Herbst auf dem Chasseral
VON AUREL SCHMIDT
Wer jetzt die schönen Herbsttage verpasst, weiss nicht, was ihm entgeht. Die Tage werden kürzer, die Wälder bunter. Die Farben flammen kurz auf, dann erlöschen sie. Auf dem Weg zum Chasseral sind in der Höhe die Bäume schon kahl. Drei Stunden laufe ich im dichten Nebel. Keinen Menschen treffe ich unterwegs an.
Spät am Nachmittag, auf dem Gipfel, hat sich der Nebel aufgelöst. Über dem Mittelland bleibt er liegen. In der Ferne leuchten die Alpen. Bald wird die Sonne untergehen.
Es ist eine Postkartenaussicht. Berührend ist sie trotzdem. Wir sagen schön, ohne Kriterien zu haben, um zu begründen, was wir damit meinen. Aber das ist auch nicht erforderlich. Es gibt Gewissheiten, die, wenn sie sich einstellen, keiner Erklärung bedürfen. Alles ist unsicher, ungewiss, schwankend. Aber so ein Tag rückt die Dinge des Lebens wieder in das richtige Verhältnis.
Hier in der Höhe bewegt mich nichts als die Feierlichkeit der Stunde. Das Getriebe und Geschiebe der Menschen, die in der Tiefe im wahrsten Sinn des Wortes mit der allgemeinen Stange im allgemeinen Nebel herumfahren, geht mich nichts an. Aber was geht mich dann etwas an? Wie kommt es, dass einzelne Dinge mich weniger bewegen und andere mehr?
Bei der Aussicht vor mir erinnere ich mich an die Nächte, die ich in der Wüste mit dem Blick zum Sternenhimmel verbracht habe. Mein einziger Gedanke galt damals wie jetzt wieder der Frage, was ich tun müsse, um meine Zeit so sinnvoll wie möglich zu verbringen. Aber auch hier: Was ist sinnvoll? Worauf kommt es im Leben an? Auf die Money-Girls in einer unverschämt einfältigen Sendung des Schweizer Fernsehens bestimmt nicht. Sie haben mit meinem Leben nichts zu tun. Meine Zeit möchte ich auch nicht mit dem Kauf von Hosen und Jacken oder mit der Frage verschwenden, wie und wo ich mein Geld am erfolgreichsten anlege. Dagegen bereiten die Essays von Michel de Montaigne oder "Ein deutsches Requiem" von Johannes Brahms das Fundament vor, auf dem sich die Heiterkeit des Daseins entfalten kann. Und schliesslich kommt es auf die Begegnung mit ein paar nahestehenden Menschen an und die Arbeit an intelligenten Projekten.
Um zu einer guten Einsicht zu kommen, damit am Ende nicht alles im Leben umsonst war, lohnt sich jede Anstrengung.
Keine Aufregung, keine Aufopferung. Auch keine Gleichgültigkeit. Zuviel darf man sich nicht in die Geschäfte der Welt einmischen.
Die Höhe des Chasserals ist ein guter Ort zum Nachdenken. Am nächsten Tag kaufe ich in der Stadt, wo ich am späten Nachmittag ankomme, eine Zeitung und lese, dass Bundesrätin Doris Leuthard sich Sorgen über den Wahlkampf macht. Nicht etwa wegen des Stils, sondern weil die Investoren abgeschreckt werden könnten, die mit 3'000 Milliarden Dollar bereit stehen, sich die Welt unter den Nagel zu reissen.
Auch alle anderen Nachrichten überbieten sich an Ungereimtheiten. Es ist unglaublich. Alle guten Vorsätze sind weggewischt. Die Rückkehr in die geistigen Niederungen wird mir schlagartig bewusst.
20. Oktober 2007
"Immer stärker monetär geprägte Welt"
Wir leben in einer sehr stark monetär geprägten Welt, das immer offensichtlicher. Und wenn sich jemand wie Bundesrätin Leuthard Sorgen macht um eventuell zögernde Investoren, dann gewiss nicht wegen bestimmt nicht ausbleibenden Umwelt-Folgen zum ungebremsten Machbarkeitswahn, sondern eher wegen verpassten Millionengewinnen diverser Finanz-Gruppen und deren Gefolgschaften. Die Folgen dürfen dann der Staat sprich Steuerzahler auslöffeln. Da sollten wir wirklich die Natur geniessen, so lange diese noch intakt ist.
Bruno Heuberger, Oberwil