cano, Nicola Hanck, Eva Miribung, Bruno de Sa
Der Mann stirbt aus
Marketing-Glück für das Theater Basel: Am letzten Sonntag wurde die Autorin Sibylle Berg für ihren im April erschienenen Roman "GRM. Brainfuck" mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Alle Medien berichteten. Kaum eine Woche später feiert ihr neues Stück Uraufführung im Schauspielhaus. Eine Überschreibung der antiken Aristophanes-Komödie "Lysistrata" sollte es werden, eine Fortsetzung ist es geworden.
Verweigerten sich bei den alten Griechen die Frauen den Männern sexuell, um sie zur Beendigung des Krieges zu zwingen, streiken heute nun die Männer beleidigt über den Feminismus und "müde von der Weltherrschaft". Schlusspointe: Den Frauen mangelt es dadurch an gar nichts. Längst haben sie das Ruder in der Geschäftswelt übernommen (zu tieferen Löhnen!) und die Männer mit dem Sexspielzeug – na, wie heisst es wohl? - "Ken" ersetzt. Die Männer degenerieren, fressen sich voll, sterben aus. Aber letzteres Fabulieren in die weitere Zukunft ist nur Nachvollzug des eigentlichen, was Berg interessiert: Wie haben es Adam und Eva denn jetzt miteinander in Zeiten von spätem Patriarchat, von Tinder, Körperoptimierung und sexuellem Leistungsstress? Eigentlich nur gegeneinander, so Bergs Diagnose.
Abseits auf der Hinterbühne zeugen griechische Säulen und Statuen von einstiger Männergötterherrlichkeit, ein üppiger Blumenstrauss von Lust und Eros. Von letzterem keine Spur mehr auf der Hauptbühne: kalte menschengrosse Glaszellen, die Schlafzimmer, Toilette, Küche markieren, Neonleuchten unter der Plastikfoliendecke, ein spiegelglatter, schwarzer Boden. Wir befinden uns auf Besuch in einem zukünftigen Museum, in dem das Ensemble in Rückblende eine typische, heutige Beziehungsgeschichte vorstellt. Wir flanieren dabei, so die Vorstellung, durch verschiedene Gärten: erste Begegnung ("Prä-Sexgarten"), erster Sex ("Missionarsgarten"), Kinder ("Kindergarten"), der "Friedgarten" der sexuellen Windstille und gegenseitigen Entfremdung.
Die Herren sind "Bernd" mit Fifties-Tolle und beigem Lederlumber, die Damen "Lysistrata" in Hostessenkostüm und mit buntfarbenen Gesichtern. Keine abweichende Individualität stört den angeblichen Sachverhalt, dass die Herren nur an ihrem Penis, am Krankenschwestern-Fetisch und Doppel-D-Brüsten, die Damen nur daran interessiert seien, irgend jemanden zu haben, mit der sie die gesellschaftlichen Vorgaben des Begattens und Gebärens erfüllen können.
Intimität und Dialog zwischen den Geschlechtern existieren in dieser Welt nicht. Nur konsequent, dass Regisseur Lolic Bernd und Lysistrata in der Sexszene körperlich gar nicht zusammenkommen lässt, sondern alle Bernds und alle Lysistratas in je eine Glaszelle sperrt. Während er (andeutend und referierend) seine "Leistung" vollbringt, starrt sie (andeutend und referierend) ungeduldig an die Zimmerdecke, wie sie halt immer "alle diese ockerfarbenen Zimmerdecken" angestarrt habe. Und entrüstet feststellt, dass dieser Sex, "von dem alle reden, so unendlich nichts ist".
Die Szene (wie auch anderes) regte zu Geschmunzel oder Gelächter an, aber man kann nicht sagen, dass der Gag oder der Befund über die mechanische Ödnis beziehungsloser, geschlechtlicher Aktivitäten neu wären. Bergs Stück ist ein auf die Personen und die Geschlechter verteiltes Dauerreden, aus Ich- oder Wir-Perspektive, das immer wieder verborgene Schichten anpeilt. Bei Bernd etwa glucksen Destruktionsfantasien hoch: Er möchte die Frau ausweiden, ihr die Zunge abschneiden. "Nur ein Scherz", schiebt er nach.
Lysistrata situiert ihre gesellschaftliche Stellung so: "Morgens malen wir ein Gesicht in die Leerstelle, die von der Natur nur eingerichtet war, um Oralverkehr durchzuführen. Unser Gehirn taugte vornehmlich zum Memorieren schmackhafter Strudelrezepte." Dieser Sound, diese aufreizend locker daher geträllerten, pessimistischen Sentenzen dominieren die knapp 90 Minuten.
Zum Nachdenken bleibt meist keine Zeit bei dem enormen Sprechtempo, das Lolic anschlagen lässt und dem Ensemble einiges an Konzentration abfordert. Das scheint diese Komödie zu fordern, die dauernd mit neuen verbalen Stichen, Hieben aufwartet. So lässt sich vieles wegwischen, das genauere Erörterung verdiente. Wenn Bernds Bedeutung nachlässt, schiebt er vermehrt wehmütige, musikalische Einlagen ein, die oft schön anzuhören (vor allem Bruno da Sas Sopran), aber nicht immer einzusehen sind. Die Spannung lässt gegen Ende nach, auch weil Bergs Welt mit den gesellschaftlichen Puppenmenschen keine weitere Perspektive vorsieht. Das Basler Premiere-Publikum spendete kräftigen Applaus.
17. November 2019