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Aurel Schmidt: "Seitenwechsel"

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Charles Dickens in London als Reporter unterwegs

Wenn Charles Dickens (1812-1870) anfing, sich an die Neujahrstage zu erinnern, die er verbracht hatte, geriet er gleich ins Fabulieren und Geschichten Erzählen, mit immer neuen Abschweifungen und sich auftürmenden Einfällen, bis es schien, als würde der Text nächstens einer Art Hyperventilation erliegen. Dickens' Vorrat an atmosphärischen Details war unerschöpflich.
 
Die Neujahrserinnerungen sind in einem Buch mit journalistischen Arbeiten des englischen Schriftstellers zu finden, das Melanie Walz unter dem Titel "Reisender ohne Gewerbe" herausgegeben hat. Auf sie einzugehen erfordert manchmal die Beherrschung der Kunst des operativen Lesens, um vom blossen erzählten Inhalt zum literarischen Kontext zu gelangen.

Dickens schrieb sein Leben lang als Reporter kleine und grössere Berichte und Artikel für fremde, von ihm redigierte und eigene Zeitungen. Dickens als Reporter – das kommt mir gelegen. Ich kenne das Metier.

Die journalistischen Arbeiten füllen in der "Dent Uniform Edition" vier dicke Bände, die nur deshalb so dick sind, weil die Angelsachen Bücher gern in massiver Form vertreiben, im Unterschied zum leichten französischen "bouquin", für den man zum Lesen keinen Kran benötigt. Unabhängig von Format, Schwere und Dicke muss Dickens' Arbeitspensum enorm gewesen sein.
 
Es gibt Literaturkritiker wie Walter Bagehot, die sein Talent als Journalist im Verhältnis zu dem des Romanciers unverhältnismässig höher einschätzten. Als Reporter begann Dickens seine Laufbahn. Von den deutschen (antiquarischen) Ausgaben der journalistischen Werke ist keine wirklich befriedigend; meistens bleiben sie auf die "Londoner Skizzen" beschränkt, die unter dem gewählten Pseudonym Boz als Dickens' erste Buchveröffentlichungen erschienen sind.

Melanie Walz hat jetzt einen editorischen Neuanfang gemacht, aber es fehlen noch unendlich viele Beiträge, um einen Blick in das journalistische Bergwerk zu werfen und das Bild des Reporters und seines eigenwilligen Blicks auf die Welt abzurunden.

Im "Reisender ohne Gewerbe" fallen die erzählerischen Abweichungen, Umwege, überraschenden Richtungswechsel auf. Im Unterschied zum Romanwerk nimmt sich Dickens hier jede literarische Freiheit heraus. Wenn er nachts nicht schlafen konnte, gingen seine Gedanken spazieren (wie im Beitrag "Schlaflos") – genauso, wie wenn er schrieb. Beiläufiges Feuilleton, Reportage, literarisches Kabinettstück, Sozialkritik, Stimmungsbild wechseln als Genre ab.
 
Noch etwas. Dickens war ein gewohnter Marschierer. Seine notorische Schlaflosigkeit veranlasste ihn gelegentlich, grosse nächtliche Märsche zu unternehmen, um sich nicht ruhelos im Bett zu wälzen.

"Ich wandere auf zwei Arten: zum einen geradeaus und schnellen Schritts einem bestimmten Ziel entgegen, zum anderen ziellos, schlendernd und herumzigeunernd", schrieb er. Deshalb kann Melanie Walz ihm sinngemäss ein "gewissermassen flanierendes Schreiben" attestieren.

Auf seinen nächtlichen Spaziergängen, die bis 30 Meilen betragen konnten, bezeichnete Dickens sich als "The Uncommercial Traveller", was das Rätsel des deutschen Titels erklärt. Er stellte damit den Handelsreisenden in Sachen alltäglicher Beobachtung als Nachfahre der grossen Entdecker und Forschungsreisenden der Vergangenheit vor, nur im kleinen Massstab und pittoresken Vergleich.

Auf seinen Erkundigungen hatte der junge Reporter das Leben in den Londoner Strassen kennengelernt und später, als er ein grosser Schriftsteller geworden war, als Folie für Romane eingesetzt. Genau genommen, verfasste Dickens in seinen Reportagen eine Sozialgeschichte Londons mit den Obdachlosen, die nachts auf der Strasse schlafen, weil sie keine Unterkunft in einem Asyl gefunden haben, oder den Passanten auf der Waterloo Bridge, von denen man nicht weiss, ob sie sich gleich in die Themse stürzen werden.

In den Reportagen findet Dickens' soziales Gewissen einen direkten Ausdruck. London und die anderen englischen Städte waren im 19. Jahrhundert im Zeichen des sogenannten Manchester-Liberalismus Orte unvorstellbaren Elends. Friedrich Engels hat sie in seinem Werk "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" in drastischen Worten beschrieben. Wie Dickens. Beide gehen auf das gleiche Thema ein, aber völlig verschieden in der Form, Engels mit kritischer Unerbittlichkeit, Dickens mit einer zum Skurrilen und manchmal Visionären neigenden Phantastik.

23. April 2012
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Aurel Schmidt, Jahrgang 1935, war bis Mai 2002 Redaktor der "Basler Zeitung" (vorher "National-Zeitung"). Er war mitverantwortlich für das jeden Samstag erscheinende "Basler Magazin" und verfasste zahlreiche philosophische Essays, Reise-Reportagen, Kommentare und Kolumnen. Schmidt, der heute als Schriftsteller und freier Publizist in Basel lebt, machte sich auch als Autor mehrerer Bücher einen Namen: "Der Fremde bin ich selber" (1982), "Wildnis mit Notausgang. Eine Expedition" (1994), "Von Raum zu Raum. Versuch über das Reisen" (1998). Ausserdem liegen vor: "Lederstrumpf in der Schweiz. James Fenimore Cooper und die Idee der Demokratie in Europa und Amerika" (2002), "Gehen. Der glücklichste Mensch auf Erden" (2006), "Auch richtig ist falsch. Ein Wörterbuch des Zeitgeists" (2009). Zuletzt erschienen: "Die Alpen. Eine Schweizer Mentalitätsgeschichte" (2011). © Foto by OnlineReports.ch

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"Bais steht vor Gewissens-Entscheid"

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Im Titel des Newsletter-Textes vom 18. April 2024 über die SVP-Basis.
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Auch Nomen sind Glückssache.

RückSpiegel

 

Klein Report nimmt die Recherche von OnlineReports über Roger Blums Buch über die Basellandschaftliche Zeitung auf.

Die BaZ bezieht sich in einem Artikel über die Zerwürfnisse in der Baselbieter SVP auf OnlineReports.

Die bz verweist in einem Bericht über die Kita-Krise im Baselbiet auf OnlineReports.

BaZ, Baseljetzt und Happy Radio nehmen die OnlineReports-News über das geplante Ministertreffen in Basel auf.

Der Sonntagsblick zitiert OnlineReports in einer grossen Recherche über die Baselbieter SVP-Politikerin Sarah Regez.

Baseljetzt verweist im Bericht über Basler Schiffsunfälle auf ein OnlineReports-Video.

Die Volksstimme greift die OnlineReports-Recherche über das Aus des Textildruck-Unternehmens Permatrend auf.

Im Bericht über "Unruhe am Regioport" bezieht sich Bajour auf die OnlineReports-Ursprungsrecherche aus dem Jahr 2018.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Artikel über die Kantonsfinanzen im Baselbiet auf OnlineReports.

Die bz verweist in einem Bericht über die Neuausrichtung der Vorfasnachts-Veranstaltung Drummeli auf einen Artikel aus dem OnlineReports-Archiv.

Die Basler Zeitung zitiert in einem Leitartikel über die SVP aus OnlineReports.

Baseljetzt bezieht sich in einer Meldung über den Rücktritt von Ralph Lewin als SGI-Präsident auf OnlineReports.

Die Basler Zeitung nimmt die OnlineReports-Recherche über den blockierten Neubau der BVB-Tramstrecke über das Bruderholz auf.

Die Basler Zeitung und Infosperber übernehmen die OnlineReports-Meldung über den Tod von Linda Stibler.

Die bz zitiert den OnlineReports-Artikel über die Wiedereröffnung des Gefängnisses in Sissach.

Baseljetzt erzählt den OnlineReports-Artikel über die Räppli-Krise nach.

Das Regionaljournal Basel, Baseljetzt, BaZ und 20 Minuten vermelden mit Verweis auf OnlineReports den Baufehler bei der Tramhaltestelle Feldbergstrasse.

Die Basler Zeitung bezieht sich in einem Interview zu den Gemeindefusionen auf OnlineReports.

persoenlich.com und Klein Report vermelden mit Verweis auf OnlineReports die Personalrochade bei Prime News.

Die Volksstimme schreibt über die Wahl von Claudio Miozzari zum Grossratspräsidenten von Basel-Stadt und zitiert dabei OnlineReports.

In einem Artikel über die Leerstandsquote bei Büroflächen in Basel nimmt die bz den Bericht von OnlineReports über einen möglichen Umzug der Basler Polizei ins ehemalige Roche-Gebäude an der Viaduktstrasse auf.

Das Regionaljournal Basel und die bz berichten über die Bohrpläne der Schweizer Salinen im Röserental und beziehen sich dabei auf OnlineReports.

Weitere RückSpiegel

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In einem Satz


Der Baselbieter Regierungsrat hat Raphael Giossi zum Nachfolger des langjährigen kantonalen Bieneninspektors Marcel Strub gewählt.

Cyril Bleisch übernimmt bei den Jungfreisinnigen Baselland das Präsidium von Lucio Sansano.

Die Basler Sozialdemokraten haben die SP queer Basel-Stadt gegründet und als neues Organ in den Statuten der Partei verankert.

Eiskunstläuferin Kimmy Repond und Wasserfahrer Adrian Rudin sind Basler Sportlerin beziehungsweise Basler Sportler des Jahres.

Jean-Luc Nordmann übergibt das Präsidium der Stiftung Tierpark Weihermätteli per 1. Januar 2024 an Martin Thommen.

Iris Graf steigt von der Projektleiterin und akademischen Mitarbeiterin der Baselbieter Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern zur Leiterin auf.  

Sonja Kuhn,
ehemalige Co-Leiterin der Abteilung Kultur Basel-Stadt, ist neu Präsidentin der SRG Region Basel.

Florian Nagar-Hak und Saskia Bolz übernehmen die Leitung des Gesundheitszentrums Laufen, das zum Kantonsspital Baselland gehört.

Mohamed Almusibli übernimmt ab März 2024 die Direktion der Kunsthalle Basel von Elena Filipovic.

Marilena Baiatu ist neue Kommunikationsbeauftragte der Staatsanwaltschaft im Kanton Baselland und ersetzt Thomas Lyssy, der Ende November pensioniert wird.

 

Mitte-Landrat Simon Oberbeck folgt am 1. August 2024 als Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Schifffahrtund Hafenwirtschaft auf André Auderset.

Die Junge SVP Basel-Stadt hat Demi Hablützel (25) einstimmig für zwei weitere Jahre als Präsidentin wiedergewählt.

Dominic Stöcklin wird neuer Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung von Basel Tourismus.

 

Samir Stroh, aktuell Gemeindeverwalter in Brislach, übernimmt Anfang Mai 2024 die Leitung von Human Resources Basel-Stadt.

Das Sperber-Kollegium hat Sterneköchin Tanja Grandits zur "Ehrespalebärglemere 2023" ernannt.

Der mit 50'000 Franken dotierte Walder-Preis geht dieses Jahr an Konrad Knüsel, den Präsidenten des Vernetzungsprojekts Rodersdorf und des Naturschutzvereins Therwil.

Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).