Auch Verlage und Labels spüren den Franken
Seit mehr als 35 Jahren veröffentlicht der Basler Werner X. Uehlinger als Produzent von Tonträgern auf seinem Label "Hat Hut" Neue Musik und Jazz. Beinahe 400 Produktionen sind entstanden. Viele Künstler hat er begleitet und vielen zu Bekanntheit verholfen, zum Beispiel Anthony Braxton. Pauline Oliveros vermittelt mit ihrem Akkordeon und ihrer "travelling music" ein faszinierendes Klangerlebnis zwischen Mythologie und elektronischer Verfremdung (Peter Ward). Hans Kennel hat dem Alphorn neue Jazztöne entlockt und Volksmusik in eine neue Dimension übersetzt.
Auf dem Gebiet der Neuen Musik sind die Namen von John Cage, Giacinto Scelsi und vor allem Morton Feldman zu erwähnen. Neuerdings ist auch Luc Ferrari, der Allround-Avantgardist, bei "Hat Hut" anzutreffen. Neue Musik hat heute sehr viel mit Experimentieren und aufmerksamem Hören von Klängen zu tun. Sie verlangt Konzentration und ist alles Andere als beiläufiges Hintergrundsrauschen. Umso schwerer hat sie es. Aber soll Exklusivität ein Nachteil sein?
Hergestellt werden die CDs in Auflagen von 1'500 Exemplaren. Sie kosten zwischen 25 und 30 Franken, davon bleiben Uehlinger neun Franken, mit denen er unter anderem die Herstellung und Abgaben an die Verwertungsgesellschaft SWISA bezahlen muss. Vielleicht reicht es noch für ein Künstlerhonorar. Nur dank Beiträgen von Mäzenen und Sponsoren war es bisher möglich, das Programm durchzuhalten. Heute reichen sie kaum noch zur Rettung vor dem Ertrinken.
Jetzt könnte dem Unternehmen das definitive Ende bevorstehen. Nicht nur Wirtschaft und Tourismus leiden unter dem hohen Franken, auch ein Ein-Mann-Betrieb wie "Hat Hut" arbeitet für den Export (90 Prozent der Produktion gehen ins Ausland) und ist mit dem gleichen Problem konfrontiert. Internationale Anerkennung ist Uehlinger gewiss – davon leben ist etwas Anderes.
Die gleichen Schwierigkeiten kennen auch viele, vor allem kleinere Schweizer Verlage. Auch sie sind auf den Verkauf ihrer Werke im Ausland angewiesen und begegnen den gleichen Franken-Schwierigkeiten. Der deutsche Buchmarkt wird von grossen Ladenketten beherrscht, die den Verlagen die Konditionen diktieren. Ausserdem geniessen die deutschen Verlage in Deutschland einen Heimvorteil gegenüber den Schweizer Verlagen. Und dass die Schweizer Buchhandlungen ihre Bücher neuerdings vermehrt beim Grossisten KNO in Stuttgart einkaufen (und nicht beim Schweizer Buchzentrum), schmälert zusätzlich die Einnahmen der Schweizer Verlage. Die Absicht, die Buchpreisbindung aufzuheben, wird die Situation voraussehbar verschlechtern.
Soviel zum Besonderen. Nun zum Allgemeinen. Vielleicht müsste einmal deutlich die Frage gestellt werden, warum Kulturgüter marktwirtschaftlichen Überlegungen unterliegen sollen? Theater, Museen, Musikveranstaltungen sind neben privaten Zuschüssen (wie zum Beispiel für das Kunstmuseum Basel) auch auf staatliche Beiträge angewiesen.
Zusammen haben sich deshalb die Labels Intakt Records, Unit Records, TCB, Altrisuoni und "Hat Hut", die sich auch als Kulturbotschafter verstehen, jetzt mit einem Hilferuf an Bundesrat Didier Burkhalter gewendet. 200'000 Franken bräuchten sie im Augenblick dringend zum Überleben und um aus der gegenwärtigen Lage, die auch eine Kulturkrise ist, herauszukommen.
Es ist ein Irrtum zu meinen, dass Kultur selbsttragend sein könne und nichts kosten dürfe. Auch Kultur ist Arbeit, die gewürdigt zu werden verdient. Sollen sich nur Turbinenhersteller und Pharmaunternehmer eine Zweitwohnung im Berner Oberland leisten können? Die Kulturschaffenden sind gern bereit, darauf zu verzichten, wenn sie dafür ihre Projekte weiterverfolgen können.
Fazit. Kultur ist eine Kraft, die den gesellschaftlichen Prozess begleitet. Sie ist auch ein Stück Lebensqualität. Wo kulturelle Einrichtungen auf dem Rückzug sind, entstehen bestimmt keine attraktiven Erfolgsdomizile, sondern eher neue soziale Problemgebiete.
Transparenz: Der Autor ist bei der "Plattform für neue Musik" engagiert, die sich für die Förderung Neuer Musik einsetzt, wobei sie bisher einmal Uehlinger unterstützt hat, aber auch andere Projekte fördert.
5. September 2011