Die fabulöse Euro-Rettung – ein Fortsetzungsroman
Als nach dem letzten Euro-Gipfel in Brüssel zum x-ten Mal die Rettung des Euro verkündet wurde, jubilierten die Finanzmärkte. Fürs Erste jedenfalls, denn die Bezeichnung "Rettung" hat zwar längst eine redemptorische religiöse Konnotation bekommen (dem Euro soll die Gnade der Finanzmärkte zuteil werden), aber die Ökonomen sagten erneut voraus, dass die Anstrengungen nicht ausreichen werden. Griechenland musste sich neuen Sparmassnahmen, die ihm aufgezwungen wurden, fügen, und wieder kehrte vorübergehend Ruhe an den Märkten ein.
Gleichzeitig wurde für weitere mögliche Kandidaten der Rettungsschirm dank eines wunderbaren Hebels auf eine Billion aufgestockt, und zwar so: Man gewährt keine neuen Kredite, sondern versichert die Schulden und macht, in bester Manier der Spekulanten, mit dem Risiko ein zusätzliches Geschäft. Hereinspaziert, meine Damen und Herren, in das Zauberland der Finanzwelt.
Täglich treffen neue Botschaften ein und überschlagen sich. Der Vergleich mit einem Fortsetzungsroman bietet sich an, dem die Kettenreaktion der Euro-Schmelze entspricht.
Für später, wenn die Aufmerksamkeit nachgelassen hat, ist dann die Abrechnung für die fabulöse Euro-Rettung vorgesehen. Unverfroren deponierte die "NZZ": Das Massnahmenpaket "wird – direkt und über ihre Pensionskassen – die Sparer treffen und – unmittelbar und über Beiträge an Bankenrettungen und internationale Kreditfazilitäten – die Steuerzahler". Dass die Banken für die schlechten Ergebnisse mit dem Griechenland-Geschäft selber aufkommen würden – wer könnte so naiv sein und so etwas annehmen.
Gemütlich wird der Ausgang auf keinen Fall sein. In der "Süddeutschen" erklärte der deutsche Ökonom Stefan Homburg: "Hoffnungen haben diejenigen, die nichts besitzen, denn ihnen kann auch nichts genommen werden." Die Anderen müssen sich die Nase reiben. Herr Homburg, wir danken Ihnen für diese Einschätzung.
Was die Aufstockung des Eigenkapitals der Banken, um sie zu stabilisieren, betrifft – auch sie wird die Allgemeinheit etwas kosten. Und die Banken können dann auf einem höheren Niveau ihre riskanten Geschäfte fortsetzen.
Weiter zur nächsten Folge im Euro-Feuilleton: China kauft europäische Schulden auf, nicht aus Euro-Liebe, sondern weil es sich auf diese Weise einen Teil der europäischen Wirtschaft aneignen kann.
Auch das wird nicht das Ende sein. Die Krise hat noch nicht ihren Tiefstpunkt erreicht und noch nicht "die schlimmst-mögliche Wendung" (Friedrich Dürrenmatt) genommen. Solange dies nicht der Fall ist, wird die Krise als Normalzustand weiter bestehen.
Übernächste Folge: Griechenland lehnt die Hilfe ab und legt sich quer. Schlimm für die Banken und Investoren mit Griechenland-Schulden. Also muss das Land zu Tod kuriert werden, damit die Banken mit griechischen Schulden ungeschoren davon kommen. Ein weiteres Mal erweist sich die Therapie als Krankheitsursache.
Dies alles zeigt mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass es sich bei den Versuchen, "den Euro zu retten" (wie es in den Sprech- und Seifenblasen der Kommentatoren heisst), in Wirklichkeit um eine Bankenrettungs-Aktion handelt und die Euro-Kalamitäten ein integriertes Teilproblem der schönen neuen Weltfinanzordnug (oder eher –unordnung) bilden.
Bis eines Tages das Mass voll ist. Die "Occupy"-Bewegung ist ein Teil der Schubumkehr. Interessanter ist jedoch, dass inzwischen bürgerliche Kreise anfangen zu merken, dass etwas aus dem Ruder läuft. In der "FAZ" hat deren Mitherausgeber Frank Schirrmacher in einem Beitrag mit dem Titel "Demokratie ist Ramsch" festgestellt, "dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen" – nämlich jeweils dann, wenn Politiker ihre Hausaufgaben darin erblicken, das sogenannte Vertrauen der Märkte wieder herzustellen (auch eine verbale Seifenblase). Etwas pauschal könnte man einwenden, dass die Demokratie geopfert wird, um die neoliberale Wirtschaft zu erhalten.
Vier Tage nach Schirrmacher und nachdem Griechenlands Premier Papandreou seine Idee, das Volk per Referendum über den Euro abstimmen zu lassen, längst wieder eingepackt hatte, verbreitete die NZZ: "Mündige Bürger sind Europa suspekt." Vor allem sind sie nicht Europa ungeheuer, sondern den Märkten, die Papandreou mit seinem Schachzug für ein paar weitere Stunden beruhigt hat.
Ein Lichtblick ist es, dass in der "FAZ" sich auch Jürgen Habermas zu Wort gemeldet und sich die "Systemimperative des verwilderten Finanzkapitalismus" sowie die Hauptdarsteller der gegenwärtigen Krise, die "an den Drähten der Finanzindustrie zappeln", vorgenommen hat. Denn die Euro-Krise ist auch zu einer Legitimationskrise der EU geworden, was ja auch mal gesagt sein musste.
Trotzdem geht der Euro-Feuerwehrroman im Stundentakt weiter. Neuester Stand: Die Reserven der deutschen Bundesbank sollen angezapft und als Schattenkredite in den Opferstock des EFSF, des Euro-Rettungsfonds, umgeleitet werden, also Schulden dadurch beglichen werden, dass neue gemacht werden. So geraten die Kapriolen der ritualisierten Brandbekämpfung, ohne dass nach der Brandursache oder den Brandstiftern gefragt würde, zuletzt zum Salto mortale.
6. November 2011
"Rettet die Freiheit vor ihren Beschützern"
... und sie verursachten, was sie zu verhüten vorgeben. Darum: Rettet die Freiheit vor ihren Beschützern!
Bruno Rossi, Gelterkinden