Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung/Auftragswerk, entstanden im Rahmen des AutorInnenförderprogramms Stück Labor Basel
"Das Recht des Stärkeren"
Schauspiel von Dominik Busch
Inszenierung: Felicitas Brucker
Bühne: Viva Schudt
Video: Arved Schultze
Kostüme: Katrin Wolfermann
Ton: Beat Frei
Licht: Roland Heid
Dramaturgie: Ewald Palmetshofer
Mit Carina Braunschmidt, Nicola Fritzen, Steffen Höld, Orlando Klaus, Lisa Stiegler
Eine Idealistin wird zur Mörderin
60'000 Menschen vertrieben, 2'600 ermordet: Paramilitärische Verbände sollen laut Medienberichten jahrelang in Kolumbien gewütet haben, um den Weg frei zu machen für den lukrativen Kohleabbau. Die Kohle landete in unseren Kohlekraftwerken, das Geld bei unseren Rohstoffkonzernen. Solche mit Profit zusammenhängenden Verbrechen will die Konzernverantwortungs-Initiative inskünftig verhindern: Die Multis sollen über die ganze Wertschöpfungskette für Menschenrechts-Verletzungen haftbar gemacht werden.
Oberflächlich betrachtet könnte man Dominik Buschs Schauspiel in der Erstinszenierung von Felicitas Brucker als Agitprop im Auftrag der Initianten abtun. Der kleine Killer Àlvaro erzählt ins Publikum, wie er eine Familie, Vater, Mutter, Kind, Säugling, auslöschte.
Später erklärt er, wie seine Bande einen Bauern bei lebendigem Leib Stück für Stück zersägte: Es ging nicht um den Tod des Mannes, sondern darum, die Andern im Dorf mit Angst zu brechen. An Steffen Hölds Gesicht wird man sich erinnern. Erschütternd sind nicht nur die Entsetzlichkeiten, die er erzählt, sondern auch, wie sich in die Angst eines Tieres Anflüge von Faszination für die Greueltaten mischen.
Immer wieder sehen wir imposante Videobilder der menschenleeren Tagebaustellen, die die ganze Breite und Höhe der kleinen Bühne ausfüllen. Deren deprimierende Ödnis oder bizarr übersteuerte Farbgewalt wühlen sich ins Gemüt: aufgerissenes Land, stählerne Ausbeutungsmaschinen – dazu düstere Synthesizerklänge.
Soweit die Anklage. Aber der Schweizer Autor stellt nicht sie in den Vordergrund, sondern uns, und dies mit einer komprimierten, dramatischen Situation, die künstlich anmutet: Die Schweizer Dokumentarfilmerin Nadja Studer recherchiert in Kolumbien nach den Verbrechen einer Rohstoffhändlerin, und die ist – ausgerechnet – ihre Mutter.
Lisa Stiegler und Carina Braunschmidt spielen beherzt, differenziert, offenbaren Brüche, Schmerz und Schauer. Man kann kaum mehr Engagement wünschen. Aber der persönliche und weltanschauliche Aufprall zwischen der Berufsjugendlichen im Hoodie und der stählernen Businessfrau entspricht den gängigen Klischee-Vorstellungen. Der Text schliesst den Einblick in tiefere Persönlichkeitsschichten aus.
Aber vielleicht soll mit Nadja mehr unsere ichbezogene Wohlstandsgesellschaft kritisch betrachtet werden? Es ist geradezu rührend, wie anhänglich und anklagend zugleich sie in den Film über die Verbrechen der Paramilitärs und der Rohstoffkonzerne Bilder ihrer Mutter im Swimming Pool als running gag einschneiden will. Oder wie sie darauf besteht, das Bild eines Jungen mit einem Esel als Darstellung einer heilen Welt einzubauen, um die Fallhöhe zu den Greueln zu erstellen – wie sie im Streit mit ihrem Cutter eine wirkliche Beziehung zu den Menschen in Kolumbien behauptet.
Und es ist gerade deshalb erschütternd, wie sie zur Verräterin an ihrem einzigen Kronzeugen, Àlvaro, wird: Sie verspricht, seine Aussage aus dem Film zu nehmen, mit denen er seine Paramilitärs belastet, und tut es nicht. Die Idealistin wird moralisch zur Mörderin, auch wenn sie nicht selber die Motorsäge bedient.
Während Àlvaro den Tod des Bauern stirbt, präsentiert sie ihren Film an einem Festival, plädiert für die "Selbstbestimmung" der jetzt ausgebeuteten "Bürger": Eine Selbstbestimmung im Sinne von Verantwortungsfähigkeit, die sie persönlich gar nicht errungen hat. Mehr noch: Wie ihre Mutter das Recht der Mächtigen, sich zynisch nur nach Angebot und Nachfrage zu orientieren, wie ein Naturgesetz vertritt, stellt sie ihren Film über das Leben eines Menschen, der angeblich dank dieses Films befreit werden soll.
So steht die Mutter-Tochter-Geschichte vielleicht nicht nur für den Generationenkonflikt, sondern für Nadjas hermetisches, infantiles Lebensgefühl, wo man den Problemen scheinbar mit dem Flugzeug entfliehen kann. Vielleicht hat deshalb Felicitas Brucker immer wieder zärtliche Zuwendungen, selbst beim Commandante der Paramilitärs, Diego, zwischen die Figuren gelegt, die nicht die wirklichen Verhältnisse vorstellen können. Diese kann aber Nadja nur mittelbar erfahren: durch ihre Filmarbeit. Das Stück beginnt und endet mit Monologen Nadjas, in denen sie ihr Erlebnis beim Besuch der Mutter mit filmischen Mitteln aufschlüsselt: Wir erleben eine Art Ich-Roman, die mit einem nicht bewältigbaren Identitätsbruch endet.
Erstaunlich ist Buschs Fähigkeit, mit nur fünf Personen in 80 Minuten diese komplexe Geschichte zu erzählen. Dank seiner Technik, dramatische Konstellationen wie zu einer Mathematikformel zu verdichten, entlässt Busch das Publikum mit vielen moralischen Fragestellungen. Diese werden jedoch durch den Eindruck von Konstruiertheit geschwächt. Das Publikum applaudierte lange.
19. Januar 2018
"Aktuellstes Theater par excellence"
Das neue Stück des letztjährigen Hausautors Dominik Busch entlässt einen nach der heutigen Premiere nicht einfach in die Stadt, wo wir ein Bier oder Wein trinken und dann gemütlich nach Hause fahren. Ich zumindest fühl’ mich betroffen, aber auch etwas ratlos, aber ganz bestimmt nicht gleichgültig. Zu viele Stränge der eben miterlebten Geschichte sind noch offen, nur lose verknüpft. Auch die Vielzahl von verschiedenen Rollen, die jede der sechs Akteure eigentlich spielen, macht einen zunächst eher konfus, wird aber mit zunehmender Spieldauer stimmig.
Wir haben es mit Menschen zu tun, die nicht "fertig" sind, sondern von ihren Rollen in unserer mehr als widersprüchlichen Gesellschaft, die zum Beispiel Doppelmoral als Führungsqualität voraussetzt, überfordert sind. So spielt Carina Braunschmidt eigentlich die Mutter der Protagonistin Nadja, gibt dann aber auch die Führungsperson des Schweizer Rohstoffhändlers im abgeschmackten Businesslook und zu guter Letzt dann auch die hilflose Vertreterin einer sich in Abdankung begriffenen Elterngeneration der Spätachtunsechziger, die sich nur noch im Schreien und Kreischen spürt. Konflikte lösen die anderen, stellvertretend und gut bezahlt, versteht sich.
Diese fehlende "Tiefe", die geringe Konfliktlösungs- und Lebenskompetenz, die Claude Bühler in seiner Premierenkritik moniert, ist hier kein Mangel, sondern Konzept: sind wir nicht alle in vielen, zu vielen Rollen gefangen, die uns daran hindern, eine klare "Linie" zu verfolgen, das heisst, einfach uns selbst zu bleiben? Wir ziehen uns stattdessen lieber vom eigentlichen Handeln und Konfliktlösen zurück, wie das Nadja am Schluss auch tut. Wider alle Versprechungen liefert sie ihren Informanten Alvaro am Schluss – wohlwissend – ans Messer. Ein Mord auf Distanz, fast so klinisch sauber wie die Tresen in den Eingangshallen von Glencore und Co.
Dieses Stück hat mit uns allen zu tun. Wir spielen alle mit. Und nicht eben eine noble und ehrenwerte Rolle. Was Regisseurin Felicitas Brucker und sechs grossartige Schauspieler da in 90 Minuten auf die kleine Bühne brachten, ist aktuellstes Theater par excellence.
Während am WEF in Davos über die neuesten Rohstoff-Firmenübernahmen und Trumps neue Pläne zur Erdölprospektion gefeilscht wird, macht sich die Dokumentarfilmerin Nadja (Lisa Stiegler: grossartig) mit viel Engagement auf die Suche nach den undurchsichtigen Verstrickungen einer grossen Schweizer Rohstofffirma im umsturz- und gewaltgeschädigten Kolumbien, wobei die junge Frau immer weniger zur Dokumentalistin, aber mehr und mehr zur Suchenden nach den Ursprüngen ihrer "mitgebrachten" Überzeugungen wird. Sie trifft dabei auf ihre Mutter, die ihr ihre skrupellose Rolle in der Rohstoffirma erst vor Ort offenbart.
So erhält die Familiengeschichte mit Mutter-Tochter-Konflikt durch die zunehmende Entfremdung der beiden Frauen eine zusätzlichem Dimension als Beispiel eines neuen Generationenkonflikts – zwischen der zum konkreten Handeln und dem solidarischen Engagement für die Benachteiligten dieser Welt erzogenen Generation der Millennials und einer saturierten, mittlerweile sehr vermögenden Elterngeneration, die sich in einer durch Unrecht, Gewalt und Kriminalität geprägten Gesellschaft mit stets wechselnder herrschender Klasse auf ideale Weise arrangiert hat. Die sich noch immer an der Verschacherung der Bodenschätze und Rohstoffe, dem einzigen "Kapital" dieser Länder, hemmungslos bereichert.
Am offenen Schluss ist auf der Bühne erst ein Teil des Knotens aufgedröselt, wie bei uns allen. Was folgt, ist das Betroffenheit? Nun, es folgt viel verdienter Applaus eines (nachdenklichen?) Publikums und ein hoffentlich ziemlich schales Gefühl in der Magengegend: Der Stärkere setzt sich durch, weil man ihn eben lässt.
Hingehen und schauen: 30.1./9.2./15.2.
Thomas Brogli, Liestal