Finale mit Dürrenmatt
Was für Skeptiker eine Warnung ist, ist für andere reiner Alarmismus. Dem lässt sich die Bemerkung des französischen Moralisten Rivarol (1753-1801) entgegenhalten, dass vierundzwanzig Stunden für verrückt gilt, wer vierundzwanzig Stunden vor den anderen (also zu früh) recht hat. Manchmal muss man mit dem Schlimmsten rechnen, in Übereinstimmung mit dem dramaturgischen Satz von Friedrich Dürrenmatt, dass eine Geschichte erst zu Ende gedacht ist, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.
Die Bedrohung liegt heute in der totalen (also totalitären) Überwachung. Die Biometrie macht rasende Fortschritte. Unter tausenden kann ein Gesicht in Sekundenschnelle identifiziert werden. Auch für die Gangart gibt es Erkennungsprogramme, so dass ein Mensch über eine weite Strecke durch die Menge verfolgt werden kann, wie die Überwachungskameras in der Londoner Subway ergeben haben. Menschen werden mit dem Backscatter bis auf die Haut durchleuchtet. Die Idee eines weltweiten DNA-Registers ist kein Aprilscherz.
Israel hat aus den palästinensischen Anschlägen wie aus der militärischen Verwaltung der besetzten Gebiete viele Kenntnisse gewonnen und die Sicherheitstechnologie zu einer boomenden Industrie gemacht. "Verteidigungsprodukte" für 1,2 Milliarden Dollar sind ein Exportschlager mit einer Wachstumsrate von 20 Prozent.
Auch die USA sind (wie andere Staaten) nicht untätig. Sie bereiten sich systematisch auf den Angriff eines Gesamtfeindes ("universal adversary", www.globalresearch.ca) vor. Chemische Kampfstoffe werden erprobt, mit denen Teile der Bevölkerung vorübergehend ausgeschaltet werden können. Privatarmeen wie Blackwater, die im Irak operieren, können auch überall sonst eingesetzt werden. Schon heute interessieren sich die US-Behörden brennend für unsere Reiselektüre und sammeln Angaben über unsere Hotelbuchungen. Das alles sind harmlose Beispiele im Vergleich zur Realität. Wer will, kann sich im Internet eingehender informieren.
Begründet wird diese Entwicklung mit der Bedrohung durch den Terrorismus. Überwachung wird scheinheilig "mass protection" genannt, Bevölkerungsschutz, aber um den Preis, dass jeder und jede verdächtig ist. Der Feind umfasst keineswegs nur fremde Terroristen, sondern sitzt in den eigenen Reihen und besteht aus "domestic radical groups", also aus Kriegsgegnern und Bürgerrechtsbewegungen. Für den Fall eines Anschlags oder Aufruhrs sind die Gesetze für die Ausrufung des Ausnahmezustand schon vorbereitet.
Der Kampf gegen das Böse sei "nie beendet", schreibt Wolfgang Sofsky in seinem Buch "Verteidigung der Privatheit". Wo überwacht wird, ergibt sich die Bedrohung von selbst.
Im Moment lässt sich mit dem Begriff Sicherheit vieles durchsetzen. Alles geschieht zum Wohl aller, zur Rettung der Freiheit und so weiter. Sollte jedoch eine demokratiefeindliche Herrschaft an die Macht gelangen, stünde das Arsenal zur umfassenden Repression auf der Stelle zur Verfügung. Das wäre dann das Finale im Sinn von Friedrich Dürrenmatt.
Wollen wir jetzt also vielleicht darüber reden, was mit Sicherheit und Ordnung gemeint ist, oder ist das nur Alarmismus?
2. November 2007
"Auf bestem Weg zur SVP-Republik Schweiz"
Einmal mehr versteht es Aurel Schmidt, uns mit träfen Worten ein Szenario aufzuzeigen, das still und heimlich unter dem Deckmantel "Sicherheit" unsere Bewegungsfreiheit einschränkt und den Weg für den totalen Überwachungsstaat ebnet. Wir alle sind auf dem besten Weg, die Grundlagen für die SVP-Republik Schweiz zu legen und die Macht nicht in die Hände des Volkes, sondern in diejenigen der stärksten Gewalt zu legen.
Bruno Honold, Basel
"Staatlicher Aktivismus Modetrend des 21. Jahrhunderts"
Unter dem Titel "Sicherheit" werden in der Tat, gegen eine höchst selbst geförderte "terroristische Bedrohung", die hart erkämpften "Droits de l'homme et du citoyen" sukzessive abgebaut, also die Freiheit der Einzelnen vermindert. Doch trifft das nicht
ebenso unter Titel "Gesundheit" und unter Titel "Solidarität" zu? Ist politische, staatliche Desinformation und darauf gründend politischer, staatlicher Aktivismus, staatlicher Exzess nicht - ganz allgemein - der Modetrend des 21. Jahrhunderts schlechthin? Ich denke schon, und zwar krassest!
Die Frage ist, wie diesem Phänomen zum Wohle der tatsächlichen Freiheit jedes Einzelnen begegnet werden kann und muss. Auch weil das neue Basler Grundrecht, die neue Basler Verfassung im Jahre 2005 bloss 34,5 Prozent der hiesigen Stimmberechtigten zum Urnengang motivierte (man muss sich das vorstellen!), scheint mir die Verfassungsklage das vermehrt anzuwendende, zentrale Element der politischen Auseinandersetzung dieses Jahrhunderts zu sein. Denn dadurch wird der Bevölkerung - von dem höchsten Gericht dieses Staates - periodisch oder sporadisch in Erinnerung gerufen, über welche Grundfreiheits- und Grundsicherheitsrechte jedes ihrer Subjekte rechtlich und tatsächlich verfügt und unter welchem Titel, welche Partei danach trachtete, dieses oder jenes Grundrecht des bzw. der Einzelnen einzuschränken.
Das Basler Verfassungsgericht ist die vom Basler Volk begründete Basler Instanz des Basler Volkes, Demagogen jeder Couleur (Moralisten, Nationalisten, Rassisten, Sozialisten) in die Schranken zu weisen! Ob man sich dessen, trotz des eingangs erwähnten Hyper-Aktivismus, entsinnen wird?
Patric C. Friedlin, Basel
"Wir werden am laufenden Ban entmündigt"
Dies ist ein ausserordentlich präziser und anregender Text von Aurel Schmidt. Das Gerede vom angeblich so gefährlichen Weltterrorismus lässt sich allein schon durch einfache Vergleiche mit der realen Kriegswelt auf realistische Ebenen transportieren: Im Irak sind dem angeblichen "Krieg gegen den Terror" von Bush und Co. Hunderttausende (vorsichtige Schätzungen gehen von inzwischen über 600'000 getöteten Zivilpersonen aus) vorzeitig und gewaltmässig zu Tode gekommen. In Afghanistan sind es Zehntausende, die der "humanitären" Mission der Nato den vorzeitigen Tod verdanken.
Die "Sicherheit" spielt dort offensichtlich keine Rolle, sondern allein die Gewaltherrschaft Fremder. Dass daraus irgendwann, aus Ohnmacht nicht zuletzt, die Gewaltbereitschaft meist gebildeter, intelligenter Menschen entsteht, die dann als Terroristen unsere Metropolen hie und da verunsichern, kann nicht verwundern. Dass die US-Administration allein im Irak Zehntausende Söldner ("Blackwater" zum Beispiel) einsetzt, ist eine Tatsache, welche hier zu Lande kaum jemanden interessiert. Nur: Wenn dann als Folge dieses Söldnerheer-Einsatzes, der alltägliche Erpressung einer Bevölkerung, Folter und Mord zu selbstverständlichen Grössenordnungen der "Sicherheitskräfte" hat werden lassen, terrorisatische Aktionen drohen, sollte man den Zusammenhang von bösem Tun und der Reaktion auf dieses konkrete Böse, begangen auf Befehl der Supermacht, endlich begreifen lernen.
Dass wir richtiggehend entmündigt werden, und zwar am laufenden Band, ist eine Tatsache. Dass wir erst langsam dahinter kommen, wie nachhaltig diese Entmündigung unseres alltäglichen Lebens bereits fortgeschritten ist, hat mit der Anpassung vor allem des Nachrichtenwesens der Medien an die allgegenwärtige Ideologie der Neoliberalen zu tun. Bei denen zählt bekanntlicherweise ausschliesslich der Reibach, der quartalsmässig eingebrachte Gewinn auf Kosten von allem, was irgendwie menschlich sein könnte. Erschütternd ist, dass weder Politik noch Medien bemerken, wohinein wir da geritten werden.
Alois-Karl Hürlimann, Berlin