Defizite der Atom-Diskussion – und der Politik
Atomenergie ist ein Big Business. Leider steht die Politik viel zu eindeutig auf ihrer Seite. Natürlich brauchen wir Energie, aber dass wir sie brauchen, ist das Ergebnis einer vorausgegangenen falschen Politik. Einer Politik, die erstens auf einer überholten Technik beruht statt auf einer neuen, zukunftsfähigen, das heisst dezentralen, alternativen Energiegewinnung.
Gerade eine solche ist in der Vergangenheit aber systematisch behindert worden. Atompolitik ist nichts anderes als erfolgreiche Lobby-Arbeit. Zweitens war die bisherige Energiepolitik grundsätzlich falsch, weil sie auf einer wahnwitzigen Wachstumsideologie beruhte. Wachstum ist auf Energiewachstum angewiesen, und mit mehr Energie werden die Schleusen für mehr Wachstum immer weiter geöffnet. So bereitet die Energieversorgung am Ende mehr Sorge als Ertrag.
Im Fall der Atomenergie wurden die Risiken kleingeredet. Ein Katastrophenfall wie in Tschernobyl oder jetzt in Fukushima soll bei uns unmöglich sein. Das ist eine haarsträubende Denkweise, die meint: Weil bisher nichts geschehen ist, wird auch in Zukunft nichts geschehen. Unzulässig ist diese Logik, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass in Zukunft etwas nicht geschehen wird. Woher sollen wir es wissen? Es ist eine ins Blaue gehaltene Rede.
In Japan wurde nach menschlichem Ermessen alles Notwendige zur Sicherheit unternommen, aber dann ist doch der unwahrscheinlichste aller Fälle eingetreten, mit den Folgen, die wir kennen. Übrigens ist es erstaunlich, wie wenig in der Diskussion die Langzeitfolgen der radioaktiven Abfälle zur Sprache gekommen sind.
Alles dies ist das Ergebnis einer verkehrten Art zu denken und zu debattieren. Was die falsche Argumentation angeht, hat die deutsche Bundeskanzlerin die technischen Sicherheitsstandards unter Berufung auf die Experten nicht in Frage gestellt, wie es ein vernünftiges Denken in der Risikogesellschaft erfordert hätte, sondern sie im Gegenteil ausdrücklich bestätigt und die Laufzeit der deutschen Meiler verlängert. Jetzt beschliesst sie, neun Meiler wieder vom Netz nehmen. Waren sie also doch nicht so sicher, wie zuerst behauptet wurde? Wie das? Es sind Landtagswahlen in Sicht, daher die "hastige Revision der bisherigen Atompolitik" (NZZ). In der Schweiz wollen ein paar Wendehälse jetzt ebenfalls schnell umdenken.
Doch wer um alles in der Welt will denn jetzt noch den Beteuerungen beziehungsweise Beschwichtigungen der Politik Vertrauen schenken? Eine bessere Informationspolitik hilft auch nicht weiter, weil das nur heisst, das Publikum durch die PR-Industrie professioneller einzuseifen.
Der evidente Klientelismus der Schweizer Politik und der dadurch bedingte Glaubwürdigkeitsverlust ist neben dem fahrlässigen Sicherheitsdiskurs die zweite Konsequenz der Ereignisse in Japan. Die verfehlte politische Rhetorik ist nichts Neues, aber sie ist jetzt durchsichtiger geworden.
21. März 2011
"Wi sollten uns mehr um das AKW Fessenheim kümmern"
Wir in der Region Basel können ja sicher sein, denn die Verantwortlichen des AKWs Fessenheim garantieren uns ja dessen Sicherheit. Oder sollten wir uns doch etwas mehr um diesen so nahe gelegenen Atom-Meiler kümmern, da er ja auch schon 40 Jahre auf dem Buckel hat? Wie ist das mit den Rissen im Schutzmantel der Kernelemente? Wenn schon, wir leben ja noch sehr gut und unbesorgt weit genug weg von Fessenheim. Sowohl die schweizerischen wie die französischen Techniker haben die Sache selbstverständlich viel besser im Griff als die eben etwas "untertechnisierten" Japaner. Also, lassen wir es darauf ankommen, ob es bei uns ein Erdbeben der Stärke 4 bis 5 gibt oder doch vielleicht ein stärkeres. Dumm nur, Mühleberg ist auch keine 200 Kilometer von uns entfernt – keine 200 wie Fukushima von Tokio. Frage: Welche politischen Mittel gibt es noch gegen Fessenheim?
Ruedi Eggimann, Ramlinsburg
"Pflicht-Übernachung in der Nähe der Atomreaktoren"
Genau das ist es. Mit Erstaunen und überrascht sehen die Befürworter der Atomenergie, oder die Laisser faire-Politiker und Wirtschaftsverantwortlichen, dass das, was passieren kann, passiert ist.
Was ist denn daran so überraschend? Immerhin wurden ein paar AKW-Befürworter auch in ihrer Haltung erschüttert. Immerhin. Die abgebrütetsten unter ihnen bleiben auf ihrem Standpunkt sitzen. Eine Zwilingsinitiative sollte lanciert werden:
1. Alle Atomkraftbefürworter aus Politik und Wirtschaft und alle Geldgeber der Atomindustrie erhalten von der Eidgenossenschaft, nach Annahme der Initiative, zwei Wochen bezahlte Pflichtferien mit der Auflage, sich innerhalb sechs Monaten die Auswirkungen des Reaktorunfalls in Fukushima anzusehen. Eine Übernachtung im Umkreis der Atomreaktoren bei Einheimischen ist Pflicht. Ein Zwischenhalt in Tschernobyl ist eingeplant, ebenfalls mit einer Übernachtung bei Einheimischen. Der Urlaub kann beliebig und kostenlos verlängert werden. Nach dieser Zeit wird eine Wirksamkeitsstudie in Auftrag gegeben.
2. Die Atomkraftwerksbetreiber und -produzenten haben solidarisch für alle Folgeschäden, inklusive Abfallentsorgung aufzukommen, respektive sich zu versichern.
Viktor Krummenacher, Binningen