Wir hier und sie dort
Der Erfolg ist die Katastrophe. Die Wirtschaft boomt im gleichen Mass, wie die Umweltbelastung und die Abfallberge (Stichwort Überproduktion) zunehmen. Die Reparatur der Schäden wird durch den Wohlstandsfortschritt wieder relativiert. Vielen Menschen geht es heute besser als früher, aber das ist nichts im Vergleich zu denen, die mehr konsumieren, als sie brauchen. Genug haben sie trotzdem nie.
Das berühmte Werkzeug der sozialen Schere öffnet sich immer mehr. Die einen brauchen mehr Raum, Ressourcen, Rechtsanwälte, Restaurants, die anderen leben als "working poor", arbeiten auf Schwarzmarkt oder verdingen sich wie die osteuropäischen Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, wenn Ernte ist.
Berechnungen haben ergeben, dass wir drei, vier zusätzliche Planeten bräuchten, wenn alle Menschen auf dieser Welt so leben wollten wie wir. Aber in einem geschlossenen System kann die Menge nicht beliebig vermehrt werden. Wirtschaftswachstum ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis unersättlicher Gier. Was zur Zeit geschieht, ist eine kolossale Umverteilung. Sogar dem deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler ist es nicht entgangen.
Das Land wird für Lagerhallen verwendet, die sich wie ein Geschwür ausbreiten (Stichwort Landfrass), und für Strassen, um leere Mineralwasserflaschen zu transportieren (Stichwort Verkehrslawine). Dafür wird die Landwirtschaft in die Randregionen und Berggebiete oder nach Polen verdrängt. In Brasilien nehmen Agro-Konzerne und von Killerkommandos geschützte Latifundienbesitzer das Land in Beschlag und produzieren Nahrungsmittel für den Export. Die Landarbeiter werden mit Hungerlöhnen abgespiesen oder, wie auf den zentralamerikanischen Bananenplantagen, den Pestiziden ausgesetzt (Stichwort Gesundheit, Lebenserwartung).
Neuerdings wird das landwirtschaftlich nutzbare Land für die Herstellung von Bio-Treibstoff verwendet. Zuckerrohr für die Autos und Getreide für die Schweinemästereien in den wohlhabenden und satten westlichen Industrieländern ersetzen das Brot und die Bohnen der Menschen in den armen. Gleichzeitig droht den Fischbeständen in den Weltmeeren wegen der Überfischung der Kollaps.
Wie passt das alles zusammen? Wir fressen die Welt auf, aber "wir" ist eine Legende. Ein Teil der Menschen lebt auf Kosten der Anderen und ergreift Besitz von deren Land. Man nennt es "internationale Kooperation". Auch das ist ein Gerücht.
In einer Fernsehsendung zuckte ein Europäer mit den Achseln, als er nach der Rückkehr aus Indien gefragt wurde, ob er sich Gedanken gemacht habe, woher das Organ kam, das er sich habe implantieren lassen.
Forschungsunternehmen erklären Gene zu ihrem Eigentum und lassen sie patentieren. Privates Leben wird patentiert.
Der alte Kolonialismus war ein ungleicher sozialer Zweikampf. Die einen profitierten, die anderen wurden ausgebeutet. Ziel war die Aneignung von Rohstoffen wie zum Beispiel Erdöl im Irak.
Dieser Lehrbuch-Kolonialismus gilt nach wie vor. Neu ist, dass er heimlich angefangen hat, kannibalische Züge anzunehmen. Man muss es so drastisch ausdrücken, um zu verstehen, was auf der Welt los ist.
8. Oktober 2007