Weihnachten – ein Völker verbindendes Friedensfest
Die Kirchen leeren sich. 16,5 Prozent der Einwohner Basels gehören noch der evangelisch-reformierten Landeskirche an, 15,3 Prozent der römisch-katholischen und knapp ein Prozent der christkatholischen Kirchgemeinde. Demgemäss gehört die Mehrheit der Basler, nämlich etwa 68 Prozent, keiner der christlichen Landeskirchen an.
Man würde es nicht meinen. Gerade heute, ein Tag vor dem Heiligabend und zwei vor Weihnachten, sind die Strassen brechend voll von Leuten, die nichts anderes tun, als sich auf Weihnachten vorzubereiten, und dies seit Wochen schon.
Sie kaufen Geschenke und Tannenbäume, dekorieren ihre Häuser und Gärten mit Sternen, Engelein und Krippen, mit Glitzer-Elchen und Glimmer-Eseln. Kinder und auch manche Erwachsene öffnen seit dem ersten Dezember Tag für Tag Türchen, Beutelchen oder andere Behältnisse eines Adventskalenders, und finden darin eine kleine Überraschung, die ihnen liebevoll von einem andern Menschen vorbereitet wurde. Adventskränze mit vier Kerzen wurden gebastelt, und die Kerzen sukzessive angezündet, Sonntags für Sonntag eine Kerze mehr, bis gestern dann, am letzten Sonntag vor Weihnachten, alle vier brennen durften.
"Wir müssten uns auf moralische
und ethische Grundsätze einigen."
Vorfreude herrscht, auf Weihnachten, den christlichen Feiertag schlechthin. Es herrscht heilige Zeit, und alle kommen. ALLE. Nichtchristen, Atheisten, Agnostiker und nicht orthodoxe Juden und Muslime. Weihnachten ist ein völkerverbindendes, grossartiges Fest geworden.
Das gefällt nicht allen Christen. Sie fühlen sich um ihre Feierlichkeit betrogen, aufs Materielle reduziert, und der Kommerz lenke vom eigentlichen Thema ab, der Geburt von Jesus Christus, dem Glaubensstifter, der an Weihnachten geheiligt und gelobt gehört. Es stimmt: Die heutigen Weihnachtsfeierlichkeiten gehen weit darüber hinaus. Die Geschichte vom Kind, in tiefster Armut im Stall geboren, und dann reich beschenkt, berührt.
Es ist der Traum aller, denen es nicht immer so gut geht im Leben: Irgendwann irgendwie geschehe Gerechtigkeit, das vermeintliche oder tatsächliche Unrecht werde kompensiert, und die materielle oder seelische Not vergehe. Diese Sehnsucht nach Frieden mit sich und der Welt ist zutiefst menschlich und verbindet, unabhängig von allen Religionen.
Und wäre auch christlich, in terra pax hominibus bonae voluntatis, was Martin Luther mit Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind, übersetzte. Und es wäre jüdisch, denn mit Schalom begrüssen sich die Juden, Friede sei mit Dir. Friede will auch der Islam, der sich als Religion des Friedens bezeichnet. Alle Religionen wollen Frieden. Weihnachten als Fest des Friedens wäre also verbindend. Eine Möglichkeit, sich die Hand zu reichen.
Der religiöse Friede ist allerdings kein bedingungsloser. Im Christentum lautet die Bedingung bonae voluntatis, es sollen also nur die Menschen guten Willens in Frieden leben. Guten Willens sind natürlich nur Christen und keine Andersgläubigen. Und so oder ähnlich predigen es alle Religionen, Frieden ja, aber nur zu den Bedingungen der Glaubensgemeinschaft. Und den andern wird der Krieg gemacht. Hätten wir weltweit alles nur Christen, oder Juden, oder Muslime oder Angehörige einer andern Religion, dann wäre Friede vielleicht möglich. Nur haben wir dies nicht. Was wir also brauchen, ist einen übergeordneten Konsens. Weltfriede gelingt nur, wenn wir keine Bedingungen stellen.
Wir müssten uns auf Wertvorstellungen, Regeln des Zusammenlebens, moralische und ethische Grundsätze einigen. Denn Werte sind nicht in Stein gemeisselt, verhandelbar. Auch über die Köpfe der Kirchen, Synagogen, Minarette und Tempel hinweg.
Die Engel in der Weihnachtsgeschichte singen Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Allen Menschen. Damit kommen wir dem Weltfrieden etwas näher. Vielleicht feiern deshalb alle Weihnachten? Nehmen wir dies als Zeichen, feiern wir alle zusammen, beschenken wir uns, denken wir aneinander, unabhängig von Glaube oder Nichtglaube. Vielleicht ist es das, was die Geschichte der Geburt eines Kindes in einem Stall uns allen sagen will?
Friedliche Weihnachten Ihnen allen, und von ganzem Herzen ein glückliches Neues Jahr.
23. Dezember 2013
"Gehört unbedingt in den 'Kirchenboten'""
Sehr geehrte Frau Strahm, ich lebe in Zürich, lese aber als Heimweh-Baslerin regelmässig "OnlineReports", Ihre Kolumnen besonders gerne, jene von Weihnachten aber erst jetzt. Sie sprechen mir fast total aus dem "Herzen" und ich finde, diese Kolumne gehört vor nächster Weihnachtszeit unbedingt auch mal in einen Kirchenboten, z.B. "reformiert". Was meinen Sie dazu?
Christine Radanowicz, Zürich