Das Monster Brüssel und der Rohmilchkäse
Was ist die EU für eine Konstruktion? Einer hat sich aufgemacht, sie genauer zu untersuchen, unbelastet und unabhängig, das heisst ausserhalb des Apparates. Beim Lesen von Hans Magnus Enzensbergers Buch "Sanftes Monster Brüssel" über die EU glaubt man nach den ersten paar Seiten (von ohnehin nur 68), es mit einer Satire zu tun zu haben. Ist aber nicht so. Es liegt ein fundierter Rapport mit Fakten, Zahlen und Zitaten vor, allerdings mit viel eingeschmuggelter Ironie und unbändigem Sarkasmus.
Vieles hat die EU erreicht – so viel Vorschuss gibt Enzensberger der EU. 65 Jahre ohne Krieg, das ist im wirtschaftlich vereinigten Europa schon einmal nicht schlecht. 455 regionale Förderungsprogramme haben vieles zur Verbreitung des Wohlstands beigetragen. Beim Versuch, den exaltierten Kapitalmarkt zu kontrollieren oder zu bändigen, dem die ganze Welt ausgesetzt ist, sieht die Bilanz weniger überzeugend aus. Es ist nun einmal einfacher, die marktkonforme Biegung der Gurke zu reglementieren.
Die EU ist ein Wirtschaftsverband – das vor allem anderen. Ein politisches Korrektiv dazu gibt es nicht. Bezeichnenderweise regiert die Kommission beziehungsweise "Brüssel" nicht mit Gesetzen, sondern Direktiven. Und viel zu sagen hat das Strassburger Parlament nicht. Für Enzensberger stellt dieser Zustand einen "Rückfall in vorkonstitutionelle Zeiten" dar.
Die EU will nur das Beste für die Menschen, aber darin liegt genau das Problem: Es ist immer noch viel zu viel. Sie mischt sich in alle Lebensbelange der Menschen ein, beim Rohmilchkäse, bei den Glühlampen und so weiter (wie es in Fragen der Moral steht, lässt Enzensberger offen). "Wir haben es mit Menschenfreunden zu tun", mit einer aufgeklärten Bürokratie, aber in Wirklichkeit mit einer Bevormundung sondergleichen, mit einer "Entmündigung", was mit dem ursprünglichen wirtschaftspolitischen Konstruktionsfehler der EU zu tun hat. Die Menschen waren darin darin nicht vorgesehen und stellen sich nun als Störfaktor heraus.
Nun eine kleine Überraschung. Auch Jürgen Habermas hat unlängst in der "Süddeutschen Zeitung" fast die gleichen Überlegungen mit fast den selben Worten wie Enzensberger angestellt: "Monster" und "Entmündigung der europäischen Bürger". Nur ein Zufall?
Sowohl Enzensberger wie Habermas beanstanden an der EU als Hauptpunkt deren demokratische Defizite. Der Vertrag von Lissabon, der dieses Manko eigentlich beheben sollte, hat daran bisher nicht viel geändert und wird es wohl auch in Zukunft kaum.
Es kann mühelos festgestellt werden, dass Europa müde geworden ist. Dafür lassen sich viele Gründe nennen. Eine Idee, ein Projekt, eine Perspektive fehlen der EU. Dazu hat sie selber viel beigetragen – seit den in jüngster Zeit aufgetretenen Problemen in der Finanz- und Aussenpolitik erst recht.
Kritik an der EU sollte, so zeigt sich wenigstens in der Schweiz, nicht allein der SVP überlassen werden. Es gibt überzeugende linke Argumente gegen die EU. Nur wenn die Bevölkerung stärker in den Prozess der politischen Entscheidungen einbezogen und der politische Opportunismus der Eliten, wie Habermas meint, deutlich abgebaut wird, lässt sich die EU-Verdrossenheit verringern. Zum Besten Europas.
23. Mai 2011
"Keine Demokratie, sondern Oligarchie"
Wieso ist Aurel Schmidt und mit ihm die gesamte Linke eigentlich überzeugt, dass die EU nur das Beste will? Von Anfang an war ein Demokratiedefizit geplant und offensichtlich. Daran ändern auch die schönen Floskeln nichts, die die Verantwortlichen von sich geben. Orwell lässt grüssen. Wer eine EU-Kommission installiert, ein Parlament, das nichts zu sagen und nur beratende Funktion hat, der will keine Demokratie, sondern eine Oligarchie. Das hätten alle EU-Befürworter von Anfang an erkennen müssen.
Übrigens: 65 Jahre keinen Krieg ist eine blanke Lüge! Was war mit dem Jugoslawien-Krieg, einem der blutigsten Kriege, der mit Hilfe der EU geführt wurde? Was ist jetzt in Libyen? Auch dort werden Städte von EU-Staaten bombardiert, angeblich aus humanitären Gründen. Die EU-Aussenministerin besucht die Rebellen und lässt sich mit ihnen photographieren. Gab es vielleicht eine Volksabstimmung, ob die Bevölkerung das will? Ich bin wirklich nicht eine Freundin von Gaddafi, aber einen Krieg aus humanitären Gründen kann ich nicht nachvollziehen.
Alexandra Nogawa, Basel