Kleine Völker im Grossmacht-Würgegriff
Wenn die USA von nation building sprechen, meinen sie die Errichtung eines Protektorats im Irak, um sich die reichen Erdölvorkommen zu sichern. Manchmal muss man aber einen klaren Kopf bewahren und zwischen Rhetorik und Realität unterscheiden. Kritik an den USA ist dringend notwendig, aber wie sieht es sonst noch auf der Welt aus? In Russland lässt Wladimir Putin die Opposition niederknüppeln (Fall Politowskaja), in Weissrussland ist es nicht besser, in Burma oder Zimbabwe auch nicht. Der Handlungsraum der Opposition ist immer das Mass für demokratische Glaubwürdigkeit.
Zur Zeit erleben wir augenfällig, wie China unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit das tibetische Volk unterdrückt. Zu weit geht die Kritik nicht, die Handelsbeziehungen stehen auf dem Spiel. China wird ermahnt, die Menschenrechte zu respektieren. Nachdem der Protest deponiert ist, schreitet man zur Tagesordnung. Ein paar Tibeter wiegen nicht viel. China lehnt jede fremde Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab – eine verbreitete Haltung, wie zum Beispiel auch in Russland. Aber in der Frage der Menschenrechte gibt es keine Vorbehalte dieser Art.
Was in Tibet gegenwärtig geschieht, ist an Brutalität schwer zu überbieten. Weil ich in Tibet einmal in eine unschöne Polizeikontrolle geraten bin, kann ich mir gut vorstellen, wie die chinesische Besatzung umgeht, wenn sie es mit der einheimischen Bevölkerung zu tun hat. Man muss mit dem Schlimmsten rechnen.
China erhebt einen historischen Anspruch auf Tibet. Aber darum geht es nicht. Sondern es geht um die ethnische und kulturelle Verdrängung eines Volkes, das seit jeher hier gelebt hat und übel beschimpft wird, wenn es sich zur Wehr setzt.
Eine vergleichbare Situation ist auch in der Türkei anzutreffen, wo das sogenannte Türkentum bedroht wird, weil die kurdische Bevölkerung ihre kulturelle Identität verteidigt. Die Grossmächte sind sich untereinander immer schnell einig, wenn es darum geht, Opposition oder Widerstand als Terrorismus zu bezeichnen.
Ist von Tibet und Kurdistan die Rede, darf Palästina nicht übergangen werden. Während Israel den Anschein zu erwecken versucht, mit den Palästinensern einen Friedensdialog zu führen, geht der Siedlungsbau im Westjordanland, den sogar die USA verurteilen, unvermindert weiter und wird ein repressives und schikanöses Besatzungsregime errichtet. Wen wundert es, wenn die Palästinenser sich damit nicht abfinden und ihre Extremisten Zulauf bekommen? Damit stellt sich die Frage, ob die israelische Politik, die 1947 mit der Vertreibung der Palästinenser begonnen hat, zuerst war oder der palästinensische Widerstand?
Unter den gegenwärtigen Umständen ist Frieden kaum vorstellbar. Dass die fundamentalistischen Israeli das Westjordanland mit Berufung auf die Bibel beanspruchen, verdüstert die Aussichten zusätzlich. Die palästinensische Bevölkerung könnte so das gleiche Los erleiden wie die Kanaaniter, Amoriter, Hethiter, Pheresiter, Jebusiter und Heviter im Alten Testament (Buch Josua 10 und 11).
Unter dem Druck und Diktat der Welt- und Grossmachtspolitik teilen Tibeter, Kurden und Palästinenser das gleiche Schicksal. Aber sich damit abfinden muss man nicht.
23. März 2008
