Sexualkunde: Die unaufgeklärten Aufklärer
Corina Christen hat es in ihrer letzten Kolumne anschaulich beschrieben: Kinder wollen es wissen.
Übers Woher der kleinen Kinder wurde einst gelogen oder geschwiegen. Was einen nur noch neugieriger machte, natürlich. Immerhin schenkte mir meine Grossmutter ein Jahresabonnement des Bravo in der irrigen Annahme, dies sei eine Popmusik-Zeitschrift. Im Bravo beantwortete aber ein Dr. Sommer alle Fragen, die uns sonst niemand beantwortete, und das war wesentlich interessanter als alle Roy Blacks und Rex Gildos zusammen. Dank Bravo und Oma wussten wir also rechtzeitig, dass man von Zungenküssen nicht schwanger wird. Die Zeiten besserten sich, es kamen die achtundsechziger Jahre und jedermann dachte, das prüde Getue sei nun vorbei, ein für alle Mal.
Und nun dies: Das Thematisieren der menschlichen Fortpflanzung an Kindergarten und Primarschule soll wieder verboten werden. Die Kinder würden mit Pornografie und Sexualkundeunterricht belästigt, wird behauptet. Es geht wohl darum, die Kinder frommer Kreise so lange wie möglich von der unzüchtigen Sexualität fernzuhalten. Sachliche Gründe jedenfalls werden keine vorgebracht.
"Wie kommt das Baby in den Bauch,
und wie kommt es wieder hinaus?"
Wenn im Umfeld eines Kindes eine Frau schwanger wird, es etwa ein Geschwisterchen kriegt, fangen die Fragen an. Wie kommt das Baby in den Bauch, und wie kommt es wieder hinaus? Wieso sollte ein Kind das nicht fragen, nicht wissen dürfen? Was der Storch mit einem dicken Bauch zu tun hat, hat schon uns einst nicht überzeugt. Die heutigen Kinder lassen sich damit schon erst recht nicht abspeisen.
Das versuchte ich also bei meiner Tochter, damals etwa vier oder fünf Jahre alt, gar nicht erst. Sie sollte ein Frühstücksei essen und wollte wissen, ob da ein Bibbeli drin sei, ein Kücken. Eine Frage führte zur nächsten, und schliesslich wusste sie, dass für die Entstehung eines Bibbeli Ei und Samen zusammenkommen müssen, und wie das funktioniert. Die Fragerei ging weiter und schliesslich wusste sie es auch für Frau und Mann und Babies.
Den Kindern Ehrlichkeit zu predigen, und sie dann anzulügen, dies kam für mich nie in Frage. Also redete ich Klartext. Die Tochter nahm die Informationen unaufgeregt zur Kenntnis, war zufrieden und ass endlich, denn die Angst vor einem herausspringenden Bibbeli war ja nun gebannt. Und ich vergass die Sache.
Bis wir von der Frau Kindergärtnerin zitiert wurden. Die Kindergarten-Meerschweinchen hatten sich vergnügt, unsere Tochter hatte das Tun fachmännisch begutachtet und daraufhin Baby-Meerschweinchen angekündigt. Zeter und Mordio, wir erhielten eine Standpauke. Dabei hatten wir dem Kind weder Vorträge über Verhütung noch über Geschlechtskrankheiten oder sexuelle Praktiken gehalten, sondern ihm lediglich in einfachen Worten den Vorgang erklärt, so wie wir ihm auch erklärten, wie das Wasser in die Wolken und von dort wieder als Regen auf die Erde kommt.
Kinder fragen unverblümt und wollen Antworten. Genau diesem Zweck dienen die derzeit für rote Köpfe sorgende Plüsch-Vagina und der Plüsch-Penis. Jüngeren Kindern sollen ihre Fragen kindgerecht beantwortet werden, etwa wenn ein Geschwisterchen kommt. Nicht mehr, nicht weniger. Es geht in Kindergarten und Primarschule mitnichten um einen umfassenden Aufklärungsunterricht, sondern nur um die Beantwortung von Fragen, die die Kinder haben.
Das ist manchen Kreisen ein Dorn im Auge. Sind die Eltern nicht willens oder fähig, sachlich zu informieren, werden die Kinder, geht es nach den Initianten, wieder allein gelassen mit ihren Fragen, wie wir einst. Die Folgen sind unabsehbar. Heute springt nämlich nicht mehr das relativ harmlose Bravo ein oder das Buch Die Frau als Hausärztin von Corina Christen. Die Kinder fragen Kollegen, Kollegen mit Internetzugang und Smartphones. Und dann sehen sie Dinge, die sie wirklich nicht sehen sollten. Das können wir nicht wollen.
Unsere Kinder verdienen klare, sachliche, ehrliche Antworten. Aufklärung ist die beste Prävention, von Anfang an. Schon im Kindergarten, wenn die Fragen dann kommen. Nur so bereiten wir sie auf das Leben vor. Und nur dann kommen sie mit den wirklich grossen Fragen zu uns und haben das nötige Vertrauen. Vertrauen verdient nur, wer ehrlich ist. Wir haben es in der Hand, ob sich die Finanzierungsfrage einer Abtreibung bei unsern Kindern stellt, oder nicht.
20. Januar 2014
"Klare Antworten auf simple Fragen"
Danke, Andrea Strahm, für diese sehr gut durchdachte und formulierte Zusammenfassung der Situation! "Einen Menschen erziehen heisst, ihm zu sich selbst verhelfen" (Peter Altenberg). Das habe ich unlängst gelesen und man sollte es auch weiterziehen: erziehen heisst nämlich auch, klare Antworten auf simple Fragen zu geben und das Kind dadurch in seinem Selbstvertrauen zu stärken, es damit zu schulen, differenziert hinzuhören und differenziert urteilen zu können.
Beatrice Isler, Basel
"Hoffentlich ordentlich zusammengestaucht"
Hallo Frau Strahm, hoffentlich haben Sie diese Kindergärtnerin ordentlich zusammengestaucht!
PJ Wassermann, Hersberg