Der Kopf als Briefkasten
Wir wissen alles oder fast alles oder glauben, dass es so ist, wie wir annehmen. Nur das Wichtigste wissen wir kaum: Wer die Ideen, Anschauungen, Meinungen in Zirkulation gesetzt hat, von denen wir finden, dass es unsere eigenen sind.
Letzthin las ich in einer Zeitung, eine Studie habe herausgefunden, dass der grösste Teil der Schweizer und Schweizerinnen mit ihren Wohnverhältnissen zufrieden sind. Kurz danach folgte in einem anderen Teil des Blatts eine Meldung, dass die Banken überlegen, die Hypothekarzinsen anzuheben. Da lag also der Hase im Pfeffer. Nach dem philosophischen, als "Ockhams Rasiermesser" bekannten Grundsatz ist die naheliegendste Annahme meistens die wahrscheinlichste.
Lange Zeit wussten wir, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt, was den Präsidenten in Washington legitimierte, im Irak einzumarschieren und für Unordnung zu sorgen. Nachdem keine Waffen gefunden wurden, hiess es, dass sie versteckt sein müssten. Wir waren überzeugt davon, weil es uns pausenlos eingetrichtert wurde, auch wenn es hinten und vorne nicht stimmte. Wer es nicht glauben wollte, war ein penibler Anhänger des alten, skeptischen Europa. Inzwischen dämmert es in den USA, und der Präsident hat sich des Mannes entledigt, der ihm und dem Land diesen bösen Streich gespielt hat. Aber die Erdölinteressen, die diesem Fall zu Grund liegen, werden immer noch ausgeblendet.
Hinter jeder Meinung verbirgt sich eine andere. Es ist wie mit der Warnung, die man auf den französischen Bahnhöfen lesen kann: Un train peut en cacher un autre.
Mit einem Mal ist in der Schweiz eine Diskussion über die Notwendigkeit eines weiteren Atomkraftwerks entbrannt. Wahrscheinlich steckt dahinter das Werbebüro Burson-Marsteller, das mit der Promotion der Atomindustrie beauftragt ist. Atomstrom ist sauber. Doch wohin mit dem strahlenden Abfall? Grosses Schweigen im Wald. In dieser Situation lässt sich der Rückschlag beim Basler Geothermie-Projekt prima instrumentalisieren. Eins passt zum anderen.
Als jemand, der das Privileg hat, seine Meinung zu veröffentlichen, frage ich mich oft, woher die Meinungen kommen, auch meine eigenen. Zu oft und oft zu spät merke ich, wie ich einer Beeinflussung erlegen bin. Umgekehrt bin ich selber einer, der an diesem Spiel beteiligt ist.
Noch bevor wir über ein Thema, eine Sache nachdenken, debattieren, streiten, ist die Vorentscheidung schon gefallen.
Das gilt auch für Begriffe wie Markt, Steuerkonkurrenz der Kantone oder den Satz "die Preise müssen runter". Sie sind längst ein für alle Mal definiert, gewissermassen kolonialisiert. Das trifft nicht weniger für Themen wie zum Beispiel Klimaerwärmung, Naturkatastrophen, aktive Neutralität und so weiter zu. Es handelt sich um einen Info- und Kommunikationskrieg. Bildlich gesprochen geht es darum, aus den Köpfen Briefkästen zu machen.
Umso mehr kommt es darauf an, wie mit Meinungen und Aussagen umgegangen wird, also um deren kontextuelle Bedeutung und kritische Interpretation. Dass alles Wissen übernommen ist, steht ausser Zweifel. Die Frage ist aber, woher es kommt.
22. Januar 2007
"Die ganz lustvolle 'Andersicht' scheint verloren gegangen zu sein"
"Freie Sicht aufs Mittelmeer", hiess es früher mal in Zureich. Die ganz lustvolle "Andersicht" auf Zusammenhänge und Quellen scheint wirklich verloren gegangen zu sein. Wenn die Mieten (gemäss einer Studie um durchschnittlich 10 Prozent zu hoch) nur um Bruchteile gesenkt würden, hätten die Konsumenten mehr Geld im Portemonnaie und die Lebensmittel-Detaillisten müssten keine Preiskämpfe um Rappen führen. Gar noch nicht einberechnet ist die Lohngleichheit der Frauen mit den Männern. Da könnten wir an der Familienzulage sparen.
Peter Thommen, Basel
"Bush hätte es ohne Blair deutlich schwieriger gehabt"
Lieber Aurel, Du schreibst, wie das gute alte skeptische Europa dem amerikanischen Präsidenten nicht gefolgt sei. Leider trifft das nicht so ganz zu: Ohne Tony Blairs Unterstützung und der Aussage des englischen Geheimdiensts, dass Saddam Hussein innert 45 Minuten Atomwaffen einsetzen könnte, hätte es George Bush deutlich schwieriger gehabt.
Tony Blair mit seinem ach so exklusiven "Queen's English" hat bei seinen zahlreichen Auftritten in amerikanischen Nachrichtensendungen viele Amerikaner überzeugt, dass es wirklich etwas mit dem Saddam Hussein und Atomwaffen auf sich haben müsse. Und auch, dass die Spanier, damals noch mit Aznar, die Italiener, die Holländer und die Polen bereit waren, Truppen zu senden, hat bei vielen in den roten amerikanischen Staaten letzte Zweifel verfliegen lassen - die Roten sind in den USA die Republikaner!
Dabei war ganze Irak-Projekt auf der Website des PNAC - Project for a New American Century - seit 1998 im Detail nachzulesen (www.newamericancentury.org/). Nur hat es niemand, weder in Nordamerika noch in Europa, ernst genommen, bis eben George Bush an die Macht kam und der 11. September 2001 passierte.
Jean-Pierre Salzmann, San Anselmo, California