Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Romeo und Julia"
Autor: William Shakespeare
Regie: Barbara-David Brüesch
Dramaturgie: Anita Augustin
Bühne: Stéphane Laimé
Musik: Christian Müller, Chrischi Weber
Kampfchoreographie: Klaus Figge
Kostüme: Heidi Walter
Mit Simon Bauer, David Berger, Dirk Glodde, Philippe Graff, Julian Hackenberg, Claudia Jahn, Mathis Künzler, Katka Kurze, Vincent Leittersdorf, Judith Strössenreuter
Diener: Heinz Augsburger, Frank Bauer, Heinz Büchler, Samuel Gasser, Regula Häflinger, Uta Helmrich, Marcus Rehberger, Carlos Sosa, Janine Ziltener
Romeo und Julia als düsterer Bühnen-Comic
Haben wir schon alles hinter uns? Düster ist die mit schwarzen Papierfetzchen besäte Spielfläche in der Mitte des Schauspielhauses (Bühne: Stéphane Laimé). Eine Reihe von buckligen, langhaarigen Dienern in abgeschabten Fräcken, die aussehen wie die Figur Riff Raff aus der Rocky Horror Picture Show, huschen wie Untote über die Szene. Sitzen wir also um ein Totenreich statt um die Stadt Verona zu Renaissance-Zeiten? Mit Sicherheit ist es ein ins Abseitige gedrehter Kosmos. Und dass dieser Kosmos als verfremdeter Ort eines dramatischen, ja eines romantischen Spiels aufgenommen werden soll, das betonen die zwei Live-Musiker Chrischi Weber und Christian Weber, die von Beginn weg Holzhammer-Beats, Gitarren-Lärm und allerlei Gezirpe ins Geschehen jagen.
Schon bei Publikumseintritt schwingt einer jener Buckligen bedrohlich ein Beil; bald fällt er hin, so schwergliedrig, als wäre er zu müde, um zu sterben. Hat ihn der Hass zwischen den beiden mächtigen Häusern Montague und Capulet so niedergerungen, der die Liebe zwischen deren Kindern Romeo und Julia unmöglich macht? Die zwei Familienväter geben bald mit zwei übermannsgrossen Schwertern eine kurze Kostprobe der grotesken Verhältnisse: Kling-klang-peng-au. Oder hat diese gebeugten Diener der Sex so erschöpft?
Es ist eine schiefe, leichenblass geschminkte, fast durchwegs schwarz gewandete Gesellschaft mit verfilzten Haaren und kühnen Frisuren, die da über zwei Stunden in morbidem Übermut lacht, tanzt, singt, sich begrapscht und prügelt. Die Jugendlichen darunter hüpfen, zappeln, fechten, zoten und schreien getrieben von der Energie, die ihnen den Hosenboden lupft, herum. Wohin damit? Entweder zum Sex oder in den Tod. Dass bald der eine, Mercutio (Bauer, Romeos Freund), bald der andere, Tybalt (Graff, Romeos Feind) tot liegen bleibt, kann nicht überraschen. Auch nicht, dass in diesem schwarzhumorigen Bühnen-Comic einer seinen Kopf auf einem Tablett spazieren führt. Oder dass sich Romeo und Julia am Fest bei den Capulets – eine eher bizarr-laszive Techno-Party – erstmals in riesigen Gorillaköpfen (Achtung: Triebsymbol!) begegnen.
Auf kaum etwas anderes als Sex, Trieb und Tod haben Regisseurin Barbara-David Brüesch und Dramaturgin Anita Augustin Shakespeares Tragödie reduziert. Für viel Gelächter sorgt Mercutio, der die erwähnte Party nur mit einer Socke bekleidet besucht. Selbst Mönch Lorenzo (Glotte), der das Gute will und Romeo und Julia heimlich traut, und unabsichtlich die Tragödie vorspurt, trägt unter seiner Kutte schwarze Lederhose und ein schwarzes, transparentes T-Shirt (Kostüme: Heidi Walter).
Und die Liebe? Sie kommt vor als ein Faszinosum, das die Betroffenen mehr überwältigt, als dass man seine Gefühle einfach ausdrückt. Judith Strössenreuter als Julia, David Berger als Romeo treffen mit ihren schönen Zügen so ideal das Bild, das wir uns traditionell vom berühmtesten Liebespaar nach Adam und Eva machen. Aber er mit den verfilzten Haaren, die unter seiner Hoodie-Kapuze hervorlugen, sie mit den zu kurzen Stirnfransen, sehen sie aus wie deformierte Kinder dieser deformierten Gesellschaft.
Was ihnen jedoch bleibt, was die beiden Schauspieler auch klar herausstellen, etwa bei der berühmten Balkon-Szene, ist das so unschuldige wie auch ungerührte Staunen über bislang unbekannte Gefühlssensationen. Und wenn Julia den Romeo die Liebe schwören lässt auf sein "edles Selbst", so klingt das bei Strössenreuter zwar locker dahergesagt, aber auch wie die erstmalige Entdeckung, dass es eine solche Instanz überhaupt gibt.
So täte man der Aufführung unrecht, hielte man sie bloss für Klamauk. Wenn Vater Capulet seiner Tochter Julia androht, er werde sie verstossen, wenn sie nicht den von ihm gewählten, adligen Gecken Paris (Mathis Künzler) heirate, so gibt sich Vincent Leittersdorf einem irre lächerlichen Tobsuchtsanfall hin, wälzt sich auf dem Boden, dass man zwar lachen will. Man tut es aber doch nicht, es ist einem unwohl, die Lage ist ernst, das Elend fühlbar gross. Hier schlägt auch Julias Liebe zu Romeo am Stärksten durch, wenn sie sich dem Vater widersetzt: Strössenreuter spielt die Szene aus dem eigenen Ernst, der sich ihr durch die Liebeserfahrung mit Romeo eröffnete.
Wie Geilheit und Bigotterie, Unterwürfigkeit und Machtbewusstsein verborgen und doch spürbar wird, führt Katka Kurze als Amme vor – etwa wenn sie es geniesst, Julia das Ja-Wort von Romeo möglichst lange zu verschweigen. Dass es trotz dem rasch vorangetriebenen Erzählrhythmus, der lärmigen Betriebsamkeit immer wieder Platz für länger ausgespielte Szenen hat, die tragfähig bleiben, gehört zu den grossen Stärken der Inszenierungsarbeit.
Die Schwäche besteht darin, dass die starke Verfremdung weitergehende Subtilitäten ausschliesst. Die Gefühlsäusserungen bleiben trocken, immer im ungefährlichen Bereich – aus Angst vor Peinlichkeit? Etwa in der Gruftszene am Ende: Wenn Romeo seine vermeintlich tote Julia entdeckt, sie betatscht, sie küsst, sie wie eine Puppe aufrichtet, da kippt die Tragödie ungewollt ins Rührstück – ein Effekt, den man vor dieser Szene mit viel Karikatur bannen wollte. In der Szene wird im Spiel kein existentieller Moment spürbar.
Für das Ende hat die Regie einen eigenen Dreh gefunden. Im Moment, wo Romeo, der sich vergiftet, stirbt, im Kuss, erwacht Julia, will sich selber auch töten, findet weder Gift noch Dolch, küsst ihn, wieder und wieder, bis er erwacht. Sie leben? Goldflitter fällt vom Bühnenhimmel. Oder finden sie sich gemeinsam im Totenreich? Der melodramatische Schluss zu dieser Tragödie traf den Geschmack des Premierenpublikums. Starker Applaus.
13. Februar 2015