Die Parteien, die Medien und ihre Sprache
Die Bundesratswahl vom 14. Dezember ist von den Medien zum Polit-Krimi hochgepuscht worden, herausgekommen ist ein Gute-Nacht-Geschichtlein. Alles bleibt beim Alten. Es sei denn, dass die SVP in kurzen Hosen dastand. Dass sie es sich selbst zuzuschreiben hat, meinte selbst ein Parteimitglied, obwohl Selbstkritik sonst in der Partei eher fehlt. Sie sollte daher dringend Nachhilfeunterricht in Stilkunde nehmen, dann kann sie in Zukunft ihr Programm besser verkaufen. "C'est le ton qui fait la musique", sagen die Franzosen.
Angeblich wurde die Konkordanz missachtet. Wurde sie das? Das politische Kräfteverhältnis ist im Bundesrat angemessen abgebildet. Ohnehin haben die Parteien in der Politik an Ansehen eingebüsst. Trotzdem trägt die SVP zur politischen Schweiz soviel bei wie die SP – und diese wie jene. Nur Parteigänger sehen das nicht so und überschätzen die Bedeutung der Parteien.
Das Problem, mit dem wir konfrontiert sind, besteht darin, dass im Medienzeitalter alles zum Hype aufgeblasen wird und Ideen zur Phraseologie verkommen. Enorm strapaziert worden ist in der jüngsten Vergangenheit der Begriff "Konkordanz", obwohl keinerlei Anlass dazu bestand, wie das Ergebnis der Bundesratswahl im Nachhinein gezeigt hat. Vielleicht ist die Konkordanz überholt, vielleicht nicht. Wenn sie, wie es geschehen ist, aber missbraucht wird, um parteipolitische Vorteile herauszuschlagen, dann hat sie bestimmt ausgedient.
Was wir heute mehr denn je brauchen, sind Ideen, nicht Taktiken, und Menschen, die diese Ideen überlegt und überlegen vertreten, keine Parteigänger mit Feldweibelmentalität.
Elementar gehört die Pflege der Sprache zum guten Stil. Wenn wir nicht die richtigen Wörter und Begriffe verwenden, werden wir niemals verstehen, was gemeint ist, und mit der allgemeinen Stange im allgemeinen Wirrwarr herumfuhrwerken.
Genau das aber ist es, was gegenwärtig passiert, in der Politik und in den Medien – dass wir Wörter und Begriffe zu Schlagworten, Kampfaufrufen und Kommandoparolen umfunktionieren, mit denen wir in den Propagandafeldzug ziehen. Denn nichts anderes ist Politik in der Medien- und Spektakelgesellschaft.
Ein prächtiges Beispiel hat kürzlich die deutsche Bundeskanzlerin gegeben, als sie von der neuen Stabilitäts-Union sprach. Das ist eine sprachliche Nebelpetarde. Nachdem die Ereignisse längst ihre systemische Dynamik entwickelt haben, wird es solange keine Stabilität geben, als die Finanzmärkte das Geschehen diktieren. Übrigens ist auch der "Finanzmarkt" ein Verschleierungsbegriff. Gemeint ist zweierlei: der dominante Einfluss des Kapitals und die Tätigkeit der Trader mit ihren keiner gesellschaftlichen Kontrolle unterliegenden Spekulationszielen.
Viele Wörter drücken Wunschdenken aus, sind Rationalisierungen oder Ablenkungen und haben den Charakter einer schamanischen Beschwörung, um die bösen Geister zu vertreiben.
Dass wir zum Beispiel über unsere Verhältnisse gelebt haben und sparen müssen, wie man oft hören kann, sind Redensarten, die sich mittlerweile verselbständigt haben und besinnungslos kolportiert werden. Wer hat über seine Verhältnisse gelebt? Wer muss sparen? Und warum?
Seit dem Neoliberalismus sind die Staatsschulden im gleichen Mass gestiegen wie der private Reichtum. Das heisst: ins Unermessliche. Jetzt muss in Italien ein grosser Teil der Bevölkerung den Preis für die jahrelange Misswirtschaft der Regierung Berlusconi tragen. Gespart wird seit Jahren: bei der Bildung, im Sozialwesen, um Steuern zu senken. Allmählich müsste das Potenzial ausgereizt sein, aber es sieht nicht danach aus.
Mir genügt es, die Anzeigen von Coop und Migros zu lesen, wenn sie Aktionen durchführen und den Preis von "Tomato Ketchup" um 70 oder Aprikosenkonfitüre um 80 Rappen reduzieren. Falls dies ein durchschlagskräftiges Kaufargument sein sollte, und das scheint es einmal abgesehen von der Verkaufspolitik zu sein, dann verstehe ich die sozialen Verhältnisse in der Schweiz etwas besser. Ich nehme nicht an, dass CS-Chef Brady Dougan oder Tito Tettamenti sich mit solchen Lappalien herumschlagen.
18. Dezember 2011
"Ein Rat von der Basis an die Strippenzieher"
Aurel Schmidt bringt es vor allem im letzten Abschnitt auf den Punkt: Der sogenannte Normalverbraucher muss Rappen spalten, die Finanzoligarchie jongliert mit Millionen/Milliarden/Billionen. Und auf wessen Kosten wird beim Sanieren von Staatshaushalten meistens gespart? Natürlich auf die der Rappenspalter. Gleichzeitig investieren finanzkräftige Leitfiguren Millionen in demagogische Werbekampagnen und suhlen sich dann in der Opferrolle, wenn sie ihre politische Agenda trotzdem nicht durchsetzen können. Ein Rat von der Basis an die klotzenden Strippenzieher: Wer beim Ketchup zu scharf kalkulieren muss, dessen Geist wird angeregt. Sie/er fängt nicht nur beim Einkaufen, sondern auch bei den nächsten Wahlen/Abstimmung noch mehr an nachzudenken. Über das Gourmet-Ketchup auf dem Tisch des Oligarchen. Über Eintopf-Parolen. Über angeblich simple Rezepte zur Lösung komplexer Probleme. "Man nehme …" – was Demagogen an versalzenem Pot-au-feu auftischen, wird auch mit Ketchup nicht schmackhafter, weder mit billigem noch mit teurem.
Esther Murbach, Basel