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Claude Bühler – Premiere am Theater Basel

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Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere

"Ein Volksfeind"


Nach Henrik Ibsen

Regie: Simon Solberg
Bühne: Maren Greinke
Dramaturgie: Ole Georg Graf

Mit Roland Bayer, Nicole Coulibaly, Inga Eickemeier, Dirk Glodde, Martin Hug, Florian Müller-Morungen, Andreas Tobias


Die Volksfeindin als Autonome

Auf den ersten Blick könnte man sagen, Regisseur Simon Solberg und Dramaturg Ole Georg Graf hätten die Zeichen der Zeit erkannt. Erstens: Ein Mann kann man heute nicht mehr als reinen Helden verkaufen. Eine Frau muss es sein, wenn moralische Integrität behauptet werden soll. Aus dem Volksfeind Thomas haben Solberg/Graf eine Volksfeindin Katrin gemacht.

Inga Eickemeier spielt die idealistische Kurärztin Katrin Stockmann, die das Dorf völlig gegen sich aufbringt, weil sie Giftstoffe im KurbadBad entdeckt und an der Sanierung gegen allen Druck bis zur endgültigen Ächtung festhält. Das Bad hat dem Dorf nämlich Wohlstand gebracht, und dieser ist bedroht, wenn die Touristen vom Chemiemüll erfahren.

Diese geschlechtliche Umbesetzung ist der wesentliche Dramaturgie-Kniff des Abends. Denn der Mann ist heute – zumindest in der westlichen Mainstream-Öffentlichkeit – die selbstverständliche Chiffre für das Böse, Schwache und Ambivalente. Böse ist der knallharte Kurbad-Manager und Bürgermeister Peter Stockmann (Hug), der mit wohlbeleibt-gemütlicher Fassade seine Schwester Katrin belächelt, dann bedroht und am Ende entlässt. Schwach ist ihr Mann Thomas (Müller-Morungen), der langhaarige, vorneübergebeugte Lehrer, der seine Frau verlässt. Und ambivalent sind der gelierte Dorfreporter Hovstad (Tobias) und der gesichtslose Buchdrucker und Hauseigentümer-Präsident Aslaksen (Glodde).

Diese wollten ursprünglich die Kurärztin nicht bloss mit einer Artikel-Kampagne unterstützen, sondern Fackelzüge veranstalten und Lobbying betreiben. Die "geschlossene Mehrheit" wollten sie in Gang setzen. Hovstad träumte gar von einer kleinen Dorfrevolution. Aber Hovstad und Aslaksen knicken augenblicklich ein, als klar wird, dass die Sanierung der vergifteten, dörflichen Goldgrube wohl eine Steuererhöhung zur Folge hätte. Merke also: Die heutige Gesellschaft ist so verfressen und wachstumssüchtig, weil devote Männer das Sagen haben.

Für Katrin Stockmann – denn sie ist nach dem Willen der Macher die reine Heldin ohne Fehl und Frage – bleibt nur mehr der totale Ausstieg. "Ich werde nicht zulassen, dass man sagen kann, man hätte es nicht gewusst", so der letzte Satz, den sie vor ihrem Tippi in die Kamera schleudert. Ihre Reinheit stützt die gesellschaftskritische Attitüde des Abends.

Zweitens: Den Plot aus dem Jahre 1882 kann man statt abendfüllend über fünf Akte auch in einem Zug in 75 Minuten verständlich durchbringen: immer flott vorwärts gespult, pro Dialog die fünf Kernsätze und schnellschnellschnell weiter. Nur kein Gefühl von Weile oder "Theater" aufkommen lassen. Ein leichtes Gewebe von griffigen Szenen, die sofort Effekt machen.

Der Provinz-Bürgermeister, der im werbespotartigen Auftakt-Monolog seinen Kurort den Kranken auch auf englisch empfiehlt ("We hope for the kranks"), sorgt von Beginn weg für Lacher. Wo spricht die Kurärztin mit den Journalisten? Na, klar auf dem Örtchen (Latrinenweg!). Oder in der Sauna (heisse Story!). Und wo streitet sie mit ihrem Bruder, dem Bürgermeister? Beim Skispringen (Fallhöhe!) und beim Schlittschuhlaufen (Glatteis!). Und kaum sind sie auf dem Eis, vibriert im Hintergrund schon "Schwanensee". Im Dreiminutentakt von einer szenischen Puppenstube zur nächsten: Vom Ehekrach beim Zähneputzen (Aussageorgan putzen!) bis zur Autofahrt mit Vater und Gerber-Unternehmer Morten (sie hockt im selben Boot!).

Die Bühne ist das Kurbad-Bassin. Geradezu putzig: Gespielt wird wie im Clown-Workshop mit dem, was zur Hand ist. So werden die Badtücher mal zum Handy, zur Gift-Studie, dann zur ehelichen Bettdecke oder zum Demo-Banner.

Die Gegenstellung zur Gesellschaft nutzen die beiden jungen Theatermacher, um sich politisch zu positionieren. Katrin Stockmann trägt auf einmal die schwarze Kapuzenjacke der "Autonomen" und bellt in ein Megaphon. Zusammen mit Mann Thomas weinen sie sich das Tränengas aus den Augen. In einem Videostatement hält die Kurärztin zu "Wachstum" rote Plastikschweine oder zu "öffentlichem Druck" Springerstiefel oder zu "Katastrophen" das Radioaktivitäts-Logo in die Kamera. Der Text, der klar gegen Globalisierung und Investoren Stellung bezieht, könnte von  Gegnern des Weltwirtschaftsforums verfasst sein. Dieses Video-Statement ergab einen höchst selten gewordenen Theatermoment, indem etwa die Hälfte des Publikums dazu applaudierte, die andere nicht.

Theater, das öffentlich zum Diskurs anregt: Fröhlichen Spontanapplaus gab es auch, als der Druckereibesitzer Aslaksen sagte: "Ich bin nur der Besitzer. Ich drucke, was mir gegeben wird." BaZ-Chefredaktor Markus Somm sass im Publikum.

Soweit so gut. Der Abend wird nicht langweilig. Aber auf den zweiten Blick ist er anpasserisch. Solberg/Grafs Schnellmerker-Theater geht nicht unter die Haut. Die Figuren haben die Tiefe von Comic-Personal. Auch die Heldin. Die Guten und weniger Guten: Das ist von Anfang an zugewiesen. Niemand muss Bruchstellen enthüllen: Es sind halt alle so, wie sie sind. Keine weiteren Fragen. Im Gegenteil: Anstelle von Fragen werden politische Rezeptantworten präsentiert. Ibsens Theater hatte wenigstens zur Folge, dass der Normalbürger sein Bild überprüfen musste. Was müssen wir es nach diesem Abend?

Ibsens Theater weckt Emotionen. Der Bürgermeister macht einen schon beim Lesen wütend. Man schämt sich für Hovstad. Und Kurarzt Thomas Stockmann geniesst dort zwar die Heldenverehrung, aber sein steifer Eifer macht auch ihn verdächtig. Er sagt dort Sätze wie "Recht hat nicht die dumme Mehrheit, sondern die kluge Minderheit." Eine ganze Saalgemeinde tobt. So politisch Unkorrektes kommt im Basler Schauspielhaus nicht vor.

"Autonome" oder "Aussteiger": Das zeigte Solberg auch schon bei "Die Räuber" als Alternative. Ist das der Endpunkt seiner politischen oder gar philosophischen Erörterung? Oder fällt ihm einfach kein anderes Bild ein?

Das Publikum (gut besucht, nicht ausverkauft) applaudierte lange und kräftig.

24. September 2011
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Claude Bühler, ist Journalist und Schauspieler in Basel. Er arbeitete erst als Freier Journalist bei Printmedien sowie als Medienverantwortlicher von act entertainment. Lange Jahre war er Redaktor und Produzent bei Telebasel. Heute arbeitet er als Redaktor bei "Prime News". Als Schauspieler war er in verschiedenen Regie-Arbeiten der Basler Schauspielerin und Regisseurin Ingeborg Brun sehen, beispielsweise als Jean in "Fräulein Julie" (A. Strindberg), aber auch als Professor Siebegscheit im Märli "Froschkönig" des Theater Fauteuil oder als Lucky in "Warten auf Godot" (S. Beckett) des Theater Marat Sade. © Foto by OnlineReports.ch

Claude.Buehler@gmx.net

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"Der neue Eingang zum Birsigparkplatz wird der Ersatzneubau des Heuwaage-Hochhauses bilden."

bz
vom 26. März 2024
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Wer bildet was oder wen?

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Im Bericht über "Unruhe am Regioport" bezieht sich Bajour auf die OnlineReports-Ursprungsrecherche aus dem Jahr 2018.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Artikel über die Kantonsfinanzen im Baselbiet auf OnlineReports.

Die bz verweist in einem Bericht über die Neuausrichtung der Vorfasnachts-Veranstaltung Drummeli auf einen Artikel aus dem OnlineReports-Archiv.

Die Basler Zeitung zitiert in einem Leitartikel über die SVP aus OnlineReports.

Baseljetzt bezieht sich in einer Meldung über den Rücktritt von Ralph Lewin als SGI-Präsident auf OnlineReports.

Die Basler Zeitung nimmt die OnlineReports-Recherche über den blockierten Neubau der BVB-Tramstrecke über das Bruderholz auf.

Die Basler Zeitung und Infosperber übernehmen die OnlineReports-Meldung über den Tod von Linda Stibler.

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Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Interview zu den Gemeindefusionen auf OnlineReports.

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In einem Artikel über die Leerstandsquote bei Büroflächen in Basel nimmt die bz den Bericht von OnlineReports über einen möglichen Umzug der Basler Polizei ins ehemalige Roche-Gebäude an der Viaduktstrasse auf.

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