Sprach-Design an Wörtern und Begriffen
Die Kolumne, in der ich schrieb, dass Gesetze keine Verbote sind, hat viel Staub aufgewirbelt. Die Aussage bezog sich auf ein aktuelles sprachliches Phänomen: Wörter und Begriffe werden mit abweichenden Inhalt aufgeladen, sozusagen kolonialisiert. Statt von Gesetzen zu sprechen, die eine bestimmte juristische Bedeutung haben, spricht man von Verboten und diskriminiert auf diese Weise die sinnvolle Funktion von Gesetzen für das öffentliche Leben.
Mit diesem Sprach-Design wird neuer Wein in alte Schläuche gefüllt. Etwas Evidentes wird vorgeschoben (niemand befürwortet Verbote), um etwas anderes zu verheimlichen (dass Regulierungen den Handlungsfreiraum bestimmter Betroffener stört).
Der Ausdruck liberal ist einer von vielen aus dem Thesaurus des neuen Sprachkampfs. Er meinte im 19. Jahrhundert eine freiheitliche Ordnung gegen den absolutistischen und restaurativen Staat. In den Vereinigten Staaten bedeutet er heute in einem abschätzigen Sinn soviel wie vorurteilslos, weltoffen oder einfach links, während er in Europa genau das Gegenteil ausdrückt: Eine Gesellschaftsordnung, die gut für das Geschäft ist.
In Übereinstimmung mit dieser Sprachpraxis ist es vorteilhafter, von Steuerwettbewerb zu sprechen anstatt von Steuersenkungen. Denn Wettbewerb ist etwas Gutes (die Konkurrenz muss nachgeben, das ist gut für uns), während Steuersenkung doch zu sehr erkennen lässt, was beabsichtigt ist und wer die wirklichen Nutzniesser sind. Genauso bedeutet Verkehrsmittelwahlfreiheit (was für eine Anstrengung beim Aussprechen) den vorrangigen Ausbau des Strassennetzes für den privaten motorisierten Verkehr vor dem öffentlichen Verkehr.
Ein Modewort par excellence ist Flexibilisierung. Es will nicht Biegsamkeit ausdrücken (wie Pappeln sich im Wind biegen und schmiegen), sondern wird gebraucht, wenn die Verhältnisse so zurechtgebogen werden, wie es denen passt, die es so wollen. Wenn also in der Wirtschaftspresse der Jubel über den neuen Aufschwung ausbricht, dann heisst das, dass die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse (Billigjobs, Teilzeitverträge, Lockerung des Kündigungs- und Arbeitsschutzes, Nacht- und Sonntagsarbeit) endlich edle Früchte trägt.
Zum neuen Sprach-Design gehört auch die Bezeichnung unternehmerische Freiheit. Gemeint ist damit der Anspruch, ohne Erschwerungen, also unter Umständen willkürlich, Entscheidungen treffen zu können, bestimmt jedoch kein Hinweis auf die Probleme des Buchdruckers, der meine Visitenkärtchen druckt.
Als Verhinderer oder neuerdings Moralisierer gelten Menschen, die nicht einverstanden sind mit dem, was man ihnen vorsetzt, und eine andere Meinung vertreten als "Avenir Suisse".
Ausdrücke wie Musik oder Kulturstadt Basel werden für ärgerlichen Nachtlärm verwendet.
Den Vogel abgeschossen hat kürzlich ein Ehepaar, das in zwei verschiedenen Leserbriefen in der "Basler Zeitung" Begriffe wie bevormundende Ethik und überethische Vorsicht gebrauchte. Es meinte, dass ethische Prinzipien in der Genom-Wissenschaft den Forschungsplatz Schweiz ins Hintertreffen bringen. Ethik? Riecht verdammt nach links-grün-sozialistischer Verbotsabsicht ...
23. April 2007
"Nachdenken ist die Herausforderung unserer Zeit"
Früher wurde ohne viel Federlesens von oben klar diktiert, was Sache war. Punkt, Schluss. "Beim dritten Ton ist genau 12.30 Uhr." Dieser Beromünster-Spruch klingt noch in meinen Ohren nach, den ich als Kind mitbekam. Heute ist die Sprachwahl der Behörden und Firmen sehr vorsichtig geworden, wie eine Knetmasse biegsam. Ja niemandem wehtun, Raum offen lassen für versteckte Absichten. Die globalisierten Weltunternehmen beschäftigen Leute, die genau wie Aurel Schmidt es beschreibt, ihre wahren Absichten in Worthülsen verschleiern. Das ist gefährlich für unsere Fernseh-Gesellschaft, vor allem die Jüngeren. Es wird nur noch flüchtig am Morgen die Gratiszeitung gelesen, mehr nicht. Dieses Mitschwimmen im "Mainstream" des oberflächlichen Nachdenkens erleichtert Behörden und Firmen sehr, ihre wahren Absichten zu vernebeln. Zwischen den Zeilen lesen, nachdenken um was es im Text eigentlich geht, ist die Herausforderung unserer Zeit. Gewiss manchmal etwas anstrengend und mühsam für jedermann. Der kritische Bürger gerät in Gefahr zur Spezie Rara abzutauchen, leider.
Eric Cerf, Basel