Kein Satz mit mehr als dreizehn Wörtern
Die Sprache ist über ihre reine Kommunikationsfunktion hinaus ein Kunstwerk durch sich selbst, was nicht der letzte Grund ist, der ihre Beherrschung erschwert. Wenn schon die Kenntnisnahme einer einfachen schriftlichen Mitteilung oder Erklärung wie eines Verpackungszettels oder einer Anweisung der Behörden Mühe bereitet, wieviel mehr muss es dann der Fall bei der Lektüre eines literarischen Textes sein mit seinen stilistischen Feinheiten und architektonischen Satz- und Sinnkonstruktionen. Und wenn das Lesen schon eine Herausforderung ist, um wieviel mehr dann erst das Schreiben.
Es herrscht ein Sprachnotstand, ein Lese- und Schreibnotstand, eigentlich ein Bildungsnotstand. Was hat es für einen Sinn, sich auf die kulturelle Tradition zu berufen, wenn die ältesten, aber offenbar nicht einfachsten Kulturtechniken, das Lesen und Schreiben, verzichtbar werden?
Eine rhetorische Frage. Nichts für ungut. Die Menschen können sich heute anders behelfen, wenn es sein muss, und notfalls ohne Kultur auskommen. Mit dem Ankreuzen von Fragen, mit einer ausgekügelten Signaletik, mit Jingles und Sound Logos geht es ebenfalls. Auch Comics können Geschichten erzählen und bei der Warnung helfen, dass man auf dem Glatteis ausrutschen und sich wehtun kann, wenn man nicht aufpasst. Die knallige Ausdrucksweise einer Werbebotschaft ersetzt einen umständlichen Roman.
Längst haben auch die modernen Kommunikationsmittel für Abhilfe gesorgt. Nur werden mit Voice die Erklärungen immer um- und unverständlicher, und das Niveau der vermüllten Sprache von SMS und Twitter wird nur vom Jubel übertönt, dass endlich alle Menschen sich mit allen anderen Menschen austauschen können.
"Das Neue pendelt sich eher auf einem
primitiven als kultivierten Niveau ein."
Schreiben und lesen sind Techniken, die erworben sein wollen, wie ein Elektromonteur sein Metier erlernen muss. Daran führt kein Weg vorbei. Übrigens regen Schreiben und Lesen die Gehirntätigkeit an, die wiederum auf die Schreib- und Lesekompetenz zurückwirkt.
Aber immer, wenn die Schwierigkeiten über das Mass der Behaglichkeit hinausgehen, treten die fürchterlichen Vulgarisierungspropheten auf den Plan mit der Forderung, dass alles einfacher werden muss. Weil dann alle auch alles verstehen, was gemeint ist. Das tönt so bodenlos vernünftig, dass man sich gar nicht mehr über die sich ausbreitende Unbildung zu wundern braucht. Als ob nicht jede Mitteilung eine distinkte Form besässe, durch die sie überhaupt erst übertragbar wird.
Ich gehe Bahnhof, sagen jetzt schon gute Schweizer und halten ihre Redeweise für ein Gruppenidiom. Mit Wir sind Papst hat es angefangen. Und jetzt fragt auch die FAZ nach dem Wahlsieg des SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz in Hamburg: Kann er auch Kanzler? Natürlich ironisch, aber immerhin.
Seit einiger Zeit wird versucht, durch Leichte Sprache und Einfache Sprache soziale Barrieren abzubauen und der sogenannten inklusiven Gesellschaft zur Verbreitung zu verhelfen. So sollen alle die Möglichkeit haben, mitzureden.
Wo es um echte Behinderung geht oder im Fall von der Landessprache unkundigen Ausländern, lässt sich nichts dagegen einwenden. Wird aber Bequemlichkeit zum Anlass der Sprachvereinfachung, sieht es anders aus. Statt zu helfen, wie versprochen, wird alles schlimmer, nach dem Gesetz der umgekehrt proportionalen Wirkung.
Die Forderungen lauten: Einfache Sätze, nicht länger als sieben, neun, allerhöchstens dreizehn Wörtern, keine Nebensätze, kein Genitiv, auch keine Passivformen. Das waren eben siebzehn Wörter. Zuviel. Geht nicht. Pech gehabt. Dabei war von der Empfehlung für Kuppelwörter (Abfall-Haufen, Regen-Schirm) noch gar nicht Rede.
Die Kritik an der Leichten und Einfachen Sprache ist nicht ausgeblieben. In der FAZ hat Konrad Paul Liessmann gewarnt, dass nach der umstrittenen Rechtschreibe-Reform (bei drei Lexemen oder Worteinheiten mit Trennung) die vorgeschlagenen neuen Normen und Regeln "alsbald den durchschnittlichen Sprachstandard definieren könnten". Denn das Neue pendelt sich eher auf einem primitiven als kultivierten Niveau ein. Das Balkandeutsch – siehe oben.
Im totalitären Staat, den George Orwell in "1984" antizipiert hat, ist die Sprache soweit reduziert worden, dass es nicht mehr möglich ist, sich angemessen auszudrücken. Reden, implizit auch schreiben, soll soweit wie möglich vom Bewusstsein getrennt werden. "Letztlich hoffte man so weit zu kommen, dass der Kehlkopf ohne Einschaltung der höheren Gehirnzentren die Sprache artikulierte" (so Orwells Sarkasmus in den "Grundlagen des Neusprech" im Anhang des Romans).
Klar: Mit neun Wörtern je Satz lässt sich vielleicht ein revolutionäres Manifest verfassen, aber bestimmt nicht die Notwendigkeit einer Revolution erklären. Auch keiner Sprachrevolution.
23. Februar 2015
"Absolut scheussliches Deutsch"
Die Kultur wird nicht von Leuten, die weder lesen, noch schreiben, geschweige denn rechnen können, gemacht, auch wenn das offenbar die Ansicht von Judith Stamm und von unseren Bildungspolitiker ist. Oder soll es nur Reklame für einen weiteren überflüssigen Film sein, den niemand sehen will, bei dem aber jeder zusätzliche Besucher Geld in die Taschen von Judith Stamm spült. Ich danke Aurel Schmidt, dass er den Mut hatte, das absolut scheussliche Deutsch (politisch offenbar nicht korrekt) anzuprangern. Wer die Fasnachtszeedel las, dem fällt auf, dass es von Jahr zu Jahr immer schlimmer wird. Einen korrekten Vers zu schreiben, ist offenbar kaum noch jemand im Stande. Traurig aber wahr.
Alexandra Nogawa, Basel
"Lautmalerisch aussagekräftig"
Lieber Aurel Schmidt, mit Ihrer Kolumne zur "Sprachverwilderung", um es mal so auszudrücken, haben Sie von einem gehobenen Standpunkt aus sicher recht. Aber es ist mir trotzdem nicht so wohl dabei.
Habe kürzlich den Film "Usfahrt Oerlike" gesehen, von Paul Riniker mit Jörg Schneider und Matthias Gnädinger. Die Menschen in diesem Film sind wortkarg und nicht so sprachgewandt. Wie Jörg Schneider das Hundehalsband dreht und seinem Schmerz, dass er seinen Liebling einschläfern lassen musste, fast keinen verbalen Ausdruck geben kann, geht unter die Haut. Und den Charakter seines Freundes Matthias Gnädiger muss man gar nicht besprechen und beschreiben, der spiegelt sich im Auto: "Ami-Schlitten", gelbe Farbe, offenes Verdeck, Aufschrift: "Mustang". Und ich muss es gestehen, ich habe in einem Text zu diesem Film geschrieben: "Der Schluss ist voll kitschig und treibt Tränen in die Augen". "Voll kitschig" ist ja auch nicht bestes Deutsch. In meinem Hinterkopf hatte ich die irgendwo aufgeschnappte Formulierung: "Das ist voll krass, Mann", die mir so gefällt, weil sie lautmalerisch so viel aussagt.
Stellen Sie sich die beiden Jugendlichen vor, die da eine Neuigkeit austauschen: "voll krass, Mann". Und wenn ich mir die Nachrichten aus der Weltpolitik anhöre, was will ich dann noch anderes sagen, als "voll krass"!
Judith Stamm, Luzern