Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung, Auftragswerk
"Goldrausch"
nach dem Roman „Gold“ von Blaise Cendrars
Autor und Inszenierung: Guillermo Calderón
Bühne Kostüme: Anna Sophia Röpcke
Musikalische Einstudierung: Sandra Kirchhofer
Licht: HeidVoegelin Lights
Dramaturgie und Übersetzung aus dem Englischen: Almut Wagner
Mit Ana Castano Almendral, Inga Eickemeier, Patricia Eisele, Vincent Glander, Orlando Klaus, Anne-Catherine Knöchelmann, Ingo Tomi, Raphael Voellmy, Leonie Merlin Young
Dauer: 2 Stunden ohne Pause
Porno, Trump und General Sutter
Mit Calderóns Geschichte fällt man ins Bodenlose. Anfangs lacht man noch etwas, bald zappelt man über dem Abgrund – und fällt. So geht es zunächst den armen Schauspielern in einem Filmset, bald aber auch uns. Die Dreharbeiten über das Leben General Sutters nach dem Roman "Gold" des Schweizer Schriftstellers Blaise Cendrars geraten völlig aus den Fugen. Anfangs ist die Irritation noch subtil: Regisseur Oskar wechselt unvermittelt vom gängigen 35-Millimeter-Filmformat auf die Videohandkamera. Ohne Stativ. Flugs erklärt er die Wackelbilder zum Stilmittel.
Dann beschwört er den Sutter-Darsteller, die Ehefrau-Darstellerin, der Film brauche jetzt Seele. Liebe. Dabei hat er die beiden in Wirklichkeit schon ersetzt. Neben dem Set warten bereits zwei Pornodarsteller auf ihren Einsatz. Ihr Realsex vor der Kamera (hinter einem Paravent) soll den Film aufpeppen.
Die Bestürzung ist gleich dreifach. Anfangs protestieren die Schauspieler noch dagegen, dass die Pornomodels als ihre Doubles eingesetzt werden sollen. Dann erst merken sie, dass Oskar die Models auch Dialogszenen drehen lässt, sie also entlassen sind. Der dritte Streich erschüttert ihr bürgerliches Künstler-Selbstverständnis bis in die Tiefe: Die Pornoleute spielen konzentrierter, leidenschaftlicher, sind besser vorbereitet.
Aber stimmt das so? Viel eher das: Die Schauspieler Alexander und Greta werden schon seit Monaten von Oskar ohne Gage ausgebeutet, sie sind erschöpft, aufgerieben. Die Models Marlene und Erik sind aber erst frisch dazugekommen. Für sie ist das Filmprojekt ein Aufstieg. Der Preis dafür ist die Selbstaufgabe. Erik, der sich unbewusst an seinen Peiniger anlehnt, brüllt mit der Wut des Geschundenen Alexander an. Sein Kernsatz: "Dieser Regisseur ist unser Sutter."
Zu dem Zeitpunkt hat sich die Konzentration auf dem Set längst in giftigen Zank, Kränkungen und Versöhnungsküssen verloren. Verzweifelt versucht man sich vorzustellen, wie die völlig dilettantisch gedrehten Szenen sich doch noch zu einem Film montieren liessen. Und man erfährt, dass Sutter (1803 bis 1880), der vor seinen Gläubigern nach Amerika floh und seine verarmte Familie in der Schweiz zurück liess, in Kalifornien als Vergewaltiger wütete. Sein Landwirtschafts-Imperium "Neu-Helvetien", das ihn für kurze Zeit zum reichen Mann machte, hatte er offenbar als Ausbeuter errichtet.
Damit sind wir beim politischen Thema des chilenischen Theaterautors Guillermo Calderón: Wie ein Machtmensch, der sich als Visionär aufspielt, eine Gemeinschaft zerstört und die Zivilisations-Fundamente aushöhlt. Ingo Tomi versteckt als Oskar sein Gesicht hinter Bart und Brille, seine Verlorenheit als Mensch und Künstler hinter narzisstischer Fahrigkeit. Solange seine Crew immer wieder sentimentale oder lüpfig-schlüpfrige Country-Songs anstimmt, so lange hat er sie bei der Stange.
Dann holt Calderón zum grossen Schlag aus. Der Film gewinnt an der Biennale in Venedig, und dies obwohl die Moderatorin ja bemerkt, dass einige Szenen "schrecklich wie schlechtes Fernsehen" aussähen, "sogar amateurhaft". Aus der Peinlichkeit können sich die Filmemacher noch herauswinden.
Aber dann bringt Greta die Sache mit ihrer Aussage endgültig zum Einsturz: "Also, Oskar fand, dass sein Film langweilig sei und deshalb hat er Sex und Flüchtlinge aus Syrien eingebaut, aber dann hat er gemerkt, dass seine Flüchtlinge blond sind, und hat sich dazu entschieden, alles umzudrehen und zusätzliche Szenen zu drehen über Flüchtlinge, die vor dem neuen faschistischen Regime in den USA fliehen."
Im Nu kehrt die Stimmung. Der Film sei unaufrichtig, heisst es jetzt. Die Moderatorin: "Sie benutzen Trump ausschliesslich, um Ihren Film vor der vollkommenen Irrelevanz zu retten. Das ist so zynisch." Mit der Volte denunziert Calderón die Kunstwelt als eine, die offenbar keine belastbaren Qualitäten mehr kennt. Die öffentlichen Werte- und Kultur-Diskussionen und -Appelle erkennt er als von zynischem Materialismus und geltungssüchtigen Glücksrittern im Goldrausch bedroht. Er wirft die Frage auf, wo unsere Zivilisation Boden fasst.
Ein wütender und trauriger Schluss. Man mag "Goldrausch" als überdrehte Farce auf die Bühne zurückdrängen. Man könnte auch Längen in der zweistündigen Aufführung monieren. Aber wer die politischen und gesellschaftlichen Spannungsverhältnisse als eventuell gefährlich ernst nimmt, wird sich Calderóns Befunden nicht so leicht entziehen können. Das Basler Publikum sah dies offenbar ebenso auf und dankte Calderón mit besonders heftigem Applaus.
13. Januar 2017