Hier Rhetorik, dort Realität
Friedrich Schillers "Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" mögen ein bedeutendes Stück deutscher Prosa sein, aber wenn die Welt jeden Tag ein Stück unverständlicher, widriger, abscheulicher wird - was fange ich dann damit an?
Am jährlichen Davoser Rapport von Wirtschaft, Kapital und Politik ist jeweils viel von Verantwortung und Nachhaltigkeit die Rede. Doch kaum sind die Fernsehkameras und Mikrophone ausgeschaltet, hält der Alltag mit seinen normativen Zwängen wieder Einkehr. Dieses Jahr war in Davos auch von der Klimabedrohung die Rede. Sie war auf der Traktandenliste "top" gesetzt.
Sofort nach Davos wurde der UN-Klimabericht veröffentlicht und gab die EU-Kommission ihren Willen bekannt, die Grenzwerte für den CO2-Ausstoss zu limitieren. Postwendend drohten die deutschen Autokonzerne mit Entlassungen. Am Europatag der Deutschen Wirtschaft stellte sich Frau Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, entschlossen vor die deutschen Autobauer.
Entweder bedroht der Klimawandel die Menschen oder er bedroht sie nicht. Wenn er aber eine Bedrohung darstellt, wie die Wissenschafter sagen und was sogar die "Swiss Re", die für die Klimaschäden aufzukommen hat, anerkennt, dann muss etwas unternommen werden. Schöne Deklarationen helfen nicht weiter.
Doch genau das ist es, was geschieht. Die Chronik einer angekündigten Katastrophe ist in deutlicher Sprache verfasst, aber griffige Massnahmen sollen ja keine ergriffen werden. Soll jeder zu Hause das Licht löschen, das ist eine gute Sache. Nur nicht dramatisieren, nichts überstürzen. Den Autofahrern scheint ein Umdenken nicht in den Sinn zu kommen. Ein paar unter ihnen schon, aber es gibt heute so viele Bonus-Bezüger, die sich leisten können, was sie wollen. Der Offroader ist Viagra für die neue Klasse der Forschen, Optimisten und Steueroptimierer.
Dieser Tage sprach sich die Umweltkommission des Nationalrats gegen eine Beschränkung für Offroader aus. Angeblich aus "handelsrechtlichen Gründen" - als ob das ein relevanter Grund sein könnte. Aber so sind die Verhältnisse.
Die Idee einer UN-Umweltbehörde, die der französische Präsident Jacques Chirac vortrug, stiess in Amerika, Russland und China auf Ablehnung.
Wahrscheinlich sind die Davoser Teilnehmer, die so reden, und die Wirtschaftsführer und Politiker, die anders handeln, nicht immer die gleichen Personen, aber der Kuchen, den sie essen, ist derselbe. Die schönen Reden werden durch keine Praxis, keine Bilanz gestört. Ihre Bekenntnisse abzulegen kostet die Wirtschaftsführer nichts, hinterlässt aber eine werbegünstige Wirkung. Die Sales Manager im Hintergrund wissen genau, was sie zu tun haben.
Worüber reden die Teilnehmer in Davos, wenn sie sich im exklusiven Kreis treffen? Der "SonntagsBlick" hat in einem an Sarkasmus unübertroffenen Artikel die Fress-Orgien in Davos ins Visier genommen.
Es fällt von Jahr zu Jahr schwerer, im World Economic Forum mehr zu sehen als eine aufgeblasene Macht- und PR-Demonstration der Global Player und ihrer politischen Zudiener.
19. Februar 2007
"Die deutsche Autoindustrie wird Marktanteile verlieren"
Frau Merkel am WEF - das war für mich der konzentrierte Opportunismus: In Davos das Geplapper betreffend der Reduktion von CO2 - kaum zu Hause wieder der zynische Kniefall vor der deutschen Autoindustrie mit deren Androhung von Arbeitsplatz-Verlusten. Dabei wird die deutsche Antoindustrie so oder so in nächster Zeit viele Marktanteile verlieren, weil sie es mit ganz wenigen Ausnahmen schlicht verpennt hat, verbrauchsgünstige und umweltfreundliche Fahrzeuge zu entwickeln. Selbst die Franzosen, sonst ja nicht gerade die "Öko-Anführer", sind da wesentlich weiter. Ich und meine Mitarbeiter fahren seit einigen Jahren zwei Renault Kangoo Electric mit "Range Extender", die wir allerdings in Frankreich direkt kaufen mussten, und sind sehr zufrieden. Wir staunen, was in Frankreich in dieser Richtung alles angekündigt ist.
Heinrich Holinger, Sabine Bikle Holinger, Oberdorf
"Zurück zur Natur, aber nicht zu Fuss"
Das WEF Davos ist für mich auch nicht mehr glaubwürdig. Auch die Umweltproblematik wird zum Spielball der Drahtzieher in Politik und Wirtschaft. Herr Schmidt bringt das sehr gut auf den Punkt. Wie sieht es in der breiten Bevölkerung aus? Wer ist bereit zum Quantensprung vom Erkennen zum Handeln? "Alli wönd zrugg zur Natur, aber nöd z'Fuess". So kommentierten die Ostschweizer Schnitzelbänkler "Feuerwehr" übers Wochenende die Stimmung im Lande.
Katha Keller, St. Gallen