Theater Basel, Schauspielhaus
"Hexenjagd"
Schauspiel von Arthur Miller
Regie: Robert Icke
Bühne: Chloe Lamford
Kostüme: Wojciech Dziedzic
Sound: Tom Gibbons
Licht: Tom Visser
Dramaturgie: Constanze Kargl
Mit Helmut Berger, Andrea Bettini, Linda Blümchen, Massiamy Diaby, Steffi Friis, Urs Peter Halter, Barbara Horvath, Katja Jung, Hedi Kriegeskotte, Philipp Neuberger, Thomas Reisinger, Cathrin Störmer, Thiemo Strutzenberger, Yodit Tarikwa, Leonie Merlin Young, Florian von Manteuffel, Wanda Winzenried, Simon Zagermann
Es brennt, wenn die Angst regiert
"Bei Ibsens Nora randalierten die Leute, um Himmels Willen. Man darf es nicht erlauben, dass das Publikum nichts fühlt." Der Aussage in der Zeitung "Evening Standard" vor drei Jahren scheint sich der heute 32-jährige Regisseur Robert Icke noch immer verpflichtet zu fühlen. Seine erste Schweizer Inszenierung lädt Arthur Millers eh schon schwer erträgliche Spannungsspirale immer wieder von neuem mit saftigem und rüdem Schauspiel-Theater auf. Da wird geohrfeigt, gerempelt, geprügelt, geweint, gezittert und unter Hochspannung still gelitten.
Auch bei den Inszenierungsmitteln setzt der Engländer auf starke Akzente. Unheilvolle Klänge wabern aus den Lautsprechern. Ein leises Ticken mahnt die Uhrwerk-Mechanik an, mit der im westamerikanischen Salem des 17. Jahrhunderts haltlose Denunziationen unaufhaltsam eine Hexenjagd auslösen. Die Mädchen, die das halbe Dorf des Bundes mit dem Teufel beschuldigen, verwüsten schreiend den Gerichtssaal. Ein grosser Zähler im Hintergrund datiert uns in Jetzt-Zeit auf, wie viele Dorfbewohner das Gericht bereits verhaftet hat. Es brennt sogar auf der Bühne des Schauspielhauses.
Er fühle sich dem originalen Impuls, der zum Stück geführt habe, verpflichtet, sagte Icke im erwähnten Artikel. Miller hat mit dem Stück, das auf reale Ereignisse zurückgreift, die Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära verarbeitet. Also verlegt Icke das Stück von Beginn weg in einen dunkel getäfelten Gerichtssaal: Ein doppelter Boden, der zusätzlich Spannung schafft. So werden die Geheimnisse, etwa die nächtlichen Tänze der Mädchen oder der Ehebruch des Bauern Proctor mit deren Rädelsführerin Abigail auch vor den Ohren des Richters Hathorne verhandelt.
Der zerstörerische Furor enthüllt sich hier im energiereichen Spiel überaus plastisch in seiner grimmigen Komik, wie unter Biedermännern jahrelange Feindschaften aufbrechen, aus nachbarschaftlicher Intimität Hass auflodert, jeder den andern ans Messer liefert – und sei es bloss für Landgewinn. Angespannt und gequält folgt man dem absurden Gerichtsprozess. Wen die Mädchen beschuldigen, ist erledigt, und sei es nur, wenn diese behaupten, sie hätten den Geist eines Menschen bei einer Missetat gesehen. Schon der Versuch, eine Anklage abzuwehren, wird als Teufelsdienst gedeutet. Die Angst wird nicht nur als beherrschendes Gefühl spürbar, sondern als Triebfeder für die Katastrophe erkennbar.
Effektbewusst will uns Icke erschüttern, der Skandal des Unrechts soll irritieren. Man spürt fast dauernd die Absicht. So sind seine Mittel oft zu forciert. Undenkbar etwa, dass die 17-jährige Abigail 1692 die Gerichtsvorsitzende tätlich angegriffen hätte. Und auch zu unklar. Soll der heutige Gerichtssaal bedeuten, dass wir heute über die Vorgänge im 17. Jahrhundert zu Gericht sitzen?
Gerade die halbherzige Aktualisierung mit historischen Kostümen und aktuellen Anzügen schafft eine oft unüberwindliche Distanz. Sind wir jetzt damals oder heute? So kritisiert etwa Tituba bei ihrem Auftritt, dass sie als "Negersfrau" eingeführt werde. Verfolgte man diesen Ansatz weiter, so müsste man das Stück neu schreiben. Ohne inhaltliche Fortsetzung bleibt es aber bloss ein Gag. Später werfen sich diese Menschen betend auf die Knie. Mit heutigem Blick verstehen wir das in Mitteleuropa als exotisch. Nicht dass dies heute nicht auch geschähe: Das Problem ist die Pose, die hier eine damalige Kultur definiert.
Überhaupt ist der Fall allzu rasch klar über die Guten und die Bösen im Stück. Wenn Abigail nur eine mörderische Taktiererin ist und keine halluzinierende, vielleicht sogar faszinierende Seite offenbart, wenn Reverend Parris nur ein arroganter Hohlkopf ohne naive Rechtschaffenheit darstellt, dann ist der Fall für uns erledigt und die Erörterung beendet.
Ihre wahrscheinlich stärksten individuellen Leistungen seit ihrem Engagement am Theater Basel zeigen jedoch Barbara Horvath und Leonie Merlin Young. In Horvaths Frau Proctor kämpfen eine strenge Gesinnung und ein liebevolles Herz. Youngs Mary Warrens Gewissensqualen glaubt man, doch fürchtet man allezeit ihre Schwäche. Wie frappierend Direktheit und Selbstverständlichkeit im Spiel selbst bei einer dummen und verlogenen Figur facettenreich wirken kann, demonstriert vorbildlich Cathrin Störmer als Puritanerin Ann Putnam.
Was Icke geschafft hat, nicht zuletzt dank engagiertem Spiel des gesamten Ensembles: Man bleibt drei Stunden lang dran, will, auch wenn man das Stück kennt, erleben wie es ausgeht. Donnernder Applaus.
12. Januar 2019