Wenn die Arbeit ausgeht – was machen wir dann?
Tata, der indische Autohersteller, als Beispiel. Er produziert heute 30 Prozent mehr als vor zehn Jahren, benötigt dazu aber nur ein Zehntel der Arbeitskräfte von damals. Die Arbeit wird automatisiert beziehungsweise geht aus. Personal erübrigt sich tendenziell immer mehr. Nichts Neues, mag sein. Aber welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?
Einer, der diese Frage gestellt hat, ist kein Klassenkämpfer, sondern Laurence Fink, der Chef von BlackRock, dem weltweit grössten Vermögensverwalter mit Hauptsitz in New York. Die Prognose, was geschieht, wenn der Bedarf an Arbeitskräften weiterhin schwindet wie in der Vergangenheit, scheint ihm keine Ruhe zu lassen.
Lange Zeit hat die Sozialpartnerschaft wachsende wirtschaftliche Prosperität bereitet. Mit der Ära Reagan-Thatcher und der elektronischen Revolution, dem sogenannten zweiten Maschinenzeitalter, ist ein Knick entstanden, der sich tiefgreifend auf die Arbeitsverhältnisse ausgewirkt hat. Die einen sagen, was gemacht wird, die anderen machen, was gesagt wird.
Die direkte Folge sind billige Jobs, in Frankreich "petits boulots" genannt, teilweise nur von temporärer Anstellung: DHL-Kuriere, Coiffeusen, Portiers, Rausschmeisser, Caterer, Erdbeerpflücker, Dienstleister aller Art. Günter Wallraff hat einiges darüber aufgedeckt. Sicher ist nur, dass mit Arbeit immer seltener ein angemessenes Auskommen zu finden ist, mit Kapital viel eher.
Arbeitsplätze verschwinden, weil sie aufgehoben werden. Bei Siemens sollen 11'600 Stellen wegfallen, um eine Milliarde einzusparen. Schwarze Zahlen helfen bei der Umverteilung nach oben. Die geplante Liberalisierung des Dienstleistungssektors in 50 Ländern (siehe das Trade in Services Agreement TISA) und sogenannte strukturelle Reformen werden im Zug der Zeit viele bisher gute in künftig schlechte Jobs verwandeln.
"Die Politik weiss der Entwicklung nur mit
hektischen Löschübungen entgegenzuwirken."
Das zweite Maschinenzeitalter von heute ist eine Neuauflage des Frühindustrialismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der eng mit dem Namen der Stadt Manchester verbunden ist. Heute kann die Wortbedeutung von Manchester durch Silicon Valley ersetzt werden.
Wenn alte Arbeitsplätze durch moderne ersetzt werden, ist das natürlich von Vorteil. Nur leider nicht in jedem Fall. Automation ist gut für den Konsum, aber schlecht für die Beschäftigungsverhältnisse in der Arbeitswelt. Früher oder später werden auch die Trader im Finanzsektor den digitalen Agenten zum Opfer fallen, ähnlich wie die digitale Torlinien-Kontrolle im Fussball einen Teil der Funktionen des Schiedsrichters übernimmt. Was andererseits die neuen Jobs in der Tourismus-Industrie betrifft, sind sie nicht für ihre hohen Gehälter bekannt.
Unterdessen öffnet sich die berühmte Schere zwischen Reichen und Armen weiter. Der französische Wirtschaftstheoretiker Thomas Piketty, der mit seinem Buch "Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert" weltweit für Aufsehen gesorgt hat, hat die sich rapid verschärfende Ungleichheit darauf zurückgeführt, dass die Gewinne aus dem Kapital höher ausfallen als die ökonomischen Wachstumsraten. Betroffen davon sind aber nicht nur die Einkommensverhältnisse. Generell verändern sich auch die gesellschaftlichen Beziehungen. Es entsteht ein soziales Ungleichgewicht.
Die Politiker-Klasse weiss dieser Entwicklung nur mit hektischen Löschübungen entgegenzuwirken. Die Brandursachen bleiben bestehen. Die Konzentration von Reichtum in der Hand einer kleinen Zahl von Menschen hat nachteilige Folgen. Zuviel Einfluss auf den Staat durch Klumpen-Reichtum ist schädlich. Man bedenke, dass der Manchester-Liberalismus seinen Zenit im Milieu der Gangstersyndikate von Chicago gefunden hat. Dem gegenüber hat der Internationale Währungsfonds festgestellt, dass Länder mit einer relativ gleichmässigen Vermögensverteilung höhere wirtschaftliche Wachstumsraten erzielen.
Laurence Fink hat seine Befürchtung vor sozialer Unrast ausgedrückt. Das kann man heute schon beobachten, wenn man sieht, wie Fanatismus, Fundamentalismus und Faschismus sich ausbreiten. Die Wahlen für das EU-Parlament 2014 haben gezeigt, wie sehr Rechtspopulismus und Radikalisierungs-Tendenzen in Europa um sich greifen. Das ist eine Entwicklung, die niemand wünschen kann. Dass der Überwachungs- und Sicherheitsstaat für die Repression möglicher sozialer Unruhen eingesetzt werden kann, ist eine Annahme, die Glenn Greenwald offen ausgesprochen hat.
Was die Eliten und Superreichen betrifft, werden sie nicht ungeschoren davonkommen, wenn sie, statt nur an sich zu denken, nicht dafür sorgen, dass es den breiten Bevölkerungsmassen besser geht, spürbar, überall auf der Welt.
Was zu tun wäre, ist bekannt und gut dokumentiert. Die Politik ist ernsthaft gefordert, doch wo bleiben die Vertreter der politischen Klasse? Gute Frage. Wie es aussieht, haben sie ganz andere Interessen im Sinn.
30. Juni 2014